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Von Pfefferminze, einer Beerdigung und Mut

Text: Rougepuella

And if I can have the glory



I'd give it up gladly



Oh how we sucked in the limelight



And left best friends behind



 



Es einer der letzten schönen Sommertage. Die Luft hat sich nachts noch nicht abgekühlt, so dass er immer noch mit der leichten Decke schläft, morgens liegt sie meistens am Ende des Bettes, weil er sie im Schlaf weg gestrampelt hat.



Er schläft unruhig.



Sein abendliches Glas Rotwein hat er seit einigen Wochen schon längst überschritten, aber der Ethanol bringt ihm nicht mehr die gewünschte Wirkung. Er steht morgens vor dem kleinen Spiegel in dem fensterlosen Raum und fragt sich, wer der mittelalte, verknitterte Mann sein soll. Zum ersten Mal bemerkt er die scharfe Falte, die an seiner Nase entlang läuft. War die letzte Woche auch schon da?



 



Es ist Freitag, 24 Grad, kaum Wind, 0% Niederschlagswahrscheinlichkeit. Er wüsste nicht, was er machen sollte, wenn es regnen würde. Trotzdem hingehen?



Heute stehen nur fünf Stunden Unterricht an, er beginnt mit einer Doppelstunde Wirtschaft in der 10.Klasse, dann Geschichte in der 8. und 9. und schließlich seine Dreizehner, die er 10 Minuten früher entlässt. Insbesondere den Älteren fällt auf, wie fahrig Herr L. wirkt. Er vergisst Jahreszahlen, beendete die Sätze nicht und immer wieder rückt er die schwere dunkle Brille zurecht, obwohl sie noch richtig sitzt. Eine Schülerin wird ihrer Mutter später erzählen, dass Herr L. aussah als hätte er ein graues Tuch um sich gebunden.



Er hat von Johannes N.s Tod aus der Zeitung erfahren. Eine kleine Anzeige in der rechten Seitenecke, fast hätte er es übersehen. Sehr knapp gehalten, nur das Geburts-und Sterbejahr und die Namen der Angehörigen. Plötzlich fühlte sich das soeben gegessene Samstagsbrötchen an wie ein Zementblock, der in seinem Magen versenkt wurde, er hustete mehrere Male laut auf.



Alarmiert hatte Nina daraufhin von ihrem Politikteil hochgesehen.



" Was ist mir dir? Du bist auf einmal so blass geworden. Hast du Schmerzen im..."



" Nina, es ist alles gut. Mir geht es gut."



" Du siehst nicht so aus.“



" Ich habe mich nur verschluckt."



Eine dieser kleinen Lüge, die er ihr manchmal erzählt. Er muss ihr Misstrauen noch nicht noch schüren, welches in den letzten Monaten merklich abgenommen hat. Zum Glück. Es wäre einfach zu anstrengend geworden.



Die Trauerfeier beginnt um 13.30h am Nordfriedhof, er wird es nicht pünktlich schaffen. Nicht nach einem 15 minütigen Stau aufgrund eines leichten Auffahrunfalls in der Stadtmitte und der nicht eingeplanten Umleitung wegen der Großbaustelle, die schon wochenlang angekündigt war.



Als er aus dem kleinen rostigen Polo steigt, zeigt seine Armbanduhr 13.42. Eine Schweißperle läuft ihm den Nacken hinunter. Heute Morgen hat er zum ersten Mal eine lichte Stelle am Hinterkopf entdeckt. Sein Anzug spannt ein bisschen und er ist sich unsicher, ob er das Richtige unternimmt.



Die Kapelle ist am Ende einer langen Allee und unter anderen Umständen hätte er die Umgebung genossen. Die Blätter sind noch grün und er atmet den moosigen Duft der weiten Rasenflächen ein. Auf manchen Gräbern stehen frische Blumen, während andere völlig verwahrlost sind, voller Unkraut und Maulwurfshügel.



Er betritt die kühle Halle und muss sich an das Dämmerlicht gewöhnen. Auf einem kleinen Schild steht der Name des Verstorbenen und hinter der schweren Eichentür erklingt ein Lied.



Er runzelt die Stirn, denn er kann nur Fragmente hören. Plötzlich muss er laut auflachen als er die Band erkennt, hält sich aber sofort die Hände vor den Mund. Darf man an solchen Orten lachen?



Er will sich in den Raum schleichen, um in der letzten Reihe unbemerkt Platz zu nehmen.



In diesem Moment endet das Lied und von einem niedrigen Rednerpult aus, blickt ihn eine Person direkt in die Augen.



Sie trägt ein schwarzes hochaufgeschlossenes Kleid, was ihre dunklen Augenringe und ihre ungesunde Blässe noch hervorhebt. Das blondbraune Haar ist zu einem festen Knoten am Hinterkopf zusammen gebunden und sie wirkt erschöpft und ausgezehrt.



In ihren dunklen Augen erkennt er nichts, sie sehen aus wie große, schwarze Murmeln.



Sie nickt ihm leicht zu. Er setzt sich.



Er kann im Nachhinein nicht mehr sagen, was sie über ihren Vater erzählt hat oder wie das Abschiedslied lautete. Herr L. steht schließlich starr an den Treppen der Kapelle und warte darauf, dass sie alle Verwandte, Freunde und ehemalige Arbeitskollegen verabschiedet hat.



Plötzlich steht sie neben ihm.



" Hallo Haselmausel."



" Hallo HQ. Ich wollte..."



" Wenn jetzt eine Beileidsbekundung kommt, verhau ich dich."



 



Er stockt kurz und dann tut er etwas, was er in den letzten 18 Monaten nie getan hat, was er aber viel öfter hätte machen sollen.



Sie riecht nach Pfefferminze und leicht nach Schweiß.



In seinem Magen ist es jetzt ganz warm und er weiß, dass er das Richtige getan hat.

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