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"Ich besitze keine kugelsichere Weste"

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Ronja von Wurmb-Seibel, 28, hat in München studiert und arbeitet seit September 2013 als freie Journalistin in Kabul

jetzt.de: Als erstes will man dich ja eigentlich fragen: Ist das nicht ziemlich gefährlich, was du da in Kabul tust? Wenn ich so deine Blogeinträge lesehabe ich allerdings das Gefühl, das Thema „Sicherheit“ nervt dich.

Ronja: Nee, Quatsch, ich höre die Frage halt nur sehr oft. Aber ich versteh sie gut: Bevor ich das erste Mal nach Kabul kam, dachte ich auch, dass mich eine gefährliche Stadt erwartet. Dass ich nicht auf die Straße gehen kann, nur in gepanzerten Autos fahren darf – sowas. Als ich dann dort war, habe ich schnell gemerkt, dass es überhaupt nicht so ist.

Wann warst du denn das erste Mal in Afghanistan?

Im Sommer 2012 war ich zum ersten Mal mit der Bundeswehr dort, für eine Reportage. Damals habe ich ziemlich wenig von „draußen“ gesehen, aber das Land hat mich trotzdem gleich fasziniert. Im Dezember 2012 war ich dann in Kabul, um dort einen deutsch-afghanischen Boxer zu begleiten. Alleine hätte ich mich vielleicht gar nicht dorthin getraut. Am zweiten Tag hab ich mich dann aber für eine andere Geschichte entschieden und mir die Stadt sozusagen alleine erobert. Im Nachhinein denk ich mir manchmal, dass es so aussieht, als hätte ich mich Schritt für Schritt rangewagt an Afghanistan, aber so geplant war das alles gar nicht.

Wie hat deine Familie reagiert als du ihnen sagtest „Ich gehe nach Afghanistan“?

Meine Familie hat ziemlich viel versucht, um mir meine Pläne auszureden; gleichzeitig haben sie mir von Anfang an den Rücken gestärkt. Ich habe keine Ahnung, wie sie das hinbekommen. Sie haben mir immer auch gezeigt, dass sie das theoretisch schon alles gut finden, was ich mache – wenn ich halt nur nicht ihre Tochter beziehungsweise Schwester wäre.  Bei der ersten Reise habe ich es mit einem Trick versucht: bei einer Familienfeier habe ich gesagt: „Ich hab eine Überraschung: Ich darf für die Zeit nach Afghanistan!“ Das hat natürlich nicht so toll geklappt.

Wie war dein erster Eindruck von Kabul?

Der war erstmal hinter Fensterscheiben - anfangs war ich fast nur mit dem Auto unterwegs. Draußen wirkte alles sehr bunt, lebendig und chaotisch. Das mochte ich sofort. Ich hatte nie das Gefühl, dass in Kabul überall die Gefahr auf mich lauert, die Stadt wirkte nicht bedrohlich. Etwas unsicher war ich natürlich trotzdem.

Wie lebst du jetzt dort? Hinter dicken Mauern mit kugelsicherer Weste?

Die kugelsichere Weste trage ich nur, wenn ich mit der Bundeswehr unterwegs bin, weil man sie dann tragen muss. Ich selbst besitze gar keine. Hinter Mauern lebe ich schon, weil das in Kabul jeder so macht - weniger zur Sicherheit, eher zum Schutz der Privatsphäre. Nachbarn sollen nicht in den Garten schauen können, unter anderem, damit die Frauen sich dort unverschleiert aufhalten können. Ich wohne in der Innenstadt in einer internationalen Sechser-WG mit Hängematte, Hund und vielen Bäumen im Garten. Wir haben zwar Pförtner, aber hauptsächlich, damit nicht jeder gleich sieht, dass bei uns Ausländer wohnen.

"Ich wurde schon ein paar Mal gefragt, ob ich nicht konvertieren möchte"

Wie ist die Situation vor Ort für dich als Frau?

Es gibt natürlich einen Kleiderkodex: Man trägt keine kurzen Hosen, auch als Mann nicht. Frauen tragen lange Ärmel, keine T-Shirts. Ich trage ein Kopftuch, allerdings nicht, weil ich ohne nicht rausgehen könnte. Ich würde dann einfach auffallen, das wäre mir unangenehm. Und ich fände es auch respektlos. Ein bisschen so, als würde ich in Deutschland im Bikini durch die Fußgängerzone laufen. Ansonsten bin ich für viele Menschen in Afghanistan sowas wie ein Zwitter – sie akzeptieren bei mir Dinge, die eine Afghanin vielleicht nicht überall dürfte: Mit fremden Männern sprechen zum Beispiel. Ich reise aber auch nur im Norden des Landes und nicht im Südosten, wo es viel konservativer zugeht.

Hast du schon mal eine Burka angezogen?

Nein, ich habe allerdings einen 18-jährigen Kumpel, dem ich versprochen habe, es auszuprobieren. Er hat das nämlich einmal gemacht und fand es so stickig und heiß, dass er jetzt findet, ich sollte dieses Gefühl auch kennenlernen. Der Umgang mit der Burka ist in Afghanistan aber schon sehr anders, als ich es mir in Deutschland vorgestellt habe. In Kundus hab ich mal eine Polizistin in ihrem Büro getroffen, sie trug Highheels und Netzstrumpfhose und hatte ihre Nägel knallrot lackiert. Sie war sehr hübsch und durchgestylt, hat mit den Kollegen Witze gemacht, dass sie auch gerne viele Männer hätte und so. Als sie dann rausgegangen ist, hat sie sich ihre Burka vom Garderobenhaken genommen und übergezogen. Für sie war die Burka eine Art Schutz vor den Blicken fremder Männer.

Wie reagieren die Menschen darauf, dass du Christin bist?

Ich wurde schon ein paar Mal gefragt, ob ich nicht konvertieren möchte, das ist aber nett gemeint. Viele sorgen sich, dass ich als Christin nicht ins Paradies komme. Ein Freund hat zu mir gesagt: '“Eigentlich sind unsere Religionen gar nicht so unterschiedlich, der Islam ist nur etwas aktueller. Es ist wie mit dem iPhone 4: Du kannst damit Mails schreiben, fotografieren und whatsappen, aber es ist halt kein iPhone 5. Dir fehlt ein Update.“ So sei das auch mit dem Islam – als jüngste der drei Buchreligionen.

 

Du hast von September 2013 bis April 2014 eine Kolumne für die Zeit geschrieben, die dann mit dem Tod der Kriegsreporterin Anja Niedringhaus in Afghanistan eingestellt wurde. Wie hast du diese Entscheidung erlebt?

Es war das dritte Mal innerhalb weniger Wochen, dass ein Journalist in Afghanistan getötet wurde. Das Attentat passierte in einer Provinz, die ziemlich gefährlich ist und der ich noch nie war. Danach beschloss die Redaktion, dass sie momentan keinen Reporter nach Afghanistan schicken würden, weil es zu gefährlich sei. Deshalb wollten sie auch nicht, dass ich die Kolumne weiter schreibe. Für mich war das einerseits ein komisches Gefühl, weil ich die Gefahr so nicht gespürt habe. Andererseits verstehe ich gut, dass die Redaktion in so einem Moment auch Verantwortung zeigen will. Ich hab dann für mich entschieden, dass ich die Geschichten über die Menschen in Kabul trotzdem weitererzählen möchte, weil mir viele Leute geschrieben hatten, dass die Erzählungen sie berühren. Jetzt verkaufe ich die Kolumne auf meiner Homepage, für einen Euro pro Text.

 

Wann hattest du schon einmal Angst in Afghanistan?

Um mich selbst habe ich selten Angst. Ich meide viele Orte und außer einem lauten Knall und wackelnden Scheiben habe ich von Anschlägen bisher nichts mitbekommen. Bei meinen afghanischen Freunden ist das anders. Die sind viel mehr draußen und es passiert oft, dass sie in der Nähe sind, wenn etwas passiert. Da habe ich dann natürlich jedes Mal Angst. Bei mir selbst gab es nur eine Situation, das war ein etwas absurder Abend. Ein Freund war zu Besuch und er hat ziemlich viel getrunken. Irgendwann konnte er nicht mehr stehen, trotzdem wollte er unbedingt mit dem Auto nach Hause fahren. Als wir versuchten, ihn davon abzuhalten, zog er eine Waffe. Ein paar Wochen zuvor hatten ein paar Kriminelle versucht, seinen Bruder zu entführen. Und in seinem Suff hatte er jetzt Panik, dass ihm das Gleiche passieren könnte. Es ist dann aber alles gut ausgegangen.

 

Inwiefern wird sich deine Arbeit verändern, wenn die Bundeswehr abzieht?

Ich habe hier mit der Bundeswehr kaum etwas zu tun. Gerade habe ich mit Niklas Schenck zusammen einen Film über Blindgänger gemacht, die die NATO in Afghanistan zurücklässt. Darin spielt auch die Bundeswehr eine Rolle.  Aber eigentlich berichte ich ja über die Menschen vor Ort. Und daran ändert der Abzug der Bundeswehr nichts.

 

Niklas' Beitrag für "Panorama - Die Reporter", läuft heute Abend um 21.15 Uhr im NDR.

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