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"Als Jugendlicher rennt man nur ins Licht"

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jetzt.de: Clueso, du arbeitest ausschließlich mit Freunden zusammen. Ist ein Chef da umso wichtiger?
Clueso: Ja, schon. Ich denke immer mehr: Eine demokratische Diktatur ist gut. Es ist ein bisschen, als wenn man neu in der Stadt ist und zuerst mit jemandem mitläuft, der einem alles zeigt. Die ersten paar Straßen passt man noch mit auf, und dann lässt man sich einfach führen. Menschen geben die Führung allgemein gern ab, und das kann einer Gruppe auch sehr helfen. 

Du hast zum ersten Mal ein Album komplett alleine gemacht und veröffentlicht. Damit das klappt, muss man schon erfolgreich sein, oder?
Nein, man darf im Vorfeld nur nicht zu oft die Hand aufhalten, sondern muss selbst dafür kämpfen. Dadurch bekommt man irgendwann die Möglichkeit, frei zu entscheiden. Aus Plattenverträgen kommt man allerdings nicht so leicht heraus. Gerade dann nicht, wenn man schon Erfolg hat.  

Wie konntest du dich von deiner Plattenfirma lösen? Mein Vertrag bei Four Music war erfüllt. Dann kamen neue Angebote von diversen Plattenfirmen, die ich nicht angenommen habe. Wir wollten auf eigenen Beinen stehen.  

In Erfurt arbeiten jetzt rund 20 Leute für dich. Die machen alles, vom Musikverlag bis zum Catering.
Genau, außerdem arbeiten wir noch eng mit freien Mitarbeitern zusammen, etwa Radio-Promoter, und im Vertrieb mit Universal. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sänger und Chef: Clueso alias Thomas Hübner, 34.

Und du bist der Chef im Haus?
Nein, das ist mein Manager. Er ist der organisatorische Leiter, ich der musikalische. Ich sitze aber auch oft mit ihm am Tisch und treffe Entscheidungen. Ich habe ein gutes Gespür dafür, was gut für das Team ist und was nicht. Wir diskutieren auch heftig.  

Musstet ihr Chefs schneller erwachsen werden als der Rest?
Ja und nein. Wir machen ja keine One-Man-Show, wie es sie früher gab. Wir stampfen da kein Imperium aus dem Boden. Das moderne System heißt Team. Jeder hat seinen Aufgabenbereich und ist darin eben auch ein Chef. Deswegen ist letztlich auch jeder mit uns erwachsen geworden.

Was macht einen Do-It-Yourself-Künstler aus?
Er muss nicht alles selber machen. Er sollte aber den Willen haben, seine Sachen so lange wie möglich in den eigenen Händen zu behalten. Ein Musiker, der sich nur mit seinem Manager hinsetzt und überlegt, was denn die Gesellschaft gerade für Texte braucht, welche Angst momentan im Umlauf ist und so weiter, um damit Platten zu verkaufen, ist für mich kein Macher.  

http://www.youtube.com/watch?v=bxFDDSZQfzU

Was braucht man auf dem Weg zum Macher? Mut? Geld?
Bei mir und meinem Team ist es nicht nur der Mut. Ich weiß auch gar nicht, ob wir so mutig sind. Ich würde eher sagen: Wir sind wenig ängstlich. Wir sind auch nicht so wahnsinnig erfolgsorientiert. Außerdem haben wir es mit bestimmten Sachen einfach nicht so eilig. Wir überlegen sehr lange, bevor wir etwas machen. Wir wissen ganz genau, wofür wir einstehen und auch, worauf wir verzichten.  

Gab es Bandkollegen, die lieber den traditionellen, bequemeren Weg gegangen wären?
Nein, DIY fanden alle geil. Ich glaube aber, dass vielen nicht klar war, was das eigentlich bedeutet. Das wusste ich selbst nicht. Ich habe erst angefangen, das wirklich zu verstehen, als ich zum ersten Mal etwas um eine Woche verschieben musste und anschließend auch meinen Urlaub gestrichen habe. Es ist immens viel Arbeit, allein die Kommunikationswege für einen reibungslosen Ablauf zu schaffen, um Deadlines einhalten zu können.  

Wenn man’s dann schafft und Erfolg hat, ist man stolz, oder?
Auf jeden Fall. Hört sich ja auch gut an, wenn man sagen kann: Ich habe ein eigenes Label. Aber vor allem ist es gut für die Kunst. Wir können plötzlich einfach sagen: Scheiß drauf, dann machen wir eben mal eine EP mit ausschließlich Instrumentals.  

Jetzt erscheint zunächst ein neues Studioalbum. Du hast kürzlich gesagt, dass man mit 30 „durch alle Zimmer seiner Jugend laufen“ würde. Was heißt das?
Das hat etwas mit einem Blick in die Zukunft zu tun. Weil man ein anderes Verständnis von der Endlichkeit bekommt. Man hat auf einmal ein neues Gefühl für sich, für seine Eltern, die Großeltern, überhaupt: für die Lebenszeit. Als Jugendlicher rennt man nur ins Licht. Man macht erstmal, und alle Worte, die man verliert beim Machen, hebt man nicht mehr auf. Man muss nicht dafür gerade stehen.  

Bewahrst du dir mit deinem Job nicht auch ein Stück Jugend?
Auf jeden Fall kann ich mir damit eine gewisse Leichtigkeit bewahren, auch mal naiv an die Dinge ranzugehen. Andererseits hilft mir das Erwachsenwerden manchmal, den Druck rauszunehmen.  

Wie meinst du das?
Ich merke heute, dass ich unendlich viel Ruhe brauche, um einen guten Song zu schreiben. So wie ich heute weiß, dass ich keine Party machen kann, wenn unklar ist, ob ich am nächsten Morgen ausschlafen kann. Ich kann dann nicht locker sein.  

Macht das Erwachsenwerden eigentlich Spaß?
Ja, macht es. Oder? Ja. Punkt (lacht). Aber es gibt natürlich auch negative Seiten. Zum Beispiel, dass man jemandem sagen muss, was er tun oder nicht tun soll. In einer leitenden Position bleibt das nicht aus. Ist natürlich ganz anders als früher. In der Kinderwelt tut man schließlich immer nur dem weh, der einem auch weh tut. In der Erwachsenenwelt aber manchmal auch denen, die einem gar nichts getan haben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


„Stadtrandlichter“ von Clueso erscheint am Freitag.

Text: erik-brandt-hoege - Foto: Christoph Köstlin

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