Brief, wartend verfasst
Ich sitze hier und warte, ich warte auf dich. Warte schon hundertzwanzig Minuten. Das sind siebentausendzweihundert Sekunden und damit genug Zeit, um aus dem herbeigesehnten Sex und den schönen Dingen, die ich kaum erwarten konnte, dir zu sagen, eine versteinerte Miene und schlechte Gefühle zu machen.
Im Grunde warte ich nicht nur zwei Stunden auf dein greifbares Erscheinen, sondern schon ein gefühltes halbes Leben auf deine Bereitschaft. Darauf, dass du bereit bist, dein Leben mit mir zu teilen, so wie ich es bin. Ich warte darauf, dass du da bist und all deine goldenen Worte zu aufrichtigen Vorsätzen machst, denen glückliche Taten folgen können. Ich warte darauf ein Wir zu werden und mein Leben gegen das unsere einzutauschen. Ich weiß, es wäre kein schlechter Handel.
Was wäre mein Leben denn ohne dich? Ohne dich ist es glücklich, aber unvollendet. Ohne dich fehlt das i-Tüpfelchen. Ohne Tüpfelchen fehlt dem i doch etwas Wesentliches, genau wie meinem Glück ohne dich. Möglicherweise könnte ich das Gleichnis doch dahingehend abändern, dass mein Glück mit einem großen I dargestellt wäre. Doch zu diesem Umdenken müssten meine Wünsche weniger klar und mein Kopf sich weniger einig mit meinem Herzen sein. Und wie leicht lässt sich doch ein großes I mit einem kleinen l verwechseln?
Und was wäre mein Glück als i ohne Tüpfelchen? Letztlich ein Leben, das nur darauf hoffen könnte, irgendwann ein Pflaster zu finden, welches das fehlende Tüpfelchen nicht ersetzt und damit auch das kleine tüpfellose i nicht zu vervollständigen vermag, aber viellejcht so lange auf unehrlicher Haut klebt, bis es eingewachsen wäre.
Wie erstrebenswert das für mich ist, muss ich dir nicht erklären. Ich will ein kleines, vollständiges i mit seinem dazugehörigen, unverwechselbaren Tüpfelchen. Elftausenddreihundertzweiundvierzig Sekunden.