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"Das Erzählmuster ähnelt der Ilias"

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Ben Schmidt ist Professer für Geschichte an der Northeastern University in Boston. Für ein Forschungsprojekt hat er sämtliche Simpsons-Folgen durchleuchtet. Ein Interview über Statistik, Erzählstrukturen und die Frau von Ned Flanders.

jetzt.de: Ben, du hast die Dialoge aller 552 Simpsons-Folgen in eine Datenbank eingepflegt. Woher hast du das ganze Zeug?  
Ben Schmidt: Aus den Untertiteln. Der Kabelsender FXX sendet zur Zeit hier in den USA alle jemals erschienenen Folgen, so kam ich drauf – und die Untertitel kann man sich leicht im Netz besorgen.  

Du hast jetzt eine Datenbank mit einer Million Worten, die Simpsons-Charaktere in 25 Jahren von sich gegeben haben.  
Richtig. Wobei: Ein paar Folgen fehlen, weil die Untertitel in den ersten Jahren etwas schlampig und unregelmäßig produziert wurden.  

Ich habe testweise nach dem Wort "nukular" gesucht, das Homer in einer Folge verwendet – dachte ich zumindest! Deine Datenbank verrät mir: Homer verwendet das Wort sogar in zwei Episoden!
Interessant, oder? Wenn du draufklickst, bekommst du den ganzen Satz, in dem das Wort auftaucht. Man merkt wieder, wie großartig diese Witze sind!  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Hmmmmm, Statistik!"

Wie lange hast du gebraucht, um das zu programmieren?
Zwei Stunden.
Hossa! Ich hätte eher auf zwei Jahre getippt.
Das Gerüst für die Datenbank war ja schon fertig. Ich forsche hier an der Uni im Bereich der „digitalen Geisteswissenschaften“. Das heißt, ich erfasse Texte von historischen Büchern, Zeitungen, Filmen und erforsche deren Inhalt statistisch. Das Programm heißt „Bookworm“. Und damit kann ich jede erdenkliche Textquelle statistisch durchsuchen. Einfach reinkopieren!  

Warum ausgerechnet die Simpsons-Dialoge?
Ich dachte: Wäre doch mal interessant, jetzt, wo die 25 Jahre alt werden.  

Dich treibt der wisschenschaftliche Ehrgeiz?
In dem Fall eher der Spaß. Normalerweise untersuche ich mit dem Programm, wie sich die Sprache in Zeitungen und Filmen über die Jahrzehnte verändert hat.  

Wie denn?
Indem ich zum Beispiel Zeitungsartikel oder die Untertitel von alten Filmen in "Bookworm" einpflege.  

Und wie verändert sich die Sprache?
Zum Beispiel sagt seit ein paar Jahren jeder "I need to buy cigarettes". Früher sagte man "I ought to".  

Interessant. Was hast du bei den Simpsons herausgefunden?
Zum Beispiel, dass die Worte "Schule" oder "Atomkraftwerk" fast immer in den ersten Minuten einer Folge fallen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die durchschnittliche Häufigkeit des Begriffs "School" im Verlauf einer Folge.

Welche Schlüsse ziehst du daraus?
Dass die Autoren einem klassichen Erzählmuster folgen, das es im Grunde schon seit der Ilias gibt: Der Held startet in einer Alltagssituation, bei Homer und Bart ist das die Schule oder die Arbeit im Atomkraftwerk. Von dort wird der Held deplatziert, das Abenteuer entwickelt sich, der Held muss sich auf die Reise machen.  

Sind die Simpsons ein besserer Forschungsgegenstand als andere TV-Serien?
Oh ja. Allein, dass es sie seit 25 Jahren gibt, ist ein unschlagbarer Vorteil. Außerdem berührt die Serie durch die Satire viel mehr reale Themen als jede andere Sitcom. Jeder einzelne US-Präsident wird in der Sendung parodiert. Darin sind die Simpsons wirklich einzigartig.  

Wenn man die Suchmaschine öffnet, sieht man die Häufigkeit des Begriffs „Maude“ im Laufe der Zeit. Das ist die Frau von Ned Flanders. Warum ist das die Standardeinstellung?
Weil man an ihr gut erkennt, wie die Suchmaschine funktioniert. Die meisten wissen, dass Maude irgendwann ums Leben kommt. An dem Graphen erkennt man auf einen Blick, dass sie lange kaum erwähnt wird, dann in der elften Staffel plötzlich sehr oft – und danach fast gar nicht mehr. Die Spitze des Graphen markiert ihren Tod in der Serie. Aber ehrlich gesagt habe ich selbst höchstens eine halbe Stunde damit verbracht, nach Worten zu suchen und Schlüsse daraus zu ziehen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Maude, die Frau von Ned Flanders, wird kaum erwähnt bis zu der Folge, in der sie stirbt.

Warum?
So viel Zeit habe ich auch nicht. Ich habe die Datenbank für die Leute da draußen gemacht, die sollen sie verwenden und damit Spaß haben.  

Haben die Leute da draußen schon interessante Dinge entdeckt?
Und wie! Zum Beispiel taucht der Begriff "Klimawandel" in den Jahren 2006 bis 2008 ständig auf – und danach kaum noch. Der Boom dieses Themas endete mit der Finanzkrise. Dieses Verschwinden von Begriffen beobachte ich übrigens auch in anderen Medien. Als normaler Zuschauer oder Leser merkt man ja kaum, wenn ein Thema pötzlich nicht mehr erwähnt wird. Mein Programm macht das sichtbar.                     


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ben Schmidt hat die Simpsons gründlich durchleuchtet. 


Text: jan-stremmel - Illustration: Sandra Langecker, Foto: privat

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