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Die Gladiatoren

Text: Jahre

Der Lärm der tosenden Menschenmenge drang bis in die Kabine, in der sich Randulf Robinson befand und sich auf den Kampf vorbereitete. Er wickelte voller Sorgfalt seine Ellbogen und seine Knie in Bandagen ein, rieb seinen Körper in glänzendem Öl ein und machte im Anschlug noch einige Dehnübungen. Er war ein Gladiator und als solcher ein Held des Volkes, zumal er zu den erfolgreichsten in seinem Metier gehörte. Seit nunmehr zwölf Jahren stieg er ins Amphitheater, ohne je einen Kampf verloren zu haben; die nationale Meisterschaft hatte er die letzten fünf Jahre in Folge für sich entscheiden können. Am heutigen Spieltag hatte er allerdings lediglich eine ausschließlich zu Werbezwecken veranstaltete Freundschaftsschlacht mit einem Amateurgladiator zu bestreiten. Mit entsprechendem Selbstbewusstsein ging er denn auch in den Kampf. Er schliff sein Schwert und zog sich seinen Panzer und seinen Helm über, ehe er sich vor einen Spiegel stellte und mit gewisser Schwermut seine Oberarmmuskulatur betrachtete. Ihm war bewusst, seine besten Jahre bereits hinter sich zu haben. Dementsprechend war es notwendig, auf Aufputschmittel zurückzugreifen - in Form von Antidepressiva. Nachdem er diese mit einem Glas Wasser geschluckt hatte, griff er nach seinem Schwert und seinem Netz (da Schusswaffen nicht gestattet waren) und verließ seine Kabine Richtung Arena.



Das Volk begann auf den Rängen zu toben und zu lärmen, als Randulf das Amphitheater durch ein riesiges Gittertor unter den Klängen einer langsamen Bestattungsmusik betrat, das von einem Streichquartett gespielt wurde. Der Himmel war wie üblich rot gefärbt, wobei sich die Sonne wie zähflüssiges Wachs orientierungslos in alle Richtungen hin und her bewegte, sich gelegentlich in mehrere Sonnen aufspaltete und wieder zu einer vereinte. Gegenüber des Gittertors war in einem Glaskasten ein Studio eingerichtet, in dem sich unter anderem der Sportreporter befand, seines Zeichens ein ausgebildeter Psychoanalytiker. Durch das Mikrophon erschallten dessen Worte im ganzen Amphitheater, wobei die schrillen Rückkopplungen, für die die semiprofessionelle Fernsehmannschaft verantwortlich war, allen Beteiligten regelmäßig Ohrenschmerzen verursachte.



„Sehr verehrtes Publikum, begrüßen Sie nun auch den Herausforderer: Maximilian Zehner, dreiundzwanzig Jahre alt, an einer schweren depressiven Episode leidend“, rief der Psychoanalytiker aus, ehe das Streichorchester eine andere Trauerhymne anstimmte, die jedoch unter den Buhrufen des wütenden Publikums gänzlich unterzugehen drohte. Zeitgleich wurde der mit Axt und Speer, aber ohne Brustpanzer (dafür mit einem Helm mit Klappvisier) ausgestattete Maximilian Zehner auf einer Krankenliege in die Arena transportiert und daselbst abgestellt, während er vom Publikum mit Zuckertütchen und Haselnusskeksen beworfen wurde; die Krankenträger flüchteten dementsprechend eilig von der Arena, zumal einer ihrer Kollegen kürzlich durch einen Keks auf einem Auge erblindet war. Randulf ging gemächlichen Schrittes auf Maximilian zu und betrachtete ihn eine Weile, worauf sich dieser unter großer körperlicher Anstrengung zu ihm umdrehte und sagte: „Verzeihen Sie meine Aufdringlichkeit, aber wäre es zu viel verlangt, Sie darum zu bitten, mir mit einem einzigen Schwertstreich das Haupt vom Rumpf zu trennen? In Anbetracht der Tatsache, dass ich in meinem bisherigen Dasein bereits zur Genüge seelische Schmerzen empfunden habe, würde ich selbige nur ungern durch einen allzu beißenden körperlichen Schmerz ergänzen. Darf ich folglich mit Ihrem Verständnis rechnen?“



„Wohl kaum“, antwortete Randulf, „Für Schwächlinge vermag ich keinerlei Verständnis aufzubringen.“



„Sie schimpfen mich einen Schwächling?“ fragte Maximilian überrascht, ehe er vom Psychoanalytiker unterbrochen wurde, der die Ohren abermals zum Klingen brachte.



„Meine Damen und Herren, begrüßen Sie nun den größten Helden unserer Nation: unseren Kanzler Imperator Caesar Angelus Merx Divi Filius Augustus“, rief der Reporter, ehe nun ein tosender Hubschrauber am roten Himmel erschien, der selbst den Lärm der Volksmenge übertünchte, und inmitten der Arena landete. Eine Gruppe von Klonkriegern entstieg diesem und führte unter dem Jubel der Menschenmenge den Imperator heraus, der der Menge zuwinkte und einige Siegesposen machte; aufgrund der Tatsache, dass er altersbedingt nur noch aus einem Skelett bestand, schien er zur Freude seiner Untertanen auch stets zu lächeln.



Um sein doch eher fragwürdiges Erscheinungsbild etwas zu verbergen, kleidete er sich stets in einem Hosenanzug mit einem zwölf Meter langen, von diversen Diamanten und Goldbarren beschmückten Edelmantel aus Nerzresten, der von sechs Schimpansen getragen wurde, deren Häupter demütig gen Boden gerichtet waren. Begleitet wurde er ferner von diversen Kameramännern, Fotographen und von Analus Zuckersaft, dem Eigentümer der Zuckersaft GmbH, eines nationalen Großkonzerns, der dem Volk verflüssigten und mit allerlei Süßstoffen und Suchtmitteln versetzten Zucker verkaufte und den Status eines Nationalkonzerns genoss. In den Händen hielt er denn auch einen Kasten mit zwölf Fläschchen dieser so begehrten Nationaldroge. Gemeinsam schritten sie auf Randulf zu, der den Imperator mit einem Klatschen auf die Handfläche begrüßte, ehe sie sich gemeinsam mit dem Eigentümer und Maximilian, der gequält seinen Daumen in die Luft erhob, vor den zahlreichen Kameras posierten, dabei nickten, lächelten und gelegentlich den Zuckersaft schlürften, der ihren Zähnen eine körnige, klebrige Schicht zufügte, die sie beständig mit ihren Zungenspitzen abzutragen versuchten, dabei aber scheiterten, weil hierfür ausschließlich elektronische Zahnbürsten hilfreich gewesen wären. Allein der Imperator blieb hiervon verschont, da seine Zunge längst verwest war.



„Zwei Helden, ein Saft“, analysierte der Psychoanalytiker nach längerer Beobachtung vor aller Öffentlichkeit, ehe dem Imperator ein Mikrophon überreicht wurde.



„Meine lieben Mitbürger und Untertanen“, begann er trotz fehlender Zunge zu sprechen, „Ich nehme an, durch meine Anwesenheit in hiesiger Unterschichtenveranstaltung meine Verbundenheit mit Ihnen erfolgreich geheuchelt zu haben. Genießen Sie Ihren Zuckersaft und den anschließenden Kampf. Ich für meinen Teil sehe mich dazu gezwungen, mich von Ihnen zu verabschieden, da mir ein wichtiger Termin in einem Freudenhaus bevorsteht. Ich mag zwar über keinen Penis mehr verfügen, aber bei Gott, ich bin immer noch ein Mann. Vielen Dank.“



Die Menge jubelte und tobte, während der Imperator mit seiner Begleitung den Helikopter betrat und in die Richtung der immer noch orientierungslos am Himmel baumelnden Sonne flog (da er sich selbst als „Kind der Sonne“ betrachtete), wo er möglicherweise verbrannte, was das Volk allerdings nicht weiter berührt hätte, da es abseits derartiger Unterschichtenveranstaltungen ohnehin über keinen Kontakt zum Imperator verfügte.



„Nun mögen die Spiele beginnen“, rief der Psychoanalytiker durch das Mikrophon, worauf das Volk abermals zu jubeln begann. Randulf ging nun in Gefechtsstellung auf den nach wie vor regungslos auf der Trage liegenden Maximilian zu, wobei er aus taktischen Gründen abwechselnd zurückwich und sich ihm wieder annäherte.



„Ich würde mich Ihnen sehr verbunden fühlen, wenn Sie mir mit einem Hieb den Garaus machen würden“, wiederholte sich Maximilian, „Gerne auch ins Herz oder durch die Stirn. Ihnen steht es natürlich auch frei, mir die Schlagadern aufzuschneiden, nur würde ich kurz und schmerzlos bevorzugen.“



Statt auf die Bitte seines Gegners einzugehen, warf Randulf sein Netz aus, mit dem er den gesamten Körper Maximilians umfasste.



„Darf ich fragen, was Sie damit zu erreichen versuchen?“ fragte Maximilian mit sichtbarer Verwirrung, woraufhin Randulf ihn mit seiner Schwertspitze sanft in die linke Seite stach.



„Au!“, rief Maximilian aus, „Ich darf doch bitten. Haben Sie wirklich vor, meinen Tod mit leichten Verwundungen hinauszuzögern?“



„Statt zu schwadronieren, wäre es Ihnen auch möglich, nach Ihrer Axt zu greifen und sich zu wehren“, antwortete Randulf kalt.



„Selbst wenn ich wollte, hindert mich der Grad meiner affektiven Störung daran“, erläuterte Maximilian, „Aber letztlich sehe ich darin auch kein größeres Problem, da ich mich gerne von Ihnen ums Leben bringen lasse. Ich werde Ihnen wohl nicht erklären müssen, weshalb ich Gladiator geworden bin. Allerdings fällt es mir schwer, Ihre Beweggründe nachzuvollziehen. Sie scheinen mir über viel zu viel Energie zu verfügen, als dass man Sie als Schaukämpfer hätte rekrutieren können.“



„Meine Beweggründe kann ich Ihnen gerne erläutern“, sagte Randulf, „Ich leide an einer schweren Depression wie Sie eben auch und wie jeder Gladiator in unserer glorreichen Nation. Betrachten Sie meine Handgelenke.“



Randulf verwies auf mehrere Narben, die sich in der Nähe seiner Pulsadern befanden und offenbar auf Schnittwunden zurückzuführen waren. Maximilian bemühte sich, diese zu betrachten, ehe er einen skeptischen Blick annahm.



„Was begehren Sie damit auszudrücken? Dass Sie suizidgefährdet wären?“ fragte Maximilian mit einem latent spöttischen Unterton.



„Ihr Sarkasmus in allen Ehren, Herr Zehner“, begann Randulf sich sichtlich provoziert fühlend, „Aber Sie werden nicht glauben, wie ich in meinem früheren Leben gelitten habe. Ich hatte Schwierigkeiten, einen geeigneten Beruf zu finden, weil mir nicht bewusst war, was ich will, und ich hatte Schwierigkeiten, eine geeignete Partnerin zu finden, weil mir nicht bewusst war, was ich will. Und zu allem Überfluss ist mir auch noch mein Kanarienvogel verstorben. Und keiner meiner Freunde war gewillt, länger als sechszehn Jahre meinen schier unendlichen Leiden Gehör schenken. Folglich müssen Sie mir die Legitimität meiner Suizidalität zugestehen.“



Maximilian schwieg ihn unbeeindruckt an, ehe er sagte: „Ich fürchte, es liegt an mir selbst, mein Leiden zu beenden.“ Mit großer körperlicher Anstrengung hob er seine Axt in die Luft und hieb sich damit selbst den Kopf ab. Aufgrund der Schwere seiner Depression benötigte er einige Anläufe, da diese auch psychosomatische Ausnahme angenommen und dementsprechend seine Körperkraft beeinträchtigt hatte. Nachdem er verschieden war, strömten viele Angehörige aus der Menschenmenge nun in die Arena und hoben Randulf in die Höhe.



„Wir haben gewonnen!“ riefen sie dabei beständig, während sie sich gegenseitig mit dem Zuckersaft bespritzten. Tatsächlich hatte Randulf etwas ganz Besonderes gewonnen - nämlich die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen, um die er vor seiner Karriere als professioneller Selbstmordgefährdeter immer gebuhlt hatte.






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