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Wir saßen als kleine Pimpfe in der Schule und hörten immer wieder von den Tauchgängen von Herrn K., unserem Biolehrer. Praktisch in jeder Stunde wurde unser Wissen über die heimischen Seen mit allerhand Informationen angereichert: „Tja, und wenn man am Heidesee unterwegs ist, dann kann man da schon mal auch einen Streber oder einen Zingel sehen. Und wenn ich dann immer mit meiner kompletten Taucherausrüstung...habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich in meiner Freizeit gern tauche?“ Und dann kamen teils wirklich unterhaltsame Storys über seine Erlebnisse in den Tiefen der heimischen Gewässer. In der sechsten Klasse fand ich ihn noch irrsinnig witzig und glaubte, er hätte auch gut sein Geld als Stand-up-Comedian verdienen können. Ich war damals vielleicht aber auch einfach noch sehr leicht zu begeistern.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Denn in der zehnten Klasse bekamen wir Herrn K. wieder. Und ich merkte, dass die Geschichten immer noch die gleichen waren. Er musste vier Jahre lang immer diese Geschichten erzählt haben und wiederholte sich zusätzlich mit den Themen aus seinem Leben alle zwei bis drei Stunden. Es war teilweise kaum auszuhalten. Aber die Chuzpe sich einfach mal zu melden und freundlich „Die Story hatten wir die letzten Monate schon, möchten Sie mal was anderes erzählen?“ zu fragen, das traute sich eben auch keiner. Vielleicht auch deswegen, weil sein Geschichten-Budget schon ohnehin einigermaßen strapaziert war. Wir schwiegen also alle brav.  

Übrigens genauso brav wie so mancher Enkel, der die immer wiederkehrenden Geschichten von Oma und Opa beim gemeinsamen Familienessen erträgt. „Habe ich eigentlich schon mal erzählt, wie das war, als ich den Opa damals in Ägypten kennengelernt habe?“, fragt die Oma. Das ist dann der Moment, in dem man eigentlich einhaken könnte: „Ja, die letzten elf Jahre immer wieder!“ Tut man aber nicht. Weil die natürliche Oma-Opa-Autorität irgendwie ungebrochen bleiben soll. Und weil in ihren Augen schon die Vorfreude schimmert, nochmal in den Erinnerungen schwelgen zu können. Also guckt man nur interessiert und sagt: nichts.  

Das führt dazu, dass man die Geschichte über die Ägypten-Romanze bald synchron mitsprechen oder – wie ich – genauestens über die Taucherfahrungen des ehemaligen Biolehrers referieren kann. Es ist immer ein Dilemma und die Frage stellt sich immer wieder: Sagt man was oder hält man die Klappe? Denn wenn doch eingewendet wird, dass die Geschichte oder der Witz eben schon lange bekannt ist, dann läuft man Gefahr, dass die Enttäuschung plötzlich riesig ist – und unterstellt schon fast, dass der Geschichtenerzähler senil wird. Und will man das wirklich?   Wie handhabst du das: Weist du Menschen darauf hin, dass die Geschichte schon uralt ist? Welche Reaktionen hast du bekommen, wenn du doch mal darauf hingewiesen hast? Und willst du selbst darauf hingewiesen werden, wenn du etwas zum x-ten Mal erzählst – oder ist das zu peinlich?

Text: tim-kummert - Illustration: Daniela Rudolf

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