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Entscheidungsfirlefanz

Text: lisafred

Die Zeit rast an einem vorbei. Anders eigentlich: Man rast mit der Zeit an der eigenen Zeit vorbei. Das Leben ist ein Prozess. Man ist immer im Wandel. Man findet nie des Rätsels Lösung. Immer nur Teile davon. Aber die Teile eines Rezeptes ergeben noch keinen Kuchen. Und am Ende frohlockt der Tod. Der kommt immer und vielleicht ist er das Ass im Ärmel des Lebens. Ohne rotes Tuch würde der Stier nicht in Raserei verfallen.



Keine Zeit, um grüne Bananen zu kaufen. Du musst entscheiden, was du mit diesen paar Jahren, die dir auf diesem Planeten gegeben sind, anfangen willst. Dabei beschleicht dich mal laut, mal leiser das Gefühl, dass diese Frage niemals und vollends und vor allem vollends befriedigend zu lösen ist. Du schwankst und im verzweifelten Versuch herauszufinden, ob du mehr so Beyonce oder mehr so der Dude vom Platz unten bist, der sich schon morgens um Neun seine Ration Bier kauft (oder Korn oder kalten Glühwein (die Entscheidungen hören nie auf!)) verfällst du in eine Art Entscheidungsschockstarre. Das ist nur logisch, denn die Endlichkeit des Lebens gepaart mit den vielen Möglichkeiten, die du so hast (und jau, dass lässt sich dann schon irgendwie als Wohlstandsverwahrlosung titulieren und es ist ein riesen Privileg und eine Scheißbürde gleichzeitig) als Entscheidungsprämisse - das ist harter Tobak. Man kann die eigene Endlichkeit eben als Argument für alles, aber auch als Gegenargument für die gleichen Sachverhalte verwenden. Es lässt sich daraus alles oder nichts folgern.

Du malst dir also die wildesten Sachen aus. Greifst nach den Sternen. Hängst sie wieder zurück. So aus der nächsten Nähe betrachtet, kommen sie dir doch nicht so glanzvoll vor. Bist hin und hergeworfen zwischen ankommen und Umwege gehen wollen. Dabei ist das ganze Leben auf seine seltsame Art ein unglaublich irrsinniger Umweg und zu glauben, es gäbe ein Ziel vielleicht der größte Irrsinn überhaupt.

Aber du brauchst Pläne. Oder Träume. Etwas jedenfalls, was dich beschäftigt hält. Oder gar etwas, was dich glücklich macht, was dir das Gefühl gibt, erfüllt zu sein. Bis sich wieder das Gefühl von Lächerlichkeit einschleicht. Dieser Gedanke, dass es egal ist. Selbst wenn du dich einfach dort, genauo dort, wo du gerade steht, auf den Boden legst, die Arme ausbreitest und dich im Mondlicht und der Sinnlogikeit deiner Existenz sonnst und immer so liegen bleibst - letztendlich macht es keinen Unterschied.

Du kannst am Boden liegen bleiben oder Gipfel erklimmen. Du wirst so oder so Dreck fressen oder Stürmen trotzen müsse. Und was dein Kopf gerade daraus macht, ob und wie er diese Metapthern liest, ist vermutlich eine Mischung aus angelerntem unbewussten und angelerntem bewussst zur Urteilsfindung verwendetem Wissen. Es ist eine Entscheidung über Wertigkeiten und wie jede Entscheidung kann man sie auch anders treffen.



Oder vielleicht macht es doch einen Unterschied. Wenn schon keinen Großen, dann doch zumindest den, dass du nicht morgens davon wach wirst, weil der Fifi vom Nachbarn das stackigse Beinchen hebt und dich markiert, als seist du ein alter, knorriger Baumstumpf. Oder weil ein kleiner dicker Junge dir mit einem Stock in der Nase bohrt und dabei ein Gesicht macht, als hätte er Nelson von den Simpsons als Vorbild. Also vielleicht solltest du doch auf alle die Carpe Diem Wandtattoos hören und auf diese Slammerin, die von all den Geschichten erzählt, die wir erzählen könnten, wenn wir uns nur trauen würden, und auf all die anderen Arschtritte und Aufrufe und mach-was-aus-deinem-Leben-Mantras.

Aber dann fragst du dich wieder, was dieses Was bitte sehr sein soll und woher du wissen sollst, was das Was sein soll und ob wohl das das Charakteristikum deiner Generation ist, diese ewigen Entscheidungsschwierigkeiten oder nur deines, während alle anderen längst dabei sind ihr offensichtlich fabelhaftes Leben zu feiern. Zumindest laut ihres Instgramaccounts und all den anderen Plattformen, in denen sie ihre erfolgreiche Selfmadeexistenz inklusive ihres gesunden Essens präsentieren, während du dich nicht mal entscheiden kannst, ob du Tiefkühlpizza oder -lasagne willst.




Es ist doch so: Vielleicht ist der dir in der Nase popelnde Junge, das geringste Übel und vielleicht kommt, wenn er verschwunden ist, dein Traumprinz im Auto angebrettert, überfährt dich fast, hält dann aber in letzer Sekunde und drückt dir einen Kuss auf, dass du denkst, den Herz knallt dir aus der Brust und landet wie Stockbrot auf dem Ast des Fieslingjungen. Vielleicht kommt es aber auch ganz anders. So gehts weiter und weiter, Runde für Runde des Gedankenkarusells und ewigen Wirrwarrs und wenn du eine Münze wirfst, um die Sache leichter zu machen, bleibt die auf dem Rand stehen.

Aber manchmal, da läufts gut. Du denkst dir dann: Ich weiß, dass ich nichts weiß und scheiß drauf! Du lernst im Regen zu tanzen und dass es das beste Gefühl überhaupt ist, komplett durchnässt zu sein und sich fallen zu lassen in diesen Beat von Regentropfen auf Asphalt und Pfützen und Dächern. Und danach kaufst du dir Pizza und Lasagne und denkst dir dann, während du Übelkeit geplagt neben dem Klo liegst, dass sich nicht entscheiden zu können, zwar irgendwie blöd, aber auch irgendwie ein Zeichen dafür ist, dass du nicht ganz dumm sein kannst, immerhin fällt dir zu Problemen mehr als eine Lösung ein und dass du es beim nächsten Mal anders machst und nur nen Apfel kaufst  und dass das ne nette Sache vom Leben ist, dass man aus seinen Fehlern lernen kann und dann reierst du noch mal ab und alles was du willst, ist ein kalter Waschlappen auf deiner Stirn.Da bist du dir sicher.

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