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Szenen einer Wohngemeinschaft - Folge 9

Text: Raschka
In der WG wohnen derzeit Katharina, Tobias, Anna, Simon, Raschka und ihr Freund Marius* (als   WG-Gründer).  Außerdem zwei Katzen und diverse Meerschweinchen, die den  Garten  bevölkern.
Ehemalige Mitbewohner: Sun, Thomas und seine Freundin Anja, Sylvie und Fabio.

*Alle Namen geändert. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind weder zufällig noch ungewollt.
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Die ersten Wochen mit unseren neuen Mitbewohnern, Anna und Simon, waren anstrengend. Zwar hatte sich zwei Wochen nach dem Umzug schon alles etwas sortiert und ich konnte mich nach vielen Tränen auch dazu durchringen, mein Zimmer endlich für andere Leute zu räumen. Aber irgendwie war nach wie vor keiner so recht glücklich.

Annas Kaufwut ist, wie wir jetzt erfahren haben, auch in ihrem Freundeskreis legendär. Ständig schleppt sie neue Sachen an, und den ersten Streit hatten wir nach kaum einer Woche, als sie das WG-Konto mit einem Großeinkauf von Lebensmitteln um 80 € ärmer machen wollte. Es gibt bei uns seit jeher die Regelung, dass alle Lebensmittel, die gemeinsam verwendet werden, auf das WG-Konto gehen. Die beiden hatten das offenbar missverstanden und gingen davon aus, dass sie sich alles vom Gemeinschaftskonto bezahlen lassen können. Auch die fettarme Milch und die Wurst vom Supermarkt, die sonst niemand freiwillig kaufen würde. Damit war auch gleich das nächste Missverständnis aufgeklärt, da sich unsere neuen Mitbewohner bei der ersten WG-Besichtigung nämlich als "Öko" und "sehr an Gartenarbeit interessiert" bezeichnet hatten, was aber definitiv nicht der Fall ist. Anna hat mal vegan gelebt, war damit aber nur einem vorübergehenden Trend gefolgt und isst jetzt wieder Fleisch vom Discounter, wie alle "normalen" Menschen. Meine Hoffnungen, endlich nicht mehr der einzige Vegetarier im Haus zu sein, waren zunichte. Auch Konsumverzicht und Selbstversorgung sind Fremdworte, das müssen Katharina und ich jetzt schweren Herzens akzeptieren. Also bestellen wir weiter alleine unseren Garten, während Anna einkaufen geht.

Überhaupt, Anna - sie ist die perfekte Hausfrau. Ich war in meiner naiven Emanzipation immer davon ausgegangen, dass dieser Typ Frau mit der Generation meiner Oma ausgestorben wäre. Jetzt weiß ich es besser. Anna putzt, kocht und wäscht mit einem erschreckenden Eifer. Alle halbe Stunde schreit sie "Scha-aatz!" durchs ganze Haus, um ihren (baldigen) Gatten zur Hausarbeit zu zwingen, während er vor dem PC sitzt. Und er gehorcht. Sobald von irgendwo "Scha-aatz, komm mal her" zu hören ist, steht Simon seufzend vom Schreibtisch auf und kommt die Treppe herunter, um für sie die Wäsche hochzutragen, eine Spinne zu entfernen, die Tür aufzuhalten oder Kaffee zu kochen. Außerdem ist er zuständig fürs Möbel aufbauen, Fahrräder reparieren, Einkäufe tragen, und alles andere, was für Anna als Frau nicht zumutbar ist. Dafür wäscht sie seine Kleidung und kocht für ihn. Sie kennt sämtliche Haushaltstricks meiner Oma, weiß, wie man Schwarzwälder Kirschtorte macht und benutzt spezielles Waschmittel, damit die Wäsche leichter zu bügeln ist. Als sie zufällig erfahren hat, wie selten ich meine Bettwäsche wechsle, wäre sie beinahe in Ohnmacht gefallen. Einmal die Woche finde ich übertrieben, für sie ist es das Minimum. Außerdem saugt sie ihr Bett regelmäßig ab, weil sie eine Hausstauballergie hat und muss ihren eigenen Wäscheständer benutzen.

Seitdem frage ich mich übrigens, wie oft der Durchschnitt der deutschen Bürger seine Bettwäsche tatsächlich wechselt. Bevor ich nicht zumindest eine grobe Statistik erstellt habe, werde ich selbst zu diesem Thema schweigen, denn es ist mir unangenehm. Ich wäre also für Kommentare dankbar, die Licht in die Sache bringen. Wie oft wechselt ihr eure Bettwäsche, saugt ihr euer Bett jemals mit dem Staubsauger ab, und, wo wir schon dabei sind, wie oft wischt ihr Staub? Ich befrage auch alle Bekannten und werde die Statistik anschließend veröffentlichen. Anonym, versteht sich.

Ein weiterer Konflikt ergibt sich beim Thema Spülmittel. Alle verwenden Neutralseife. Anna verwendet Spülmittel. Der Grund dafür ist, dass meine Oma irgendwann in den 80er Jahren Besuch von einem Vertreter der Firma "Haka-Werke" bekam, der ihr Neutralseife verkaufte. Viel Neutralseife, und er kam jedes Jahr wieder mit Nachschub. Seitdem stapelten sich im Keller meiner Oma Eimer mit flüssiger Neutralseife, mehr als sie je in ihrem Leben verwenden konnte. Meine Oma starb vor drei Jahren, meine Mutter erbte die Neutralseife. Gute Ware, ohne Frage, und ausreichend für die nächsten drei Generationen. Deshalb wird unsere WG regelmäßig mit Neutralseife beliefert. Ich denke, es ist Unsinn, Spülmittel zu kaufen, wenn man eimerweise flüssige Neutralseife zur Verfügung hat, die man für alles verwenden kann, vom Bodenwischen bis zum Haarewaschen (theoretisch natürlich). Aber Anna braucht Spülmittel, weil das Geschirr mit der Neutralseife einen Fettfilm behält. Keiner sieht ihn, nur Anna mit ihrem Röntgenblick. Darum haben wir Spülmittel und Neutralseife in der Küche. Gut, dass das Haus so groß ist.

Am Ende hat es viele Diskussionen und WG-Sitzungen erfordert, bis alle sich eingestehen konnten, dass die gegenseitigen Erwartungen von Anfang an zu hoch waren. Trotzdem haben wir beschlossen, dass wir uns irgendwie zusammenraufen können und auf jeden Fall weiter zusammen wohnen wollen. Der Konsens ist: Veränderung darf her, aber nicht zu schnell, und auch alte Sachen dürfen bleiben. Geputzt wird in Zukunft öfter, aber Anna darf nur ihren Teil des Putzplans erledigen und nicht mehr. Außerdem darf sie Spülmittel kaufen, muss es aber selbst bezahlen. Wir "alten" Mitbewohner hören auf, demonstrativ den guten Zeiten mit Sylvie und Fabio nachzutrauern, werden aber unsere vertrauten Gewohnheiten, Möbel und die alte Kaffeemaschine nicht komplett aufgeben.
Damit können alle leben, zumindest hoffe ich, dass es auf Dauer funktioniert. Es macht mich ein bisschen traurig, dass jetzt alles anders ist, und dass es uns so schwer fällt, zusammenzuleben. Aber trotz allem mag ich die beiden, sie sind offen und meistens gut gelaunt und vor allem kann man problemlos mit ihnen reden und Kompromisse finden. Meistens verstehen wir uns ganz gut, trotz der verschiedenen Einstellungen. Irgendwie wird es schon werden.

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