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Was mir das Herz bricht: Hoffnungslose Geschäftsmodelle

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Ich habe in meinem Leben viele Currywürste gegessen, ohne je wieder darüber nachzudenken. In besonderer Erinnerung geblieben ist mir eine, die ich nicht aß. Diese Wurst verfolgt mich bis heute. Vor ein paar Jahren lief ich an einem kühlen Herbsttag eine abseits gelegene Straße meines Viertels entlang. Schon von weitem fielen mir die weißen und roten Punkte auf, die vor der grauen Häuserreihe schwebten. Als ich näher kam, erkannte ich, dass es Luftballons waren. Sie schmückten die Fassade einer winzigen Imbissstube. „Neu Eröffnung. Angebot: Currywurst 1 Euro“, versprach die Filzstiftschrift auf einer Papptafel. Ich fragte mich, wer ausgerechnet in dieser gottverlassenen Ecke auf die Idee gekommen war, Würste zu verkaufen.

Knack!

Die Antwort fand ich beim Blick ins Innere. Dort stand der stolze Grillbesitzer, feierlich herausgeputzt: Er trug das strahlend weiße Outfit eines Chefkochs inklusive einer riesigen pilzförmigen Mütze. Er selbst war der einzige Gast der feierlichen Eröffnung. Weit und breit war kein hungriger Mensch in Sicht. Der Koch lächelte mir erwartungsvoll zu. Doch ich ging einfach weiter – und das tut mir noch heute leid. Denn als ich ein paar Wochen später wieder an dem kleinen Grill vorbeikam, waren die Luftballons und der Koch mit der Mütze verschwunden. In der Tür hing das Schlusswort vieler großer Pläne: „zu vermieten“.

Hoffnungslose Geschäftsmodelle brechen mir das Herz. Es sind Unternehmungen, denen auch Nicht-BWLer auf den ersten Blick ansehen, dass sie niemals eine schwarze Zahl schreiben werden; lang gehegte Träume, die sich besser nie erfüllt hätten. So wie das Fachgeschäft für Öko-Korkfußböden in der Nähe meines Elternhauses. Ein Typ mit Pferdeschwanz und Nickelbrille hatte geglaubt, den Laden ausgerechnet in dem biedersten Vorort meiner gänzlich unalternativen Heimatstadt eröffnen zu müssen. Auf dem Weg zur Schule sah ich ihn Tag für Tag am Schreibtisch zwischen seinen Korkmustern sitzen und auf Kunden warten. Ein halbes Jahr hielt er durch. Dann zog ein Automaten-Casino in die Räume.

Was treibt Menschen dazu, könnte man fragen, sich in so offenkundiges Unglück zu stürzen? Wer kann es bei klarem Verstand für gewinnträchtig halten, in der dunkelsten Ecke einer darbenden Einkaufspassage „Ritas kleine Glaswelt“ zu eröffnen? Gibt es keine Bankberater und gute Freunde, die einwenden, dass Berlin-Marzahn kein weiteres Nagelstudio braucht?

Vielleicht nützen die Warnungen nichts, wenn das zynischste aller Versprechen des Kapitalismus lockt: Dass man alles schaffen kann, solang man sich nur genügend anstrengt. Dass es auch ohne die Cleverness geht, ohne das Glück und die Abgebrühtheit. Dass man es nur wagen muss.

Das Bild des hoffnungslosen Curry-Kochs vergesse ich nicht. Auch wenn es nichts an seinem Schicksal geändert hätte, fühle mich schuldig, dass ich nicht wenigstens eine verdammte 1-Euro-Wurst probiert habe. Beim nächsten aussichtslosen Geschäftsmodell wird es anders sein. Ich werde nicht einfach vorbeigehen, sondern einen Quadratmeter Korkfußboden oder eine Glasskulptur kaufen und damit sagen: Cool, dass du träumst.

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