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Die Exil-Opposition

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Anastasia, 28, Journalistin

„Vor der Ukraine-Krise habe ich aus Russland für deutsche Medien berichtet. Heute will ich das nicht mehr. Ich habe keine Worte mehr übrig. Ich bin gebürtige Russin, als Kind kam ich nach Deutschland. Mit 17 zog ich nach Moskau und studierte dort. Die Stadt war voller Energie, in kreativen Kreisen wehte ein freiheitlicher Wind. Selbst als Putin wiedergewählt wurde, spürte man eine Hoffnung auf Veränderung. Ich wollte ein Bindeglied zwischen Deutschland und Russland sein. Erklären, was in meinem Land wirklich passiert.
 
Vor anderthalb Jahren schlug die Stimmung um. Blogs gelten nun als Massenmedien – fallen also unter eine strengere Gesetzgebung. Wer eine doppelte Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltserlaubnis in einem anderen Land hat, muss sich jetzt registrieren. Der russische Staat verlangt sogar Angaben, was man im Ausland beruflich macht. Auch ich falle unter dieses Gesetz.
 
Als ich gesehen habe, was nach der Revolution in der Ukraine passierte, reichte es mir. Bis vor ein paar Monaten pendelte ich noch zwischen Berlin und Moskau, zwei Wochen hier, zwei Wochen dort. Zum letzten Mal bin ich nach Russland zum Krim-Referendum geflogen, das war im März. Ich wollte etwas schreiben, und dachte dann nur – keinen Bock mehr. Mir fehlt der Antrieb, für dieses Land noch etwas zu riskieren. Jetzt lebe ich Vollzeit in Berlin. Vielleicht will ich später wieder mit meiner Arbeit ein Bindeglied zwischen Russland und Deutschland sein. Aber nicht jetzt.“
 

Viktor, 32, Informatiker

„Meine Familie kam aus dem russischen Woronesch nach Deutschland. Ich lebe schon seit 20 Jahren hier, aber früher ging es mir so wie vielen Russen hier: Ich sehnte mich nach Russland zurück, wollte dort zumindest für ein paar Jahre leben. In den letzten Monaten wurde ich davon geheilt. Momentan habe ich nicht einmal Lust, als Besucher hinzufahren.
 
Da ich russische Wurzeln habe, erwarten viele deutsche Freunde zumindest einen Kommentar dazu, was zum Beispiel auf der Krim passiert ist, nach dem Motto: „Äußere dich dazu, was deine Leute so treiben.“ Was soll ich denn dazu sagen, außer: „Hey, ich find’s auch nicht schön!“ Manchmal fühle ich mich als Stellvertreter eine Staates, für den ich mich schäme. Es gab Brüche in meinem Freundeskreis, zwischen Menschen, die finden, dass Russland sich gerade „von den Knien erhebt“ – und solchen wie mir, die die Entwicklungen kritisch sehen.

Auf Facebook und dem russischsprachigen Vkontakte wurde ich deshalb schon öfter entfreundet und habe mich selbst von Menschen verabschiedet. In den vergangenen Monaten habe ich zum ersten Mal Angst bekommen, dass unsere schöne Welt in Europa zusammenbricht. Dass doch nichts so sicher ist, wie ich denke. Was gerade in der Ukraine passiert, mag tausende Kilometer weit weg sein. Aber es geht mir unter die Haut.“
 

Lina, 31, Dolmetscherin und Übersetzerin

„Ich lebe in München, und es gibt hier momentan deutlich weniger Anfragen, Geschäftsverhandlungen zwischen Russisch und Deutsch zu dolmetschen oder Prospekte und Flyer zu übersetzen. Ich bin keine Wirtschaftsexpertin, aber ich glaube, dass sich beide Seiten gerade zurückhalten, weil die Situation unberechenbar ist: Die Deutschen reduzieren das Geschäft mit Russland, die Russen bereiten sich auf die Krise vor.
 
Seit Monaten fragen mich Kunden: „Haben Sie Angst, dass die Geschäftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland beeinträchtigt werden?“ Da ich ukrainische Wurzeln habe, fällt es mir besonders schwer, diese Frage zu beantworten. Natürlich habe ich Angst. Ich will ja meine Miete bezahlen. Die Sanktionen gegen Russland werden sich auch auf mein Geschäft niederschlagen. Aber ich fände sie richtig. Vor allem Deutschland sollte gelernt haben, dass kein Land der Welt einfach ein Stück anderes Land annektieren sollte.
 
Dabei interessiert Politik mich eigentlich gar nicht. Es geht mir um Leute, die mir nahe stehen. Geboren wurde ich in Charkow, einer ukrainischen Stadt, die 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt ist. Ich kam als Schülerin nach Deutschland, habe den größten Teil meines Lebens hier verbracht. Aber ich spüre auch in München, was gerade passiert. Die Krise hat einen langen Arm.
 
Am meisten beunruhigt mich, wie Politik den Hass zwischen Russen und Ukrainern schürt. Wenn ich Facebook aufmache, stehen mir die Haare zu Berge. Früher habe ich nicht viel darüber nachgedacht, wer von meinen Freunden Ukrainer und wer Russe wer ist. Heute spürt man das in den Kommentaren in sozialen Netzwerken.“
 

Alexei, 25, Student und Sänger

„Ursprünglich komme ich aus Dnipropetrowsk in der Ostukraine. Als ich zehn war, zog meine Familie nach Deutschland. Ich studiere Medizin, aber ich bin auch Musiker. Meistens trete ich mit ukrainischen und russischen Liedern auf. Wenn man mich früher für einen Russen hielt – und das passierte oft – habe ich’s nicht berichtigt. Ich habe damals ja selbst auf der Bühne gesagt, dass ich aus Russland komme. Jetzt sage ich: Ich bin in der Ukraine geboren.
 
Die russischsprachige Community ist gerade gespalten. Oft geht der Riss sogar durch die Familie: Meine Eltern und ich unterstützen die Bewegung, die auf dem Maidan anfing. Meine Großeltern sind aber vom alten Schlag, sie gucken russisches Staatsfernsehen. Was für mich eine Freiheitsbewegung ist, ist für sie Faschismus. Wenn wir zusammenkommen, beißen meine Eltern und ich uns auf die Zungen, um die alten Leute nicht aufzuregen.
 
Auf der Bühne sage ich aber meine Meinung, halte Ansprachen. Das deutsche Publikum fragt dann oft nach, ist aufmerksamer dafür geworden, was in der Ukraine passiert. Einmal bin ich vor russischen Zuschauern aufgetreten und habe ein pro-ukrainisches Gedicht vorgetragen. Es gab Applaus, aber nach dem Konzert kamen ein paar Leute auf mich zu und sagten, dass es nicht der richtige Ort dafür war. Einer von ihnen hat mir sogar Gewalt angedroht. Wenn ich jetzt für Auftritte gebucht werde, sagen Veranstalter auch mal: keine Politik auf der Bühne, bitte.“
 

Alexandra, 30, Übersetzerin für Englisch, Deutsch und Russisch

„Gerade spürt man eine gewisse Vorsicht in Geschäftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland. Manchmal wünschte ich, die Kunden wären noch kritischer – hier widersprechen sich meine geschäftlichen Interessen mit meinen idealistischen Vorstellungen.
 
Ich habe vorher kaum darüber nachgedacht, dass mein Geschäft so verzahnt mit der politischen Lage ist. Und wie ich persönlich dazu stehe. Das ist mir jetzt bewusst geworden. Es gibt einen moralischen Konflikt. Ich habe auch schon Anfragen abgelehnt, zum Beispiel als ich ein russisches Öl-Unternehmen repräsentieren sollte, das sehr Putin-freundlich war.
 
Ich bin sauer darüber, was gerade passiert! Ich bin in Moskau geboren und wohne in Deutschland, seit ich 13 bin. Ich habe noch Freude in Russland und der Ukraine und mache mir Sorgen um sie. Ich finde es traurig, wie Russland sich gerade verhält. Ich kann mir vorstellen nach Russland zu Besuch zu fahren – es wohnen ja wunderbare Leute da. Das Land besteht ja nicht nur aus Putin. Aber dort zu leben? Nein danke. Das Land wird von einem Diktator regiert. Und momentan wird er immer unvorhersehbarer.“


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