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Spinatautonomie. Und Luftholen.

Text: glitzerkugel

Es ist so. Zweijährige sind super. Jedenfalls der Zwack. Er hat viele Schmarrnideen, spricht verblüffende Dinge, erklärt die Welt, singt den ganzen Tag Lieder von rülpsenden Schlangen und Zwackidilen, hat gute Laune. Ein liebenswertes Kind. Nur manchmal muss man mich daran erinnern.



Im Angelsächsischen heißt es „Terrible Two“. Trotzphase. Aber natürlich sagt von uns pädagogisch aufgeklärten Halbwissenden niemand augenverdrehend „Trotzphase“, wir wissen, dass es besser „Autonomiephase“ heißt, die total wichtig ist, wegen der Selbstfindung, und unheimlich begrüßenswert. Total positiv. Und ja, die Kinder meinen das alles weder böse noch sonst irgendwie, sondern werden regelrecht von ihren Gefühlen überstürmt und auch dieses Austesten von Grenzen, Hauen, Treten, Schreien – alles dient nur der gesunden Loslösung. Ich finde es trotzdem bisweilen sehr sehr ätzend. Das sag ich jetzt natürlich nur Ihnen. So im geschützten Raum.



Gut, die Buchhändlerin weiß ansatzweise Bescheid. Ich frage nach einem Buch, das Kindern in der Autonomiephase ein bisschen helfe, sich selbst besser zu verstehen. Nix Pädagogisches, aber irgendwas, womit man sich identifizieren könne. Die Buchhändlerin nickt bedeutungsschwer und zeigt mir verschiedene Bücher, reagiert dann ein wenig enttäuscht, als ich keines mitnehme und frage, ob es Ähnliches auch für jüngere Kinder gebe. Wie jung denn, Aha, nun, nein. Mein Sohn hole ja wohl gerade erst etwas Luft. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das hören wollte.



Heute Mittag holt der Zwack also etwas Luft. Er wollte Nudeln essen, nicht Kartoffeln, also gibt es Nudeln, denen er ungeduldig entgegenfiebert. Als sie auf seinem Teller sind, weiß er nicht mehr, ob er Nudeln will, diese jedenfalls ganz bestimmt nicht, Mama, viele Nudel, viele Nudel, NEIN NEIN NEIN! NICHT NUDEL! VIELE! Ich versuche herauszufinden, was genau sein Problem ist.



Sie stellen sich diese Situation vielleicht recht einfach vor. Stellen Sie sich die Situation doch unterlegt von einem plärrenden Strizzi vor, dessen Plärren so laut ist, dass man für ihn mit Luft holen muss, weil er es selbst vergisst. Lärm entspannt keine Situation und schon gar keinen müden Zwack. Der Zwack also will überhaupt nicht, dass ich irgendetwas tue, sondern wirft brüllend eine Handvoll Nudeln auf den Tisch. (Ja! Mit den Händen!) Daraufhin räume ich seinen Teller ab.



Irgendwie bin ich immer die einzige hier, die nicht schreien darf, in solchen Situationen. Würde ich manchmal gerne. Außerdem hätte ich gerne ein Buch, das mir hilft, mich selbst besser zu verstehen, wenn mich diese Situationen überstürmen.



Als ich mich wieder an den Tisch setze, stopft sich der Zwack immer noch brüllend und halb weggetreten seine Nudeln in den Mund (Ja! Mit den Händen!), fährt sich mit den Nudelfingern müde in die Haare, in denen – wie auch am Auge – lange Spinatsträhnen hängen bleiben. Mit ein bisschen Distanz eigentlich ein lustiger Anblick. Distanz aber ist leider nicht meine Rolle. Als ich es schaffe, dass Strizzi trotz allem einschläft, muss auch der Zwack nicht mehr brüllen und irgendwann schlürfen wir in von mir animierter, bester Laune unsere Nudeln zu Ende. Der Zwack holt dann erst wieder zum Mittagsschlaf Luft.



Nachmittags treffe ich Valentina, frage, wie es geht. Sie deutet auf Alejandro, Er würde zu Hause hauen. Ich nicke. Und treten. Und schreien. Ich nicke. Und sie sei dabei so ungeduldig und wütend. Ich nicke. Sie nickt auch, Sie sei also normal? Die Kinder auch, sage ich. Dann holen wir beide Luft.

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