Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Woher der Hass? Anglizismen

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Vor einigen Jahren kam es am Bahnhof der niederbayerischen Stadt Straubing zu einem Kulturkampf. Die Bahn wies dort eine "Kiss&Ride"-Zone aus. Eine schöne Idee: Da können Autos kurz parken, damit die Angehörigen den Bahnfahrern am Gleis noch einen Abschiedskuss mit auf die Reise geben dürfen. Bloß hatte die Bahn das ganze eben auf Englisch zusammengefasst. Einem Straubinger Schulleiter im Ruhestand gefiel das gar nicht, mit den Anglizismen dauernd. Er beschwerte sich bei seinem Bundestagsabgeordneten. Der Bundestagsabgeordnete schrieb dann wiederum dem Bahnchef und der Bahnchef veranlasste, dass die "Kiss&Ride"-Zone Kurzzeitparken heißt. Außerdem, weil er gleich dabei war, dass Bahn-Flyer nur noch Handzettel und die Hotline Service-Rufnummer genannt wird.

Warum musste das schön rollende Kiss’n’ride gegen das hässliche Kurzzeitparken ersetzt werden? Die Geschichte aus Straubing ist deswegen interessant, weil sie zeigt, wie seltsam die Ablehnung von Anglizismen funktioniert. Ein Argument lautete damals tatsächlich, dass Menschen ohne große Englischkenntnisse mit der Bezeichnung ein Rotlichtviertel oder einen Sexparkplatz verbunden hätten - etwas wo man küssen kann und dann schnell wieder weg ist. Dabei hat das mit schwachen Englischkenntnissen gar nichts zu tun. Blöd war das Schild natürlich für jeden, der die Wörter "kiss" und "ride" überhaupt nicht kennt. Aber diese Leute wären ja gar nicht auf die Idee mit dem Sexparkplatz gekommen, für sie hätte da einfach ein Schild mit wirren Buchstabenkombinationen gestanden.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es geht weniger um die Vielfalt der deutschen Sprache. Es geht um das Abrakadabra des Neoliberalismus.

Seit langem kämpfen Schulleiter im Ruhestand und ihre Gesinnungsgenossen gegen die vielen Anglizismen da draußen. Natürlich haben sie Recht: Anglizismen schließen alle aus, die kein Englisch können. Aber das kann die Ablehnung nicht ausreichend erklären. Auch die jungen Gebildeten, die vier Fremdsprachen beherrschen und durcheinander sprechen, geben sich in Partygesprächen gerne sensibel und beklagen, dass die vielen englischen Ausdrücke schöne deutsche Wörter verdrängen.

In Wirklichkeit geht es bei der Ablehnung von Anglizismen oft gar nicht um den Ausschluss von Menschen oder die zu schützende Vielfalt des Deutschen. Es geht nicht einmal wirklich um die englische Sprache. Man merkt das an den Anglizismen, über die sich die Menschen am häufigsten beschweren – das Problem liegt nämlich nicht am Straubinger Bahnhof, sondern sitzt im abfahrenden InterCity: Beratertypen, BWLer und Start-Up-Hansel, die ganz unironisch in ihr Handy "branden", "downsizen" und "traction gainen" schreien und natürlich immer wieder: committen, committen, committen. Die magischen Beschwörungsfloskeln der neoliberalen Ideologie halt, sinnentleertes Abrakadabra. Die schreienden Handy-Leute tun zwar so, als würden sie gleich wieder Hongkong und L.A. zurückrufen, aber mit Englisch hat ihr Beratersprech überhaupt nichts mehr zu tun. Für die meisten Muttersprachler ist er genauso unverständlich wie für uns. Deswegen ist das Phänomen auch global.

Der amerikanische Komiker und Musiker Weird Al Yankovic hat gerade einen sehr schönen Song mit dem Titel  "Mission Statement" veröffentlicht. "Leverage our core competencies in order to holistically administrate exceptional synergy", singt Yankovic zu einer Melodie wie von Crosby, Still and Nash. Yankovic und andere Muttersprachler haben das genau gleiche Hassobjekt wie Anglizismen-Verächter in Deutschland. Es geht nicht um Englisch gegen Deutsch, es geht um Sinn gegen Blödsinn. Denn die deutsche Version von Corporate-Quatsch-Englisch ist ja keinesfalls besser – "Kernkompetenzen" und "Synergien".

Aber was kann die anmutige Kiss&Ride-Zone dafür, dass der Spätkapitalisms einen Apparat an seltsamen Jobs geschaffen hat, deren Inhaltsleere sich nur mit Beratersprech-Floskeln füllen lässt? Der Hass auf Anglizismen, mit der Vielfalt der deutschen Sprache hat er wenig zu tun, und jedes englische Wort, das nicht aus den Gehirnwindungen von Junior Consultants kommt, kann eine Bereicherung sein. Zum Beispiel "Bullshit". Denn das trifft besser als jedes deutsche Wort, was wirklich hinter dem Hass auf Anglizismen steckt: Hass auf Bullshit.


Text: lars-weisbrod - Illustration: Daniela Rudolf

  • teilen
  • schließen