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Was mir das Herz bricht: einsame Demonstranten

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Knack!

Sie haben sich das bestmögliche Publikum gesucht, die zwei Jungs: vor der Filmhochschule in München, wo an diesem Abend ein Vortrag mit Diskussion über Edward Snowden und die diversen Geheimdienste geplant ist. Wer an diesem 25 Grad warmen Sommerabend statt im Biergarten in einem Vortragssaal sitzen will, muss interessiert sein am Sujet! Sie haben sich gut vorbereitet: Sie haben zwei dicken Packen Flyer dabei, auf denen weitere Demos und Aktionstage angekündigt werden, und sich Schilder so groß wie Umzugskartons und mit der Aufschrift „#StopWatchingUs“ um die Hälse gehängt. Aber niemand achtet auf die zwei – in Ziffern: 2 – einsamen Demonstranten vor der Filmhochschule. Dabei meinen sie es doch so gut.  

Die Last der Schilder zieht an ihren Hälsen und auch an ihren Mundwinkeln, ich glaube nur deswegen, weil sie allein sind. Die zwei einsamen Demonstranten haben an alles gedacht, alles richtig gemacht, und trotzdem achtet keiner auf sie. Keiner nimmt sie ernst. Denn Demonstrationen funktionieren über die Masse. Ohne sie funktioniert kein Protest. Dieser Anblick bricht mir das Herz.

Demonstrationen sollen auf Missstände aufmerksam machen, sie sollen zeigen: Da ist ein Teil der Gesellschaft für oder gegen etwas. Und wenn dieser Teil nicht auf die Straße geht – oder eine Online-Petition unterzeichnet – wird niemals irgendjemand davon mitbekommen, besonders nicht die, die etwas daran ändern könnten. Deshalb stehen die beiden heute hier, mit ernster Miene. Es ist auch ein ernstes Thema. Zeitgleich heben sie die Hand mit den Flyern, um sie den ersten, die auf die mächtigen HFF-Türen zugehen, zu überreichen. Sie drücken sie ihnen nicht einfach beiläufig in die Hand, wie Studenten das mit Fitness-Studio-Flyern an der U-Bahn-Treppe tun. Sie gehen behutsam vor, damit die anderen stehenbleiben. Keiner bleibt keiner.  

Ich nehme einen Zettel, nein zwei, von jedem einen, nur damit sie nicht mehr so traurig schauen und damit das Knacken in meinem Herzen ein bisschen leiser wird. Nichts ist so schlimm wie etwas gut Gemeintes, das niemand haben will, und wenn man mit seiner Meinung ganz allein ist auf der Welt. Oder wenn es sich zumindest so anfühlt.  

Es gibt natürlich auch einsame Demonstranten, die mir nicht das Herz brechen. Die erstaunlich jungen Menschen, die in der Innenstadt meist zu dritt mit gratis Mitgliederzeitschriften und Bibelauszügen für ihre jeweilige Sekte werben zum Beispiel. Die Zeugen Jehovas sind meistens dabei. Ein Sekten-Magazin habe ich noch nie mitgenommen, nicht mal aus Mitleid. Oder die einsamen Gewerkschaftler, die manchmal in der Fußgängerzone stehen und für die sich niemand interessiert, weil alle um sie herum mit Besorgen, Essen oder Trinken beschäftigt sind und sich, bevor sie dem Gewerkschaftler zuhören würden, eher noch dem seltsamen Typen zuschauen, der mit einem super Gurkenhobler Gurken hobelt und das laut kommentiert. Die Sektenmitglieder, die Gewerkschaftler, auch der Gurkenhobler, der meistens auch einsam ist, sie werden fürs Einsamsein wenigstens bezahlt. Da ist es fast egal, ob sie hinter dem stehen, für das sie hier stehen.  

Die Tragik der einsamen Demonstranten liegt in ihrer Überzeugung. Oder darin, dass sie vergessen haben, die Demo anzumelden und deswegen allein herumstehen. Aber ihre Überzeugung allein hat sie hierher gebracht. Die braucht es, um für etwas auf die Straße zu gehen. Und um auf dieser alleine stehenzubleiben, braucht es noch etwas mehr davon.  

Als ich nach der Veranstaltung wieder rausgehe, stehen die zwei immer noch da. Die Packen Flyer sind in der Zwischenzeit nur unwesentlich dünner geworden. Ich stopfe schnell die Zettel in meine eigentlich viel zu kleine Tasche und nehme noch einen dritten Flyer. Und einen vierten auch.

Text: kathrin-hollmer - Illustration: Katharina Bitzl

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