Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Mädchen, wieviel Haut dürfen wir zeigen?

Teile diesen Beitrag mit Anderen:



Sagt uns gerne, dass wir im falschen Stadtviertel wohnen, aber: von zehn Jungs, die freitagnachmittags an unserem bevorzugten innenstädtischen Flussufer flanieren, tragen in letzter Zeit siebeneinhalb ein Shirt ohne Ärmel. Wir beobachten also diesen Sommer die Renaissance des Tanktops, des Spaghettiträgertops für Jungs, und fragen uns, was das mit euch macht, denen doch derlei Kapriolen immer zuerst ein Spreißel im Auge sind.

Wir, so viel sei gesagt, finden diese Wiedergeburt ganz gut. Mit dem Modell Schiesser-Feinripp, Deckname “Wifebeater”, wie man es klassischerweise von apulischen Pizzabäckern kennt, teilen sich die neuen Tanktops ja nur noch die ganz grobe Funktionsweise beim Anziehen. Die neuen Tanktops sind weiter geschnitten, intransparenter, bunt oder bemustert, korellieren weniger mit Löwensenfflecken als mit dezenten Denim-Rucksäcken und Münchner Seemannstattoos. Das neue Tanktop ist per se für zarte Rückenfiguren geschnitten - gut möglich übrigens, dass wir Cro stilistisch mehr zu verdanken haben als wir bisher ahnten.

Und die Dinger sind auch noch irre bequem: Tanktops bieten eine Dauerventilierung beider Achselhöhlen, angenehme Bewegungsfreiheit beim Winken, sie lassen sich so schnell an- wie ausziehen und haben fürderhin den Vorteil, dass sie unsere Spätsommer-Problemzone, nämlich die Rotweiß-Schranke auf dem Oberarm, langfristig zu einem gleichmäßigen Hellrot verwischen.

Geile Teile also für unsere Begriffe, aber mögt ihr es denn, wenn Kleidung unsere Achseln freilegt? Wenn nicht nur eine Elle Unterarmhaut sichtbar ist, sondern gleich ein ganzer Vorderlauf bis hin zum Schulterblatt? Ist der Trend zum Herrentop aus eurer Warte insgesamt begrüßenswert oder sagt ihr: Lasst den Quatsch den Teenie-Rappern und Streetballspielern und zieht euch was über?

Auf der nächsten Seite liest du die Mädchenantwort von mercedes-lauenstein.


Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Meine erste Antwort auf deine Frage lautet: Man soll tragen, was man tragen kann. Wenig würdigt ja einen Menschen so ab, wie Kleidung, die nicht zu ihm passt. Ich denke da an Frauen, die nicht auf hohen Absätzen laufen können und es trotzdem tun, Menschen, die sich trotz fülligeren Unterbaus die Vorliebe für Skinny-Jeans nicht ausreden lassen oder Männer, die glauben, ihr nur rar vorhandenes Haupthaar sei genauso gut für Dreads geeignet wie die Mähne eines Brasilianers.

Lauft ihr also jetzt nur deshalb in so einem luftigen Tanktop rum, weil ihr das wahnsinnig lässig und verlockend findet und denkt, damit seht ihr automatisch aus wie die Coolkids eures Viertels, dann wäre das zumindest mal reflektierenswert. Denn seid ihr darunter im Gegensatz zu diesen Coolkids eher bleich und aufgrund der nicht vorhandenen Vorliebe für sportliche Aktivitäten etwas, sagen wir, dellig, dann wird man euch das sofort ansehen. Es wird unsouverän aussehen und ja, es wird provozieren, dass wir sagen: Lasst den Quatsch den Teenie-Rappern und Streetballspielern und zieht euch was über.

Das von dir geschilderte Tanktop und der dazugehörige Style scheint mir aber von einem Jungstypus bevorzugt zu werden, zu dem es oft schon automatisch deshalb passt, weil er zwar vielleicht kein Teenie-Rapper oder Streetballspieler ist. Dafür aber ein, naja, ich will jetzt nicht die Jugendgruppierungsbezeichnung mit dem Anfangsbuchstaben „H“ in den Mund nehmen, dann kriege ich Prügel, aber man könnte sagen, es handelt sich hierbei eben durchaus, wie du schon andeutest, um einen ganz besonderen Typus Stadtbewohner. Nämlich den gemeinen Inviertel-Bewohner einer Großstadt, der unter Garantie in seinem Kleiderschrank das ein oder andere Paar Vans oder Nike Air Max stehen und mindestens ein Karohemd und eine enge Hose an einem aus alten Metallrohren selbstgebauten Kleiderständer hängen hat.

Jungs, wie übrigens auch Mädchen dieses Typus', kleiden und verhalten sich oft, manchmal bis Mitte, Ende 40, wie Anfang 20-jährige, weil es ihnen, vor allem stylemäßig, wichtig ist, entspannt, cool und gemütlich zu wirken. Man kann daran sicherlich viel Spottenswertes finden oder mit dem Wort „Berufsjugendliche“ um die Ecke kommen, aber Tatsache ist, dass das bei vielen dieser Menschen auch trotz eines eventuell fortgeschrittenen Alters gut und stimmig aussehen kann. Vor allem, weil die meisten solcher Typen es sich leisten können, ihren Style zu behalten. Es sind oft solche, die auch mit 30 noch aussehen wie 15. Und die aufgrund der Eitelkeit, die sie ja nicht zuletzt zu Inviertel-Bewohnern macht, meist automatisch auch darauf achten, dem Schönheitsideal zu entsprechen - das heißt: Nicht zuviele Dellen am Körper zuzulassen.

Eigentlich erinnert mich das Männer-Tanktop an die ebenfalls seit einigen Jahren sehr trendigen, weit ausgeschnittenen Tanktops bei Frauen, bei denen man darunter den BH oder den Bikini sieht und manchmal sogar den Bauchnabel. Das sind meist die gleichen Mädchen, die die abgeschnittenen Jeans-Hotpants tragen, bei denen man vorne die heraushängenden Taschen und hinten den halben Po sieht. Und es sind die Mädchen, die mit den Jungs mit den Tanktops rumhängen.

Sie bilden eine Einheit, diese Streetboys und Streetgirls, wie sie so zusammen durch die Straßen ziehen. Und vorausgesetzt, sie befolgen die Moderegel, die am Anfang dieses Textes bereits zitiert wurde, sehen sie dabei auch ganz gut aus. 

Aber sie transportieren eben auch eine ganz bestimme Botschaft. Es ist die „Ich will für immer jung und cool bleiben“-Botschaft der „H’s“ einer Stadt, hinter der nur leider oft statt echter Jugendlichkeit und Coolness oft und gerade bei fortschreitendem Alter eine etwas beklemmende, sehr bemühte Lässigkeit hevorschimmert. Oder wie eine gute Freundin letztens einen solchen, bereits etwas alternden Streetboy kommentierte: „Ach, die arme Hipsterwurst!“ Ups, jetzt hab ich das Wort ja doch gesagt.


Text: jan-stremmel - Foto: gschpænli / photocase.com

  • teilen
  • schließen