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"Man muss alles wie Werbung hinterfragen"

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Vergangene Woche wurde viel über ein Video aus Kreuzberg diskutiert, das auf den ersten Blick Polizeigewalt am Görlitzer Park zeigt. Ein Mann wird von der Polizei, nachdem er sich einer Ausweiskontrolle verweigert hat, auf den Boden und gegen einen Poller gedrückt. Die Situation eskaliert, am Ende rücken zahlreiche Polizisten an, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Der Mann liegt die ganze Zeit wehrlos am Boden, eventuell wird er sogar mit einem Schlagstock in die Hoden geschlagen.  
http://vimeo.com/100057283
Kurz darauf veröffentlichte die taz ein zweites Video, das die Situation aus einem anderen Winkel zeigt und dort weiterläuft, wo das andere Video geschnitten wurde. Die Polizei wurde bespuckt und beim Einsatz von Passanten bedroht, die Berliner CDU spricht im Bezug auf das erste Video nun von einem "linken Propagandafilm".
http://vimeo.com/100232807
Aber wer sagt denn nun die Wahrheit?

Dr. Jürgen Reiche ist Fachmann für Bildmanipulation, er hat zwei Ausstellungen zu dem Thema erstellt und leitet das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

Haben Sie das Video vom Görlitzer Park gesehen?
Nein, aber ich habe in den Zeitungen darüber gelesen. Seit ich mich mit dem Thema Bildmanipulation befasse, müssen solche Bilder und Filme für mich automatisch kritisch hinterfragt werden. Ich war selber nicht dabei und kann deshalb nicht beurteilen, was wahr ist. Bei Berichten, die solche Filme dann in irgendeine bestimmte Richtung deuten wollen, werde ich aber natürlich hellhörig.  

Der Film wurde oft als Beweis für unverhältnismäßige Polizeigewalt angeführt. Andere führten wiederum an, der Film sei geschnitten und die Vorgeschichte weggelassen...
Ich bin mittlerweile bei jedem Video und Bild skeptisch, weil sie alle mit bestimmten Interessen verbunden sind. Sei es von den Personen, die sie aufnehmen, ins Netz stellen oder weiterverbreiten. Ob der Film dann geschnitten ist oder nicht, ist eigentlich egal. Man kann ja auch schon manipulieren, in dem man nur einen bestimmten Moment oder eine bestimmte Perspektive auswählt.  

Aber müsste die Authentizität von Bildern in einer Zeit, in der jeder alles fotografiert, filmt und ins Internet lädt, nicht auch leichter überprüfbar sein? Ist die Welt nicht transparenter geworden?
Ich glaube nicht, dass sie durch das Internet transparenter geworden ist. Sie hat nur viel mehr Bilder ins Portfolio genommen. Das Thema ist heute populärer denn je, weil wir in einer Welt leben, in der wir sehr stark über Bilder kommunizieren. Bilder geben uns Orientierung, ihre Sprache ist international. Und slbst wenn wir die Augen schließen denken wir in Bildern. Gleichzeitig ersaufen wir aber auch in der Bilderflut. Wer will sich da noch orientieren? Deshalb habe ich die These, dass wir uns gründlich informieren und mit einem kritischen Blick ausstatten müssen.  

Theoretisch müsste das Internet dafür ja optimal sein, schließlich hat man dort zahlreiche Quellen. Faktisch werden dort allerdings auch immer die gleichen falschen Meldungen und Bilder geteilt.
Im Internet wird mit Bildern oft ein Hype erzeugt und letztendlich ist das Internet auch ein Markt, der bedient werden will. Da gibt es gelenkte Interessen. Manchmal von Gruppen oder Personen, manchmal ist es auch einfach nur ein Jux. Man muss also auch im Internet alle Quellen und Interessen hinterfragen ähnlich wie bei der Werbung. Die haben wir uns ja auch angewöhnt, sie kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig kaufen wir aber natürlich trotzdem alles, was sie uns anbietet. Vielleicht ist es auch einmal Zeit, das Publikum anzugehen. Vielleicht sollte jeder selber mal kritisch hinterfragen, ob er die Wahrheit überhaupt hören will. Vielleicht lieben wir den Hype, Thrill oder die Legendenbildung, haben Angst vor Langeweile und mögen Klischees? 

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dr. Jürgen Reiche

Sie haben die Ausstellung X für U Bilder die lügen kuratiert, die zahlreiche solcher manipulierten Bilder und Filme zeigt. Viele der dort präsentierten Beispiele stammen aus Kriegen. Sind Bilder eine beliebte Kriegswaffe?
Ja, denn im Krieg werden wir mit Bildern konfrontiert, die wir glauben sollen, da wir uns vor Ort ja keinen eigenen Eindruck machen können. Im Irakkrieg haben solche manipulierten Bilder unter anderem zu einem Kriegseinsatz geführt. Von dort wurde eine Ölverschmutzung gezeigt, die es so nie gegeben hat. Es wurde behauptet, die Soldaten Saddam Husseins hätten in Kuwait Kinder aus Brutkästen genommen und getötet, eine Krankenschwester hat das unter Tränen vor dem US-Komitee für Menschenrechte ausgesagt. Dann kam allerdings raus, dass sie eigentlich die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war und eine PR-Agentur für diese Lüge bezahlt wurde. Andersrum hat auch Saddam Hussein gefälschte Bilder publiziert. Bilder. die ein zerbombtes Krankenhaus zeigen. Da weiß keiner, aus welcher Quelle die Bilder stammten und ob das wirklich die Amerikaner waren. Das alles sind gewaltige Dimensionen, die politisches Handeln nach sich ziehen. Bismarck hat schon gesagt, dass nie so viel gelogen wird, wie vor der Wahl, beim Angeln und während des Krieges. Winston Churchill hielt die Lüge sogar für einen ganz wesentlichen Teil der Kriegsführung. Aber auch andere Militärs, wie die Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen, sagen offen, dass Propaganda und falsche Bilder ganz legitime Mittel im Kampf sind.

Inwiefern zieht sich Bildmanipulation durch die Geschichte?
Bildmanipulation gibt es schon lange. Das Pressebild ist eine Erfindung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und bereits bei der Berichterstattung über den Krimkrieg 1853 gab es manipulierte Bilder. Im 20. Jahrhundert hat sich die Technik dann stark verbessert. In der Stalin-Ära wurden Personen, die getötet wurden, nachträglich aus Bildern verbannt. Das führte soweit, dass man sogar aus Zeitungen in Archiven diese Personen nachträglich ausschnitt. Alexander Dubček, Reformer aus der Tschechoslowakei, wurde aus einem Bild rausmanipuliert, bei dem man dann leider vergaß, die Schuhe wegzuretuschieren. Die Schuhspitzen waren dann immer noch im Bild. Der technische Fortschritt schreitet unaufhaltsam voran. Bei Forrest Gump schüttelt Tom Hanks bereits die Hand von John F. Kennedy, der zu diesem Zeitpunkt schon lange tot ist. Und heute können ganze Bildserien manipuliert werden, Schnitte werden kaum noch erkannt, Menschen werden aus Bildern raus- und in andere Szenen reinmontiert, ohne dass wir es merken. Auch ein Kameramann, der entscheidet "diese Szene lasse ich drin und diese nehme ich weg" manipuliert. Da wären wir dann wieder beim Görlitzer Park. Man kann über so etwas nur urteilen, wenn man alle Informationen zu einem Bild oder Film hat.  

Aber ist das denn überhaupt möglich alle Informationen zu einem Bild zu haben?
Wir denken schon länger darüber nach, was man fordern müsste um Bilder als echt zu deklarieren. Ein Wasserzeichen? Ein Archiv, in dem echte Bilder dokumentiert werden? Aber es gibt nun mal keine echten Bilder im Sinne von Abbildung der Wirklichkeit. Dieser Illusion darf man sich nicht hingeben. Also kann ich nur raten, sich aus mehreren Quellen zu informieren, um der Wahrheit näher zu kommen. Die ganze Wahrheit werden wir aber nie erfahren.

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