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Koan Münchner

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Der Tegernseer Maurice Iarusso, 28, von der Privatinitiative „Tegernblut“ ruft auf seiner Website zum Protest auf. Gegen Münchner. Sie sind, so Iarusso, schuld daran, dass die Waldfeste, die von Juni bis August rund um den Tegernsee stattfinden, nicht mehr das sind, was sie einst waren: „Die Waldfeste verkommen zu einer niveaulosen Sauf- und Protz-Party für Isarpreißn-Dumpfbacken aus der Landeshauptstadt.“

Das ist ein Schlag für das Selbstbewusstsein der Münchner, die sich doch eigentlich immer für Gottes Geschenk ans bayerische Voralpenland gehalten hatten. Doch dass diese Sichtweise nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit beruht, war schon zu ahnen, bevor sich der Widerstand regte.
 
Aus diesem Grund hat Iarusso für Anfang August eine Demonstration mit dem Titel „Minga,Goa Home“ angekündigt. Seine Forderungen: Keine Platzreservierung mehr, Beschränkung der Münchner Besucher durch Fahrzeugkontrolle, Anheben der Parkgebühren für Münchner Autos auf 250 Euro pro Stunde. Und wer nicht fehlerfrei „Brezn“, „Maß“ und „Hendl“ bestellen kann, soll mit sofortiger Wirkung des Festgeländes verwiesen werden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Massen der Partymünchner sind bei den Einheimischen nicht immer willkommen.
 
Ganz ernst gemeint ist der Katalog an Forderungen selbstverständlich nicht, doch Iarusso, der schon öfter mit Satireaktionen PR in eigener Sache machen wollte, spiegelt mit seinem Aufruf die Gemütslage wieder, die im Tegernseer Tal schon länger brodelt: Die Münchner, so glauben dort nicht wenige, sorgen dafür, dass aus den einst gemütlichen und traditionellen Festen eine Art Dauerparty für vergnügungssüchtige Faschingstrachtler aus der Hauptstadt wurde.
 
Iarusso reagierte mit seinem Demo-Aufruf auf eine Flut von Zeitungsberichten, in denen die Probleme der vergangenen Waldfeste geschildert wurden: Der Besucherandrang sei von Jahr zu Jahr gewachsen und mittlerweile so groß, dass auf einigen Festen die Menschen fast erdrückt wurden. Besonders die zahllosen Betrunkenen, die sich in gefährliche Situationen begaben, machten der Polizei Probleme. Den Einheimischen geht es vor allem auf die Nerven, dass Partyveranstalter aus München die Waldfeste in der Werbung für ihre Busreisen als „hippe Partys“ anpreisen, auf denen die Besucher „das bayerische Brauchtum mit feschen Dirndln und strammen Wadeln“ kennenlernen können.
 
Und so Unrecht haben all die Kritiker nicht. Es sind nicht nur die Partybusse, die von Münchner Bars gechartert werden und mit DJ, Bar und Disco bestückt ins Voralpenland düsen, wo sie angesoffene Feierbiester ausspucken. Es sind auch nicht nur die Event-Alkoholiker, die jede Veranstaltung – also auch die Waldfeste – dafür nutzen, sich so vollzusaufen, dass sie nicht einmal mehr in der Lage sind, einigermaßen sicher nach Hause zu finden, sondern auf unbeleuchteten Landstraßen herumtorkeln und auf der Suche nach Mitfahrgelegenheiten auch Polizei- und Krankenwagen anhalten. Es ist vor allem die Masse, die Unwohlsein verursacht. Und zu der gehören eben genauso all die Freizeitoptimierer und Instagram-Wochenendler, die das Umland oft eher als fotogene Kulisse für die Inszenierung ihrer Freizeit benutzen.

Naherholung wird hier so ernsthaft betrieben wie anderswo die Suche nach dem besten Club


München gilt als die Stadt mit der höchsten Lebensqualität in Deutschland. Und diese Lebensqualität speist sich zu großen Teilen aus dem wunderschönen Umland. In einer knappen Stunde sind wir in den Bergen, liegen am See oder stehen auf der Piste. Besucher aus anderen Großstädten sind regelmäßig schockiert von der streberhaften Münchner Wochenend-Mentalität. Davon, dass es auch bei jungen Menschen nicht reicht, den Samstag nur zu nutzen, um den zum Kater auszukurieren, Leergut wegzubringen und den Abend zu planen. Sondern dass junge Münchner im besten Partyalter tatsächlich und ganz ohne einen Hauch von ironischer Distanz morgens um sieben Uhr in die BOB steigen, um später einen Berg zu erklimmen – ganz freiwillig, inklusive Wanderkarte, Gipfelbucheintrag und zünftiger Hütteneinkehr. Naherholung wird bei uns so ernsthaft betrieben wie anderswo die Suche nach dem besten Club. Sogar Münchner Clubbesitzer sind bekannt dafür, an jedem Wochenende die kurvigsten Straßen im Voralpenland mit ihren Rennrädern heimzusuchen.

Die Rache des Umlandes bestand bisher darin, es dem Münchner Wochenendtouris so schwierig wie möglich zu machen, sich richtig zu verhalten. Er musste viele Fallen umgehen, um bei den Einheimischen als „einer von ihnen“ zu gelten. Wer schon einmal eine Hüttenwanderung gemacht hat, kennt das unangenehme Gefühl der Unsicherheit, wenn man sich nicht als Hornochse, Städterer oder gar Preiß outen will, aber nicht genau weiß, in welcher Hanglage und Richtung die Worte „obi“, „auffi“ und „ummi“ angebracht sind. Und wer es schafft, sich verbal einigermaßen unfallfrei zu verständigen, hat noch lange nicht all die Hüttenregeln verinnerlicht, die aus unerfindlichen Gründen nicht verbal, sondern nur per Osmose oder jahrzehntelanger Mitgliedschaft in der Alpenvereinssektion Oberland vermittelt werden.

Doch subtile Maßnahmenkataloge wie diese funktionieren nur so lange, wie die Menschen bemüht sind, sich anzupassen. Wer in der Mehrheit ist und sich dessen bewusst ist, hat nur noch verhältnismäßig wenig Ansporn, sich anzupassen.

Wenn man es sich genau überlegt, ist es wirklich kein Wunder, dass dieser nicht enden wollende Strom der Naherholungsfanatiker der Landbevölkerung auf die Nerven geht. Wir verstopfen ihre Infrastruktur und verschwinden am Abend wieder zurück in die Stadt. Zurück lassen wir unseren Müll – und unser Geld. Wenigstens das! Denn sonst hätten sie uns vermutlich schon längst rausgeschmissen aus ihren Hütten, Liften und Strandbädern.

Mittwoch vergangener Woche hat Iarusso, der hauptberuflich als Makler arbeitet, seine Demonstration wieder abgesagt. Es habe eine Versöhnung mit München über einer Maß Bier im Augustiner stattgefunden – inszeniert von der Bild-Zeitung. Die Organisatoren der größten Waldfeste haben unterdessen private Security-Kräfte engagiert, um sich auf den Feier-Ansturm vorzubereiten. Und die Polizei von Bad Wiessee hat beim Präsidium in Rosenheim Unterstützung angefordert.

Text: christina-waechter - Illustration: Sandra Langecker

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