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Obdachlos

Text: pascal1988

Eine Familie habe ich eigentlich nicht. Meine Mutter lebt in Augsburg, sie ist alkoholabhängig. Ich wuchs in München in diversen Jugendheimen, Jugendwohngemeinschaften und Obdachlosenunterkünften auf. Ich rutschte in die Alkohol- und Drogenszene hinein, bekam Anzeigen wegen Diebstahls und Körperverletzungen, saß deswegen auch vier Monate in München-Stadelheim.



In mir wuchs der Drang, mein Leben zu ändern. Aber wie sollte ich es alleine schaffen? Jemanden, der mir sagte, was richtig oder falsch ist, hatte ich nicht. Ich entschied mich, in einem anderen Bundesland einen Therapieplatz zu suchen. Bekam einen Platz zur Alkohol-Entwöhnung in der Friedrichsdorfer Salus-Klinik. Es waren die sieben besten Monate meines Lebens. Ich entdeckte in mir verborgene Eigenschaften. Ich verliebte mich und zahlte die restlichen Strafsachen aus München. Ich fand in Friedrichsdorf mit viel Glück eine Wohnung.



Alleine war es aber nicht einfach. Es fiel mir sehr schwer, die von der Klinik erlernte Tagesstruktur beizubehalten. Ich hatte regelmäßig Rückfälle, bald machte ich die Nacht zum Tag. Ich wusste, dass es für mich nicht gut war. Und es gelang mir auch nicht, eine Arbeit zu bekommen. Einen Schulabschluss habe ich nicht. Und die Ausbildung zum Beikoch habe ich abbrechen müssen. Dann wurde mir die Wohnung gekündigt. Mein Vermieter war pleitegegangen und musste das Haus verkaufen.



Selbstmordversuch vorgetäuscht

Was tun? Vergeblich blieb die Suche nach einer anderen Bleibe. Dazu bekam ich dann auch noch Angst vor den Fragen, die die Vermieter mir stellten. Ich ging ins Friedrichsdorfer Ordnungsamt und fragte nach Möglichkeiten, nicht auf der Straße zu landen. Dort wurde mir gesagt, ich solle gegen die Wohnungskündigung klagen. Oder die Stadt könne mir einen Container in der Siedlung geben, in der sie vor einem Jahr jemanden totgeschlagen hatten. Beides war keine Optionen für mich.



So verging die Zeit, bis ich aus der Wohnung rausmusste. Am letzten Tag kaufte ich mir von meinem letzten Geld vier Flaschen Wein. Ich trank sie alleine, überlegte, was ich machen sollte, um genügend Zeit in der Psychiatrie zu haben. Ich wusste, dass es im Köpperner Waldkrankenhaus Sachbearbeiter gibt, die mir helfen konnten, eine Bleibe zu finden. Mir kam die Idee, einen Selbstmordversuch vorzutäuschen. In einem Laden klaute ich einen Rasierer und schnitt mir die Arme auf. Ich wurde gefunden. Ich hatte es geschafft, erstmal ein Dach über dem Kopf zu haben.



In Köppern half man mir zu schauen, welche Unterbringungsmöglichkeiten es für mich gibt. Eine Suchtwohngruppe kam für mich nicht in Frage. Ich hatte viel zu sehr Angst, dass ich rückfällig werden könnte. Dann eher das Haus Am Mühlberg in Bad Homburg. Aber es nimmt nur Leute auf, die mindestens sechs Wochen lang obdachlos waren. Frei war ein Platz in Nordhessen. Aber da wollte ich nicht hin. Ich habe einen guten Freund im Hochtaunus und kenne hier eine Frau, mit der ich in Kontakt bleiben will. Dieses Mal schnitt ich mich so stark, dass ich sogar genäht werden musste. So bekam ich, was ich wollte: einen Platz im Haus am Mühlberg. Diese Chance werde ich nutzen, um weiterzukommen. Um Freundschaften zu festigen und eine Arbeit zu finden.

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