Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

verdächtigt

Text: pascal1988
Es war im Jahre 2007. Ich bin gerade achtzehn geworden, ich durfte endlich über mein Leben entscheiden, endlich raus aus dieser scheiß Jugendwohngruppe.

Ich spürte die Freiheit, über Morgen machte ich mir keine Sorgen, so zog ich von heute auf morgen aus. Ich dachte es wäre besser wegen meiner Ausbildung.

So ging ich erst Mal zum Amt, ich wollte einen Platz zum Wohnen. Die schickten mich in eine Obdachlosen-Einrichtung - in die Pilgerseheimerstraße in München, bekannt als die Pille, erst mal nur für eine Nacht bewilligt.

Der Sacharbeiter der mir klar machte, dass ich nur ein Stück Dreck bin, bewilligte mir so mein Gefühl die darauf folgenden Tage nur ungern, so hatte ich schnell die Schnauze voll, und zog auch aus der Pille wieder aus, ich hatte ja Freunde in der Alkohol und Drogen Szene!

Es sprach sich schnell herum, dass ich obdachlos bin. So wurde mir von Nicole und Herbert ein Angebot gemacht, dass ich erst Mal in ihrer Wohnung wohnen könnte und das machte ich. Mir wurde gelernt, wie man auch ohne Geld überleben kann, mir wurde das schnorren gelernt, ja und es ging gut. Herbert wohnte noch in der Wohnung, also waren wir zu zweit.

Herbert brauchte am Tag seine zwei Flaschen Wodka, er war stark abhängig und konnte denn Alltag nur mit einen bestimmten Pegel bewältigen, so Sachen, wie sich zu duschen war er nicht mehr in der Lage.

So half ich ihm zweimal die Woche in und aus der Badewanne, als ich ihm das erste Mal in die Badewanne setzte war das Wasser so dreckig das ich es zweimal neu einließ. Ich wollte nicht sehen wie Krank er war, er pisste sich fast jede Nacht ein, so das ich jeden Tag mit einen Dampfstrahler das Bett reinigte, ich machte mir Sorgen um ihn, so überredete ich ihn mit im zum Arzt zu gehen.

Der Arzt untersuchte ihn und als Herbert nicht hinschaute, sah mich der Arzt an und schüttelte mit dem Kopf. Ich wollte es nicht verstehen, Herbert war erst 32, man kann doch Niemanden für tot erklären, der noch lebt, aber dann dachte ich mir scheiß auf den Arzt. Ich werde ihn schon wieder hinbekommen.

So versuchte ich ihn etwas vom Alkohol runter zu bekommen. Tags über ging es ganz gut, aber nachts, da schrie er nach dem scheiß Alk wie ein kleines Baby.

Bis ich aufwachte und im etwas einflößte, alleine war er nicht mehr in der Lage. Für ein paar Tage ging es ihm dann auch wieder besser, doch dann, von heute auf Morgen, hatte er überhaupt keinen Lebenswillen mehr oder Kraft, wenn ich ihn so sah bekam ich Angst.

Meine Mutter, also meine Erzeugerin, war nicht viel älter als er und ist auch alkoholabhängig. Ich kannte sie da noch nicht und hab eigentlich nur schlechtes über sie gehört. Und nun sehe ich einen Mann von 32 Jahren, der sich mit Heroin und Alkohol kaputt gemacht hat, sich zerstört hat.

Jetzt trank er zwar nur noch, aber eigentlich nicht, weil er freiwillig aufgehört hatte Heroin zu konsumieren, sondern weil er dafür keine Kraft mehr hatte sich den Stoff zu besorgen. Es wurde immer schlimmer. Wenn er versuchte aufzustehen, fiel er wieder hin. Dann hatte er wieder bessere Tage, denn Alkohol musste ich täglich für ihn besorgen. Eines Nachts fing er dann wieder an zu schreien, nach meinem Namen.

Es war um 2-3 Uhr. Er hatte die Flasche Vodka verschüttet. Ich versuchte es ihm klar zu machen, dass ich jetzt nirgends was besorgen könnte um diese Zeit, aber er schrie und schrie, fing zum heulen an, zitterte am ganzen Körper, aber ich konnte nichts machen um diese Zeit,

ich war fertig mit den Nerven und ging wieder in mein Zimmer zurück. Auf einmal stand er an der Türe, schrie mich an ich solle ihm Wodka besorgen, auf einmal schubste er mich, so dass ich in so einen Wandspiegel rein flog.

Ich schnitt mir die rechte Hand auf, darauf hin gab ich ihm auch eine, er ging gleich zu Boden. Scheiße, was hab ich getan! Überall Blut. Ich wählte sofort den Notruf. Als der Notarzt kam, stellte der Fest das alles mein Blut war und wir wurden beide mitgenommen.

Die Polizei fragte noch ob wir uns anzeigen wollen, nein, weshalb auch. Im Krankenhaus wurde ich genäht und mir wurde klar, dass ich Herbert nicht helfen könnte, aber wo sollte ich denn hin? Was könnte ich noch tun?

Im Krankenhaus wollte er nicht bleiben, und ich konnte es nicht mehr ertragen tagtäglich seine Qualen zu sehen, ich wollte von ganz Deutschland nichts mehr wissen, ich wollte keinen Alkohol mehr Trinken, denn ich wollte nicht so enden wie er!!!

Ich wollte einfach nur weg. So tramapte ich nach Sardinien, es war mein schönster Urlaub im Leben. Meine Pflegeeltern, sie waren in dieser Zeit meine letzte Hoffnung. Dort angekommen rief am selben Tag noch mein ehemaliger Erzieher an, der mir am Telefon sagte ich würde wegen Mordes gesucht werden.

Nun war alles vorbei, ich dachte jetzt springst du am Besten von einer Klippe, meine Pflegemutter sah es mir glaube ich an, sie beruhigte mich, meinte es wäre noch gar nichts bewesen, sie würde morgen erstmal selber bei der Polizei in München nachfragen.

Das tat sie auch, sie erfuhr ich würde erstmal nur als Zeuge gesucht werden. So sagte sie es mir, ihr das zu glauben fiel mir schwer, ich dachte sie lügt, weshalb sollte dann mein ehemaliger Erzieher so was sagen?

Aber es war klar - ich müsste wieder zurück nach Deutschland. Mein ehemaliger Erzieher und mein Vormund würden mich am Flughafen erwarten, ich rechnete eher damit ich würde am Flughafen noch verhaftet werden, aber nein ich wurde von keiner Polizei erwartet. Wie gesagt waren die Beiden da, und mir wurden erstmal Vorwürfe gemacht, wie immer, und wie ich es dann immer machte sagte einfach nichts, was hätte ich auch sagen sollen?

Als ich von Herbert ging lebte er ja noch, konnte ja selber nur hoffen, dass ich an sein Versterben nicht schuld bin. Am nächsten Tag machte ich die Aussage bei der Polizei, wo mir gesagt wurde ich würde erstmal nur als Zeuge gesucht werden.

So machte ich die Aussage und ich blieb ein freier Mann doch, ob ich an sein Versterben schuld bin, das konnte nur die Gerichtsmedizin feststellen. Der Arzt, der die Leiche untersucht hat, hatte ein natürliches Ableben festgestellt, doch es könnte gut möglich sein, dass der Schlag den ich im gab, ein Blutgerinnsel verursacht hat, dann wäre ich am ableben schuld. Aber nachdem nichts bewiesen war konnte ich nicht verhaftet werden.

Irgendwie müssen alle die mich kennen gedacht haben, ich wäre nun unberechenbar geistesgestört, deshalb sollte ich erstmal am Besten in die Psychiatrie. Es tat weh, dass die Menschen denen ich vertraute so dachten. Doch als ich dann in der Psychiatrie war, stellte ich fest, dass es gar ned so schlimm war, es war wie Urlaub. Sechs Wochen war ich dort, es war eine schöne Zeit, die ganze Zeit schönes Wetter.

Eines Tages kam um sieben in der Früh die Schwester ins Zimmer und sagte die Polizei wäre hier, ich wusste sofort, dass nun der Haftbefehl draußen war. Was würden die sonst um diese Zeit hier wollen? So ging ich runter. Die Beamten sagten mir was ich eh schon wusste, ich fragte nur noch ob es noch die gefährliche Körperverletzung wäre, sie bejahten es.

Nun war ich verhaftet. Mein letztes Gespräch ging nach Sardinien. Dreieinhalb Monate saß ich in U-Haft, mit der Sicherheit ich hätte jemandem getötet, ihm einfach das Leben genommen, ich hatte es zwar nicht schriftlich, aber weshalb sollten sie mich sonst einsperren? Nachdem ich unter einundzwanzig war kam ich nach Stadelheim in die Jugendabteilung.

Da ließ ich mir eineinhalb Monate so ziemlich alles gefallen, die ganzen Provokationen ich wäre ein Mörder, die Beleidigungen an meine Familie, aber sie wurden immer frecher.

Einer bedrohte mich mit einen Teppichmesser, ein Anderer, der in dieser zeit mein Zellengenosse war meinte er könnte seinen Schwanz auf mein Buch legen, danach hatte er eine gebrochene Nase, ich bedrohte ihn anschließend, so das er den Beamten auch sagte, dass er seinen Schwanz aufs Buch gelegt hatte.

Eine Woche darauf nahm ich mir den Nächsten vor, der mich vom ersten Tag an, als ich im Knast saß provoziert hatte. Ich war gerade auf der Toilette, als ein Schwall Wasser auf mich runter kam, ich sprang auf, packte ihn an der Kehle, sagte zu ihm: unterschätze mich nicht, ich lass mir das von euch Idioten nur alles gefallen, weil ich keinen Bock habe länger als nötig hier drin zu verweilen.

Ich wusste ganz genau, sollte ich doch Glück haben und es war ein natürliches Ableben dann bin ich ganz schnell ein freier Mann, die Zeit schien zu stehen, ich fing sogar mal an Gläser zu rücken, die Antwort war ich wäre nicht schuld! Aber was half mir das schon. Ich betete jeden Abend und in der Früh das ich unschuldig bin! Und wartete. Die Beatmen waren in dieser Hinsicht keine Hilfe, sie verlangten auf Wunsch den Haftbefehl.

Einer sagte zu mir, das war am Tag der Aufnahme, ah ha ein Borderliner du bekommst sowieso eine Einzelzelle dann bringst dich eh um!!! Der Psychiater sagte mir, als er den Haftbefehl las: ich sollte mir keine Hoffnung machen, dass ich keine Schuld an das ableben habe, mein Anwalt konnte mir auch nichts sagen außer, dass die Gerichtsmedizin die Leiche immer noch eingefroren hatte.

So wartete und hoffte, bettete und hoffte, wenn ich nicht arbeiten musste - las ich, ich las nur, es gab mir ein Gefühl von Freiheit und es war das einzige was mich ablenkte, ich lebte so gesagt in den Büchern.

Ja, viele lachten über mich deshalb, aber es war mir egal so wie mir Jeder im Knast egal war. Ich blieb lieber der Einzelgänger, was nicht heißt, dass ich mich im Knast an die Regeln gehalten hätte,

in der ganzen Zeit wurde ein bis zweimal meine Zelle gefilzt, das ließ ich den Russen wissen, denn mit Russen bin ich schon immer gut ausgekommen, wahrscheinlich weil ich als einer durchgehen könnte. So bekam ich mal an bisschen Gras, Pornozeitschriften, Pendel, um was von Zelle zu Zelle übergeben zu können.

Wäre in manchen Zeiten meine Zelle gefilzt worden, ich wäre für paar Wochen in denn Bunker gegangen, aber manchmal glaube ich, die Beamten hatten wohl ihren Deal mit den Russen. Von einer Beamtin bekam ich regelmäßig Tabak und immer dann wenn ich Tabak brauchte.

Die Russen wollten auch nicht wahr haben, dass ich Deutscher sei, ich würde mich nicht wie ein Deutscher verhalten, frag mich, wie verhaltet sich denn ein Deutscher? Naja, ich war froh, dass ich die Russen hinter mir stehen hatte, so hatte ich Schutz.

Als ich in München noch auf freien Fuß war, wurde ich mal von drei Türken überfallen mit Messer, ich ließ mich einfach zusammen schlagen, sich zu wehren bringt da nichts, wenn man kein Messer in den Rippen haben möchte.

Sie hatten mich ganz schön zerlegt: Rippenprellung, am Handrücken haben sie mich mit Stigmata wahrscheinlich mit der Gürtelschnalle gekennzeichnet, Striemen vom Gürtel im Gesicht.

Irgendwann muss ich bewusstlos geworden sein, als ich wieder zu mir kam war die Polizei da und wollte mich dazu befragen nur hatte ich Angst vor Rache und machte keine Anzeige, wurde dann trotzdem nochmal vorgeladen, wo ich auch hinging, aber sie wollten mir nur einen Drogendeal nachweisen.

Ja ich trieb mich damals zu viel in so Kreisen herum, aber gedealt, oder so was in der Art, hab ich nie, ich war nur immer Käufer. Blöderweise traf ich einen von ihnen wieder und zwar im Knast. Er prahlte herum wie er mir den Gürtel drüber gezogen hätte und Die Russen fanden das Ganze nicht so lustig und so machten sie mal das selbe mit ihm, ohne das ich darum gebeten hatte, aber schlimm fand ich es auch nicht, wahrscheinlich war es nur auch ein Zeichen man sollte lieber die Finger von mir lassen.

Endlich kam die Vorladung, endlich wusste ich an welchem Tag sich alles entscheiden würde. Vorgeladen wurde ich am 5.9.2007. Drei verdammte Wochen noch, einschlafen konnte ich nur mit Schlaftabletten, die Zeit verging nicht und immer noch selbe quälende Frage: wirst du nun für sein Ableben schuldig gesprochen, bin ich ein Mörder oder bin ich keiner?!?

Zwei Tage vor der Verhandlung besuchte mich noch mein Anwalt, der mir die Vertrauliche Info gab: sollte es bei gefährlicher Körperverletzung bleiben, würde ich mit vier Wochen Arrest davon kommen, die ich ja schon durch die U-Haft verbüßt hätte, also würde das Gutachten der Gerichtsmedizin nichts ändern, wäre ich am Mittwoch ein freier Mann.

Endlich war er da, der Tag an dem es sich entscheidet wie die nächsten Jahre verlaufen könnten, sein ganzes Leben mit der Schuld Leben zu müssen jemanden getötet zu haben, ich war wie betäubt rauchte in paar stunden eine ganze Schachtel Zigaretten. Den Gesprächen, die andere Häftlinge führten, wich ich aus, ich bettete für mich, nicht zu Gott, einfach für das Gute, wie ich es immer mache.

Beamte kamen, holten Häftlinge oder brachten welche zurück. Jedes Mal, wenn der Schlüssel ins Schloss fiel, war in der Zelle eine Erregung zu spüren, jeder hoffte, dass nun bald das Urteil fallen würde. Nach einer längeren Zeit ging wieder die Türe auf, mein Name wurde gerufen, mir wurden am Rücken die Handschellen angelegt und ich wurde in den Gerichtssaal geführt.

An der Anklagebank wurden mir die Handschellen wieder abgenommen, ich weiß nicht mehr was ich alles gefragt wurde, es war mir auch egal, für mich zählte nur eins: bin ich schuldig oder nicht im Sinne einer Tötung.

Endlich hatte der von Gerichtsmedizin sein Wort , bevor er anfing zu reden, musterte er mich von oben nach unten, sein Blick, den er mir zuwarf, sollte mich glaube ich töten, ich war mir sicher, dass dieser Blick nichts gutes zu bedeuten hätte.

Irgendwann ermahnte ihn die Richterin er solle endlich zu Wort kommen, irgendwann nachdem ganzen Amtsdeutsch sagte er dann, der Verstorbene hätte einen Herzmuskelriss erlitten, was auf seinen Alkoholkonsum zurückzuführen war, also nichts mit meinem Schlag, den ich ihm verpasst hatte zu tun hätte.

Wäre er nicht daran verstorben, hätten paar Wochen später die Organe ausgesetzt. Ja, ich war nicht Schuld und durfte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen!!! Keiner kann wissen, was Freiheit bedeutet, denn die wirkliche Freiheit hab ich nur bekommen mit der Sicherheit niemanden getötet zu haben!!!

Auch wenn es eine Harte Zeit war für mich, sie hat mich viel gelehrt, hört sich vielleicht blöd an, aber ich will diese Zeit nicht missen!!! Vor allem aber hat mir das Erlebte gezeigt, dass man vorsichtig sein muss, denn ich hätte genauso gut ein Blutgerinnsel verursachen können!!! Und dann hätte ich, mit der Schuld jemanden getötet zu haben mein, ganzes Leben leben müssen!!!

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: