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Sex, Twilight und Schönheits-OPs: aus religiöser Perspektive

Text: Anaway

Glauben. Sollten wir oder sollten wir nicht? Acht viel zu oft schon gehörte Fragen - ehrliche Antworten darauf von Pfarrer Christof Meyer von der Petruskirche in Stuttgart Gablenberg.



Herr Pfarrer Meyer, man erwartet ja eine dramatische Veralterung in der deutschen Bevölkerung. Wenn man sich heute in der Kirche so umgeschaut hat, scheint diese Diagnose sich für die Kirche schon längst bewahrheitet zu haben –

Zuoftschongehört-Frage No.1: Warum denken sie, wird die Jugend immer ungläubiger?
Die Jugend wird nicht ungläubiger – aber sie sucht ihre religiösen Bedürfnisse nicht mehr in der Kirche, sondern auf anderen Feldern. Zum Beispiel in bestimmten Jugendszenen: Techno oder meinetwegen auch Emos, ich würde schon sagen, dass die alle irgendwo ihren religiösen Touch haben.
Sogar viele Kinofilme haben religiöse Themen. Zum Beispiel der Film 127 hours. Da geht es um einen Extremkletterer, der in einem abgelegenen Gebiet in ein Loch fällt und nicht mehr herauskommt. Da stecken viele religiöse Themen dahinter. Die Frage nach dem Sinn, die Frage nach dem Zufall – ob es Zufall ist, dass er in diese Situation gerät – und auch nach der Kraft, die einem in einer solchen Situation gegeben wird.
Die Kirche hat diese Themen auch schon immer bearbeitetet, aber sie schafft es gerade nicht, diese Themen so rüberzubringen, dass auch Jugendliche das interessant finden. Das ist sehr schade. Ich finde schon, dass die Kirche auch für Jugendliche attraktiv sein könnte, man müsste dann aber ein paar Sachen ändern, zum Beispiel die Musik.



Und was ist mit Twilight? Da geht es um Vampire. Unter anderem werden auch Kruzifixketten getragen.
Ich hab jetzt auch nicht behauptet, in jedem Film werden religiöse Themen behandelt – aber in vielen Filmen. Selbst das Thema Vampire hat – finde ich – eine religiösen Relation, weil es geht ja da auch um die Frage, ob es die Möglichkeit gibt, den Tod zu überwinden. Die Vampire geben dafür viel her. Sie sind in religiöser Weise auch damit verflucht, nicht sterben zu können. Das ist ein altes Thema der Religion.



Zuoftschongehörtfrage No. 2: Wie steht die Kirche denn eigentlich zu Schönheits-OPs? Auf den meisten Gemälden werden Frauen der Bibel als sehr hübsch dargestellt. 
Die Bibel zeigt die Welt wie sie sein soll „in ihrer Schönheit auch“. Gott sagt: „Die Welt ist gut“, nachdem er sie geschaffen hat. Der Grund, warum diese Schönheit immer wieder zerstört wird, ist die Schuld der Menschen. Schönheit ist also eine wichtige Kategorie des Glaubens. Deswegen ist zum Beispiel die Jungfrau Maria oft sehr schön dargestellt.



Wollen sie damit sagen, dass Schuld hässlich macht?
So kann man es sagen.



 Heißt das dann auch, wenn man hässlich ist, ist man schuldig?
(Lacht) Nein, würde ich nicht sagen. In der Bibel gibt es Storys, da ist es gerade das Umgekehrte, also das Hässliche das, was von Gott gewählt wird. Und da sind wir jetzt auch schon bei dem Thema Schönheitsoperationen. Die Menschen sollten zu dem stehen, wie sie geschaffen sind. Deswegen lehnen wir Schönheitsoperationen ab.



Zuoftschongehörtfrage No. 3: Wie steht die Kirche zu Homosexualität?
Es gibt tatsächlich Stellen in der Bibel, in der die Homosexualität verurteilt wird. Das beruht aber auf einem antiken Verständnis von vor über 2000 Jahren. Damals war Sexualität notwendig zur Erhaltung des jeweiligen Stammes oder Volkes. Deshalb hat man die Homosexualität abgelehnt, weil sie verhindert hat, dass ein Volk wächst.
Heute können wir das anders sehen. Das wichtigste für die evangelische Kirche ist, dass in der Sexualität Liebe, also Achtung vor der anderen Person drin ist und keine Ausnutzung. Du kannst auch als Hetero krass daneben liegen.



Zuoftschongehörtfrage No. 4: „Kein Sex vor der Ehe“ das kommt doch aus der Bibel, oder täusche ich mich da jetzt? Warum wird Sex in der Bibel als Sünde angeprangert?
Du liegst teilweise falsch. Im alten Testament wird vorehelicher Sex tatsächlich verboten. Damals hatte Jungfräulichkeit einen hohen Wert, und wenn ein junges Mädchen diese verloren hatte, war sie für die Familie wertlos. Das ist in manchen Gesellschaften auch heute noch so. Ich würde das aber sehr stark verurteilen. Im neuen Testament hat Jesus an keiner Stelle gesagt, dass Sex Sünde sei. Und wenn man ihn heute fragen würde, würde er das meiner Meinung auch nicht behaupten. Das ist reiner Quatsch.




Was ist also mit Pornografie und Prostitution, wie steht die Bibel dazu?
Meines Erachtens wird die Würde der Frauen, die sich prostituieren müssen, verletzt. Nur ein geringer Prozentsatz von dem, was in diesem Sexgeschäft so abläuft, basiert auf freiwilliger Basis. Das lehnen wir absolut ab.



Wenn jetzt doch eine Freiwillige dabei ist, ist das ihre eigene Sache. Wir als Kirche kämpfen gegen den sexuellen Missbrauch – obwohl der auch in der Kirche passiert und das ist dann umso schlimmer.



 Und aus der anderen Perspektive der Menschen gesehen, die den Service der Prostitution in Anspruch nehmen?
Die müssten mal darüber aufgeklärt werden, was sie damit anrichten. Ich kenne zum Beispiel eine kirchliche Organisation, die hat in einem Flugzeug nach Thailand den Passagieren ein Video gezeigt, das darüber aufgeklärt, wie Minderjährige zum Sex gezwungen werden, und was Sextouristen in Thailand anrichten.



Zuoftschongehörtfrage No.5: Wie steht die Kirche zu Abtreibung? Was würden sie einer unfreiwillig schwangeren Frau raten?
An oberster Stelle steht immer, dass ein Leben „in Würde“ möglich ist. Ich würde mit einer Frau natürlich erst alle Alternativen durchgehen, wie zum Beispiel, dass sie das Baby austrägt und anschließend zur Adoption freigibt – viele Familien in Deutschland wünschen sich ein Baby, können aber keines bekommen! Wenn sie jedoch vergewaltigt wurde, oder es sich um ein Mädchen handelt, dass einfach noch zu jung ist, würde ich und sicherlich auch Jesus eine Abtreibung nicht verurteilen.



Zuoftschongehörtfrage No.6: Ein Jugendlicher beichtet ihnen, drogensüchtig zu sein. Was würden sie dann als Mann der Kirche tun? Wie weit reicht ihre Schweigepflicht?
Ich würde ihm erklären, dass Drogen keine Lösung sind. Aber auf keinen Fall würde ich die Polizei rufen. Als Pfarrer stehe ich unter der Pflicht des Seelsorgegeheimnisses und bin dafür sehr dankbar. Selbst vor Gericht würde ich nicht aussagen. Ich würde meine Pflicht einzig und allein dann brechen, wenn mir jemand eine geplante Attentat beichtet.



Das Interview nähert sich dem Ende zu – kommen wir also zur Frage aller Fragen, Zuoftschongehörtfrage No.7: Woher weiß ich, dass es Gott wirklich gibt?
An erster Stelle natürlich aus der Bibel, in der sich Gott selbst offenbart hat. Aber das Wissen allein ist relativ unnütz. Gott ist eine Erfahrung, die jeder Mensch selbst machen kann, wenn er sich nur auf den Weg begibt. Aber das ist ein langer Weg.



Wenn ich in Indien geboren wäre, wäre ich Buddhistin oder Hindu, wenn ich in Arabien geboren wäre, Moslem: Warum soll ausgerechnet das Christentum die richtige Religion für mich sein?Eigentlich ist jede Religion der richtige Weg. In jeder theistischen Religion wird ein Weg zu Gott eröffnet. Eigentlich glauben die Christen, die Juden und die Moslems an denselben Gott.



Und was ist mit dem Buddhismus?
Die glauben strenggenommen an überhaupt keinen Gott. Buddha sagt, es gäbe zwar viele Götter, aber die wären alle Schwachsinn.



Okay, letzte Zuoftschongehörtfrage: Es geschehen so viele unfassbare Katastrophen auf dieser Welt. Wenn es Gott wirklich gibt, warum lässt er das zu?
Es ist falsch zu sagen: „Gott ist Schuld an den Katastrophen, die geschehen." Die Menschen sind selbst für ihre Handlungen verantwortlich. Wenn so etwas geschieht, ist es die Schuld der Gesellschaft, nicht die Gottes. Gott kann in das Leben eingreifen, aber wir Menschen haben keinen Einblick in seinen Gesamtplan und können seine Gründe daher nicht nachvollziehen.



Also kann es aus Gottes Perspektive auch `gut´ sein, dass eine Katastrophe geschieht?
Im Gesamtplan kann das durchaus sein, ja.



 



Vielen Dank für ihre Offenheit!

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