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Aus dem Hintergrund müsste das Baby scheißen

Text: matesino
Ein herzliches Willkommen aus der Berthold-Arena zum heutigen Top-Spiel Vater gegen Baby. Aus der Kabine kommt auch schon der von den Buchmachern hoch favorisierte Vater. In Boxershorts und Schlafshirt schlurft er auf das Spielfeld. Er scheint pinkeln zu müssen.

Größer, stärker und vermeintlich ein wenig schlauer als sein heutiger Gegner, das Baby, dürfte er seine Vorteile vor allem beim Windel Wechseln und Fläschchen Machen unter Beweis stellen.



Das kleine Baby als krasser Außenseiter sollte aber auch nicht unterschätzt werden. Mit seinen unberechenbaren Spielzügen kann es jederzeit den Vater auskontern. Vor allem auch dank seiner Stärke, aus nahezu jeder Position scheißen zu können, sorgt es immer wieder für Verwirrung, Gefahr und Gestank.



Bevor es losgeht, holt der noch müde Vater das Baby aus dem Bettchen und drückt ihm einen Kuss auf die Wange. Die beiden kennen sich bereits von ähnlichen Begegnungen und haben schon oft die Bodys miteinander getauscht.



Wir sind gespannt, wer heute als Sieger vom Platz geht und als Trophäe an Mamas Brust darf. Es folgen die Nationalhymnen. Der Vater singt mit Inbrunst Jon Lajoies „Stay at Home Dad“, während das Baby bei „I will survive“ von Gloria Gaynor nur unverständliche Laute von sich gibt. Wie Jennifer Lopez bei der WM-Eröffnungsfeier. Den einzigen Zuschauer auf der Tribüne, das heißt Couch, lockt das nicht aus der Reserve. Die Katze leckt sich desinteressiert die Pfote - so eine Muschi.



Anpfiff. Während der Vater sich sofort daran macht, dem Baby ein Fläschchen zu bereiten, schlägt sich das Baby hinter dem Rücken der Abwehr über die rechte Flanke zur Couch vor. Es zieht sich an der Ecke hoch und steht da breitbeinig und auf Zehenspitzen wie Christiano Ronaldo vor einem Freistoß, wobei sich sogleich die Frage stellt, ob Christiano Ronaldo nun ein Baby ist oder das Baby Christiano Ronaldo.



Jetzt wird es gefährlich. Bevor das Baby die Katze am Schwanz packen kann, um sie in den gegnerischen Strafraum zu flanken, grätscht der Vater gekonnt dazwischen und tackelt das Baby zu Boden. Mein lieber Scholli, das war knapp.



Das Baby ist stinksauer und gestikuliert mit seinen Händchen wild Richtung Schiedsrichter, doch der ist nicht da, sondern in der Arbeit. Es folgt ein so genannter Cooling Break, der Vater beruhigt das Baby mit einem Fläschchen.



Weiter geht es. Während der Vater zum Herd zurück trabt, um die Küche zu sortieren und seinen nächsten Angriff auf das Baby mit der bewährten Haferbrei-Taktik zu starten, krabbelt das Baby aus stark abseitsverdächtiger Position erneut Richtung Couch und visiert die Katze an. Siegesgewiss lächelt es den Vater an, gleich pack ich sie, die doofe Muschi, und versenk sie in der linken oberen Hecke.



Der Vater verliert kurzzeitig die Übersicht über das Spielgeschehen, weil er den Kühlschrank in Manndeckung nimmt, um Zutaten für sein Omelette zu suchen. Das ermöglicht dem Baby, unbewacht und mit einem filigranen Übersteiger auf die Couch zu gelangen. Die Spannung steigt, der Brei ist am Kochen. Noch nie hätten Eier einem Spiel so gut getan wie diesem.



Doch was ist das, meine Damen und Herren vor den Bildschirmen? In die faule Katze scheint ein Voodoo-Zauber eingefahren zu sein. Zuckend und zappelnd flitzt sie nackt zum Mittelkreis und übergibt sich. Das Baby rauft sich die Haare. Das war eine hundertprozentige Chance, das Mistvieh am Schwanz zu packen. Selbst ein Blinder hätte das geschafft. Oder Christiano Ronaldo.



Nun kommt der Vater mit dem fertigen Brei aus der Tiefe des Raumes und schnallt das Baby am Kinderstuhl fest. Er häuft eine Ladung Brei auf den Plastiklöffel und zielt damit auf den offenen Mund. Schon oft hat er aus solchen Standardsituationen einen Treffer gelandet. Heute nicht. Die Katze miaut und lenkt den Vater ab. Im letzten Moment pariert das Baby mit einer blitzschnellen Kopfbewegung den Angriff und der Brei landet an der rechten Außenbacke. Mist.



Der Vater ist stinksauer und gestikuliert mit dem Löffel wild Richtung Katze, doch die macht den Effenberg und zeigt ihm die Mittelpfote: „Fuck you, du unfähiger Sack, wisch die Kotze weg und gib mir was zu fressen“, scheint sie mit der Geste sagen zu wollen.



Das Baby ist mittlerweile abgeschnallt und beißt an einem leeren Milchkarton herum. Seine Bewegungen wirken unkoordiniert und zerfahren. Die mittägliche Müdigkeit scheint ihm arg zu schaffen zu machen. So wird das nichts mit dem Sieg heute. Aber noch gibt es nicht auf. Noch hat es Kraft in den Beinen. Und Pulver im Darm.



Sechs Minuten noch in der Berthold-Arena in München, keiner wankt, der Regen prasselt unaufhörlich hernieder, es ist schwer, aber die Zuschauer harren aus. Wann sieht man schon solch eine tolle Begegnung, so ausgeglichen, so packend.



Jetzt das Baby durch die Mitte, krabbelt durch die Katzenkotze. Der Vater schaltet zu spät und ist mit Brei essen beschäftigt. Die Katze leckt sich den Arsch.



Da packt das Baby sie am Schwanz und will sie ins Kreuzeck feuern. Aber was ist das, meine Damen und Herren? Eine Tätlichkeit der Katze. Sie wischt dem Baby eins mit der Pfote über die rechte Backe und verschmiert den getrockneten Brei auf der Couch. So eine grobe Unsportlichkeit hat die Elternwelt noch nicht gesehen - so eine fiese Muschi.



Das Baby bleibt für einen kurzen Moment benommen am Boden liegen, bevor es in lautes Geschrei losbricht und für die Katze eine rote Karte fordert.



Und der  Vater reagiert. Er verweist die Katze des Platzes und feuert sie Richtung linke obere Hecke. Was für ein Außenriss. Selbst Oliver Kahn wäre da machtlos. Die Muschi rauscht mitten durchs Gebüsch und die neue Torlinientechnik der FIFA beweist eindeutig, dass sie mit vollem Umfang die andere Straßenseite überfliegt.



Derweil hat sich das Baby wieder aufgerappelt und müsste aus dem Hintergrund scheißen. Das Baby scheißt und Kackee, Kackee,Kackee, Kackee. Eins zu null für das Baby.



Der Vater fällt konsterniert auf die Knie und fährt sich über das Gesicht. Die Kirchenglocken läuten. Aus, aus, aus. Das Spiel ist aus. Eine neue Windel muss her. Das Baby reckt die Hände zum Himmel. Was für ein Triumph. Erneut weltmeisterlich zugeschissen!



matysplanet.com

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