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Meine Kneipe

Text: buziaki

Es ist so gegen 4 als ich die Kneipe verlasse.
Jeder braucht so eine Kneipe. Eine, wo du dich an die Theke hocken kannst und den ganzen Abend nichts sagen brauchst.
Der Bart hinter der Bar schiebt dir ungefragt Biernachschub rüber und macht blind einen Bleistiftstrich auf den Bierdeckel über seinem Kopf.
Der Bart neben dir brummelt sich was in den Bart. Es sind immer weise Worte. Über Liebe, Gott, Freundschaft, Tod – die ganz dicken Dinger. Er weiß alles. Mit Whiskey sogar noch mehr.
Die Bartlosen hinter dir feuern sich beim Dart an. Sie verwetten ihr erstes Nebenjob-Geld und bestellen eine Runde nach der anderen. Aber morgen können sie ausschlafen, es sind ja Ferien.



Als ich nach draußen komme, fällt mir der Morgen kalt ins Gesicht. Ich versuche ihn wegzuwischen, aber er bleibt standhaft. Aufatmen, denke ich mir. Vielleicht kann ich den Morgen aufatmen und dann ist er in mir drin und nicht mehr um mich rum. Ich atme, atme, als wäre das in meiner Kneipe verboten gewesen. Atemverbot. Da ist es ja nicht weit bis zum Rauchverbot.



Es ist 4, ich will noch nicht nach Hause, aber in meiner Kneipe war ich die letzte, nicht mal der Bart neben mir saß noch da und der Bart hinter der Bar hat mir ein „Feierabend, Schätzchen!“ zugerufen. Obwohl schon Feiermorgen ist, aber keiner feiert mehr hier.



Mehr Bier will ich auch nicht mehr. Ich will bloß dasitzen und warten, bis über den Häuserdächern vorwitzig die ersten Sonnenstrahlen den kalten Morgen auf meinem Gesicht warm machen. Dann wird es immer ganz eng in meiner Bauchgegend, alles zieht sich zusammen, weil ich auf einmal so klein bin. Denn dann wird auf einmal die graue Stadt ganz bunt und ich bin auch nicht mehr grau, sondern sonnig. Obwohl ich mich fühle, als gäb es mich gar nicht, sondern nur eine Hülle, die mich zusammenhält, aber nicht meine Gedanken. Die denken nämlich überall hin.



Der Bart hinter der Theke lächelt immer so, wenn er „Schätzchen“ zu mir sagt. Ich mag das. Meine Freundin sagt, Männer, die „Schätzchen“ sagen, sind miese Sexisten. Ich weiß nicht, ob es dann in Ordnung geht, wenn ich den Bart hinter der Bar ganz auf seinen Bart reduziere, vor allem, weil ich ja auch so mag, wie er lächelt.



Der Bart neben mir eben in der Kneipe hat gesagt, dass ein echter Freund dir auch mal in die Fresse boxen würde, wenn es hilft. Und oft hilft nur, eins in die Fresse geboxt zu bekommen.



Einer von den Bartlosen hat dreimal hintereinander beim Dart verloren und musste immer eine neue Runde ausgeben. Es gibt so Verlierertypen. Hoffentlich hat er wenigstens glückliche Liebe. Aber das haben Verlierertypen auch nicht oft, weil Mädchen viel zu gerne Hauptgewinn sind.



Das alles denke ich, als ich auf der Bordsteinkante sitze und darauf warte, dass aus einem Feiermorgen ein Sonnenmorgen wird. Ein Hutherr geht mit seinem Hund vorbei. Der Hund bleibt stehen und schnüffelt an meinen Zehen, die aus meinen Sandalen rausschauen.



Heute tragen nicht mehr viele Leute einen Hut!“,sage ich, weil ich was sagen will. Eigentlich weiß ich auch, dass ich bei Hundemenschen nicht unbedingt was sagen muss, weil die mit sich und dem Hund genug haben. Aber ich will gerne was sagen.
Ach, Mädchen. Was weißt du denn von früher!“, antwortet der Hut und ich möchte entgegnen, dass ich doch nur von heute geredet habe und mich heute gut auskenne in der Welt.



Da merke ich, dass ich bloß dasitze und gar kein bisschen weiß, wie die Welt heute ist.
Ich weiß nicht mal, ob heute schon angefangen hat. Für den Hund schon, der darf heute das erste Mal am Tag raus. Aber ob der Tag für alle gleichzeitig anfängt, da bin ich mir schon nicht sicher.



Heute kann einfach alles passieren. Frau Annegret aus dem vierten Stock könnte zum Beispiel endlich bei Herrn Helmut von der Drei klingeln und ihm sagen, dass sie ihn gerne heiraten und ganz viele Annegret-Helmut-Kinder mit ihm machen möchte. Das weiß Herr Helmut zwar schon, aber manchmal müssen Sachen auch laut ausgesprochen werden. Ich könnte das zwar auch machen, aber der Effekt wäre bei Frau Annegret viel gewaltiger.



Oder eine Frettchenplage könnte ausbrechen und überall wären auf einmal Frettchen. Zuerst wäre das vielleicht noch niedlich, aber irgendwann hat man sich auch sattgesehen und dann wird das nervig, dass Frettchen plötzlich aus Kofferrräumen und Kühlschränken gucken. Da macht es dann auch nichts, dass die so glänzende Knopfaugen haben.



Oder alles geschieht umgekehrt, am Morgen ist eigentlich Abend und Eltern müssen sich zum Frühstück schon Gute-Nacht-Geschichten ausdenken und Kinder im Sitzkreis im Kindergarten schon quengeln, dass sie noch-nicht-ins-Bett wollen.



Vielleicht passiert aber auch einfach gar nichts. Also nichts Besonderes, weil irgendwas passiert ja immer. Und wenn es nur ein Besuch in meiner Kneipe ist.



 



 

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