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Auf, auf!

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Morgenstunden sind etwas sehr Intimes. Da entsteigt der Mensch seinem Bett, dem vielleicht letzten privaten Nest der modernen Welt, und ist noch ganz zerzaust und allein mit sich und den Gedanken an den bevorstehenden Tag. Das kann gut oder schlecht sein, je nachdem, wann und wie der Wecker klingelt und wie gut man aus dem Bett kommt. Denn nie ist die Stimme der Bequemlichkeit lauter und stärker, als wenn das Hirn noch zur Hälfte schläft und jammert: Weiterschlafen, weiterschlafen, es gibt doch gar nichts Schöneres als weiterschlafen, was soll denn nur der ganze Rest?

Der 2011 verstorbene Autor Marc Fischer sagte einmal, sein Tag beginne nicht vor elf Uhr vormittags. Das hat mir gut gefallen. Es hat mich beruhigt. Mein Tag beginnt, wenn ich es mir selbst aussuchen kann, auch nicht vor elf Uhr. Eher um halb zwölf. Leider gibt es oft Tage, an denen ich es mir nicht aussuchen kann. Ich finde das sehr qualvoll. Meist drücke ich dann so oft auf den „Schlummern“-Knopf meines Weckers, dass mir nur noch zwanzig Minuten bleiben, um zu duschen und mich anzuziehen. Wenn ich es schaffe, mir dabei auch noch einen Kaffee zu machen und die Haare zu föhnen, bin ich stolz und fühle mich erwachsen. Ich schaffe es aber nur selten.

Die Zeit am Morgen ist die Brücke zwischen dem Faulmenschen und dem Arbeitsmenschen. Deshalb tut man gut daran, es sich auf dieser Brücke so seelenfreundlich wie möglich einzurichten. Mit einem Teil der Synapsen ist man aber schon beim Tagesgeschehen und seinen Problemen: Wer muss getroffen, angerufen, besänftigt werden? Was muss überstanden und was in die Wege geleitet werden? Im Idealfall ist man am Morgen auch schon ein wenig effizient. Denn obwohl diese Zeit keine Arbeitszeit im eigentlichen Sinn ist, greift der bevorstehende Tag schon nach einem und beeinflusst das Morgenritual: Der Manager liest den Wirtschaftsteil der Zeitung, der Gärtner studiert akribisch den Wetterbericht.

Ich suche noch immer nach diesem einen morgendlichen Programm, das nur mir gehört und mich stark macht für den Tag. Das mich – ganz egal, wie beschissen alles läuft – immer auffängt und mir hilft, den Tag mit Würde anzugehen. Ich denke dabei an meinen Vater, der jeden Morgen um sechs Uhr dreißig von seinem Radiowecker mit klassischer Musik geweckt wird, einige Sportübungen macht, kalt duschen geht, in Ruhe frühstückt und später, kurz vor acht, auf dem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad ein paar Schlenker fährt, um noch etwas frische Luft zu bekommen. Seit mehr als dreißig Jahren. Egal, ob er vier oder sieben Stunden Schlaf hatte, egal, ob er am Abend ein Glas oder zwei Flaschen Wein getrunken hat. Es gibt ihm Halt. Als ich während der Schulzeit für einige Jahre bei ihm wohnte, sagte er: „Wir treffen uns immer um sieben zum Teetrinken in der Küche. Es gibt nichts Besseres, als morgens noch ein bisschen Zeit zu haben.“ Fand ich abends immer eine gute Idee. Morgens nicht mehr.

Deshalb denke ich so gern an den Satz von Marc Fischer. Er beruhigt mein schlechtes Gewissen. Marc Fischer hat trotz des späten Tagesbeginns großartige Arbeit geleistet. Aber natürlich ist schon die Grundannahme falsch, Dinge seien nur okay, wenn sie jemand anders vorher schon mal für okay erklärt hat. Und irgendwann, denke ich immer, muss auch ich es doch noch mal schaffen, ein tougher Aufstehtyp zu werden. Es gibt Menschen, die um fünf Uhr aufstehen, um zu laufen. Oder zu schreiben. Sie machen sich Leinsamen-Früchte-Müsli, selbst gemahlen. Sie gehen zum Frühyoga. Wenn die das schaffen, dann kann ich das doch auch! Mal stelle ich mir also die Laufschuhe vors Bett und gehe tatsächlich morgens joggen. Dann denke ich: Das mache ich jetzt immer. Und dann vergehen sieben Monate ohne einen einzigen Jogginglauf. Mal mache ich mir einen Kaffee, lese noch in Ruhe Zeitung, bevor ich irgendwohin gehe, und denke: Morgenruhe ist etwas Schönes, das mache ich jetzt öfter. Am nächsten Tag drücke ich wieder zu oft auf „Schlummern“, stürme wieder mit nassen Haaren und Zahnpasta im Mundwinkel aus der Tür und verfluche alles, was mir in die Quere kommt, und denke: Ab jetzt beginnen meine Tage nicht mehr vor elf. Werden sie aber immer wieder tun. Ein Morgenritual zu haben, das mich an solchen Tagen auffängt, das wäre schön.

Wie sieht die Zeitspanne zwischen Aufstehen und Arbeitsbeginn bei anderen aus? Vier Protokolle.      

Luise Amtsberg, 29, Grünen-Abgeordnete im Bundestag und Sprecherin für Flüchtlings- und Asylpolitik der grünen Bundestagsfraktion.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ich bin Frühaufsteherin und nach Berichten meiner Eltern auch schon immer gewesen. Ich wache morgens um sechs Uhr ohne Wecker auf. Die meisten meiner Freunde finden das ziemlich schräg, aber ich bin eben so gepolt. Dafür liebe ich es, einen Mittagsschlaf zu machen. Nachmittags mal kurz wegdösen, das kann ich super. Kein Tag beginnt bei mir ohne Kaffee, also führt mein erster Gang in die Küche zum Wasserkocher, wo ich mir meinen sogenannten Cowboy-Kaffee – gemahlene Kaffeebohnen, mit heißem Wasser übergossen – aufbrühe. Milch rein, und dann setze ich mich im Schlafanzug eine Weile an den Küchentisch und habe noch so ein, zwei Stunden für mich und kann in Ruhe ein paar Sachen abarbeiten, die sich morgens leicht erledigen lassen. Ich höre Deutschlandfunk, beantworte Mails, lese Nachrichten und überlege, was davon für mich politisch relevant ist. Ich sehe in meinen Kalender und stelle mich drauf ein, was der Tag bringen wird. Mein Pensum ist mittlerweile echt groß, und ich weiß heute aus dem Kopf gar nicht mehr, was morgen anliegt. Irgendwann gehe ich dann duschen.

Je nachdem, wann es im Bundestag losgeht, manchmal ist das ja schon um sieben Uhr dreißig, muss ich natürlich etwas früher aus dem Haus. Wenn ich nicht gerade Termine am Stadtrand habe und den Fahrdienst in Anspruch nehme, radle ich zur Arbeit, das ist eine schöne Strecke von meiner kleinen Wohnung in Kreuzberg am Kanal entlang nach Mitte. Diese Minuten auf dem Rad heben meine Stimmung. Ich finde die Morgenstunden die schönste Zeit des Tages, da schläft noch alles, es geht einem keiner auf den Keks. Klar, wenn ich bis um vier feiere, schlafe ich aus. Aber wenn ich abends normal so gegen zwölf ins Bett gehe, wache ich immer um sechs auf.

Auf der nächsten Seite: Finn-Ole Heinrich, 31, Schriftsteller und Filmemacher.




Finn-Ole Heinrich, 31, Schriftsteller und Filmemacher.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Ich halte viel von Ritualen, nur leider ist mein Leben oft zu unstet, um sie auch einzuhalten. Wenn ich zwischen meinen Lesereisen mal ein paar Monate lang durchgehend zu Hause bin, richte ich meinen Tagesablauf am liebsten nach meinen Mitbewohnern. Ich habe eine Weile mit einer Krankenschwester zusammengewohnt, die drei- bis viermal die Woche um sechs und einmal um elf Uhr aufstehen musste. Das habe ich dann auch so gemacht. Und wenn sie nach acht Stunden Arbeit nach Hause kam, hatte auch ich Feierabend. Derzeit wohne ich mit zwei Gärtnern zusammen, die müssen jetzt im Sommer gegen halb fünf morgens aufstehen. Das mache ich mit. Wenn ich mir streng verordne, nicht im Internet rumzudödeln, habe ich morgens vier, fünf Stunden Zeit, um ungestört zu schreiben. Dass ich in den frühen Morgenstunden am besten arbeite, habe ich schon während des Studiums gemerkt. Ich komme mit relativ wenig Schlaf hin, aber leider habe ich tierische Schlafstörungen und muss oft acht Stunden im Bett liegen, um überhaupt auf fünf Stunden Schlaf zu kommen. Ich bin deshalb nicht immer gleich gut ausgeschlafen und mache mir nach dem Aufstehen als Erstes einen Tee; erst einen grünen und dann, wenn der nicht mehr hilft, einen schwarzen. Nach zwei bis drei Stunden kriege ich Hunger und mache mir ein Müsli. Nach dem Schreiben mache ich dann zwanzig Minuten Gymnastik, ein physiotherapeutisches Programm gegen meine jahrelangen Rückenprobleme. Dabei höre ich NDR Info. Danach gehe ich duschen.

Das ist jetzt natürlich der Idealfall. Auf Lesereise zum Beispiel ist alles anders. Da habe ich bis zu vier Termine mit Auftritten am Tag. Die dauern oftmals bis in die Nacht hinein, weil man nach der Veranstaltung mit allen was essen oder trinken geht. Für mein neues Buch musste ich in den letzten sieben Wochen vor Abgabe täglich gut zwölf  bis vierzehn Stunden schreiben, weil ich in der Zeit davor durch Lesereisen oder andere Projekte in Stress geraten bin und kaum Rituale pflegen konnte.  

Auf der nächsten Seite:  Nike van Dinther, 26, Gründerin und Autorin des Blogs „This is Jane Wayne“.




Nike van Dinther, 26, Gründerin und Autorin des Blogs „This is Jane Wayne“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Bei mir ist kein Morgen wie der andere. An einigen Tagen bin ich total rentnermäßig drauf und schon um sechs Uhr dreißig hellwach, an anderen verfalle ich in den Kleinkindmodus und bin darauf angewiesen, dass mein Freund mir Kaffee ans Bett bringt. Eigentlich versuche ich ja gerade, meinen Körper darauf zu konditionieren, dass er ohne Wecker um sieben Uhr dreißig aufwacht. Weckerklingeln macht mir nämlich auch schlechte Laune. Sieben Uhr dreißig ist eine gute Zeit zum Aufstehen, finde ich. Dann bin ich um neun fertig, um aus dem Haus zu gehen. Als Erstes mache ich nach dem Aufstehen Musik an. Ich verstehe nicht, wie ein Mensch ohne Musik in den Tag starten kann.

Ich bin morgens ein ziemlich träger Rumlatscher. Oft schlunze ich erst mal auf den Balkon, setze mich ein paar Minuten hin und blättere Magazine durch. Gern auch so doofe Kataloge, die man ungefragt nach Hause geschickt bekommt. Das ist super zum Wachwerden. Was ich auch mag: ungestylt in Schlafanzughose, Pulli und Turnschuhen Brötchen holen. Dann bekommt man schon mal was vom Leben mit und muss schon mal ein paar Worte mit dem Bäcker reden und fühlt sich total aktiv. Mittlerweile frühstücke ich sogar regelmäßig, weil ich gemerkt habe, dass ich einfach zu lahm in der Birne bin, wenn ich erst um dreizehn Uhr zu Mittag esse. Ich schnipple mir also sehr oft morgens Obst. Das ist total meditativ, weil man da noch nichts denken muss. Und ohne Käsebrot läuft bei mir auch nichts. Unter die Dusche gehe ich übrigens am liebsten abends. Ich liebe es, frisch geduscht ins Bett zu gehen.

Obwohl ich wirklich versuche, so entspannt wie möglich in den Tag zu starten und so viel Zeit wie möglich zum Trödeln zu haben, bin ich morgens ganz unterbewusst immer schon ein bisschen in Hektik. Ich hab oft Angst, dass ich vielleicht schon was Wichtiges verpasst habe. Wahrscheinlich ist das ein Zeichen unserer Zeit.    

Auf der nächsten Seite: Devon Carbone, 25, Balletttänzer an der Bayerischen Staatsoper.




Devon Carbone, 25, Balletttänzer an der Bayerischen Staatsoper.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Sechs Tage die Woche habe ich ab morgens um zehn Uhr Tanztraining. Mein Wecker klingelt schon um acht, aber ich drücke mindestens zwei- bis dreimal auf „Snooze“ und stehe erst um acht Uhr deißig auf. Ich würde gern früher aufstehen, denn ich liebe die Stille des Morgens. Außerdem bin ich mir sicher, dass ich noch etwas besser in allem wäre, was ich tue, wenn ich mir morgens mehr Zeit nehmen würde, einfach noch etwas dazusitzen und Ruhe zu haben. Aber ich schaffe es nicht. Ich war noch nie ein guter Frühaufsteher.

Nach dem Duschen mache ich mir schnell Kaffee und frühstücke ein wenig, einen Apfel und ein, zwei Eier und Brot. Gewöhnlich habe ich morgens noch keinen Hunger, aber ich muss etwas essen, damit ich Kraft habe für das Training. Eigentlich snacke ich lieber den ganzen Tag über immer ein bisschen oder esse mittags mehr, aber gerade das ist eigentlich gar nicht so gut, weil man nach einem zu großen Mittagessen schlecht wieder richtig fit wird für die Proben am Nachmittag. Ich sollte eigentlich an alldem arbeiten: früher aufstehen, mehr frühstücken, weniger zu Mittag essen.

Meine beste und liebste Aufwärmübung vor dem Training ist es, mit dem Rad zur Oper zu fahren. Viele von uns sind schon um zwanzig vor zehn beim Training und dehnen sich. Ich nicht. Ich kann mich während des Trainings nicht mehr so gut konzentrieren, wenn ich schon so lange vorher da bin. Wir haben zwar Fenster in unseren Tanzsälen, aber wir sind trotzdem fast den ganzen Tag drinnen. Ich genieße deshalb jede Minute an der frischen Luft. Außerdem ist das Radfahren eine sehr gute Aufwärmübung für Körper und Geist, denn Hirn und Körper müssen dabei sehr koordiniert zusammenarbeiten, und das sogar ganz unbewusst. Und man kann auch noch die Sonne und die Natur genießen. Das empfinde ich als sehr stärkend und konzentrationsfördernd. Die Natur ist immer noch die beste Inspiration für die Kunst, glaube ich.

Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Joanna Mühlbauer

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