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Berliner Gespräche Teil 5

Text: SofiaKorksenzieher

Georg fühlte sich erschöpft. Sie hatten so lange geredet und die Schwere ihrer Themen lag ihm wie Blei im Magen. Er wollte an die frische Luft, durchatmen und neu starten. In der kühlen, flimmernden Luft der Hermannstraße seine ausgetrockneten Lungen satt saugen. Er hatte genug vom Reden. Paulas Weltsicht befremdete ihn ein wenig, er fand sie streckenweise naiv. Ihre belegte Stimme hatte ihn deprimiert und er wollte wieder an den Punkt zurück, wo sie geheimnisvoll und sexy gewesen war statt altklug und verbissen. Oder zu diesem Moment vorspulen, von dem er hoffte, dass er noch immer im Bereich des Möglichen lag. Für eine Sekunde schweiften seine Gedanken ab und er dachte daran, wie er Paula draußen an eine Wand drücken, mit der Hand unter ihr Kleid fahren und sie endlich küssen würde. „Wollen wir vielleicht noch ein bisschen spazieren gehen?“ Der ausladende Raum fühlte sich auf einmal so klein und bedrückend an. Paula nickte stumm. Georg kramte in seiner Cordjacke nach dem Portemonnaie. „Lass mal, Paula, ich zahl.“ Als er die Brieftasche öffnete, lächelte seine Freundin ihm von einem gemeinsamen Urlaubsfoto entgegen. Er holte schnell einen Fünfziger raus und schloss sie wieder, trat an die Bar und bezahlte. Paula war von dem abrupten Ende ihrer Unterhaltung etwas verblüfft und packte hektisch ihre Zigaretten und das Feuerzeug in die Tasche, schob die Serviettenschnipsel in ihre hohle Hand und warf sie in den Aschenbecher. Georg stellte sich neben sie, nahm ihre Jacke vom Stuhl und half ihr hinein. Paula konnte das nicht leiden. Es entstand dabei immer eine unangenehme Situation und richtig flüssig funktionierte es nie. Sie fragte sich, ob Georg glaubte, dass sie solche Manieren von ihm erwartete, aber sie wollte nicht unhöflich sein und lächelte ihn an. „Gut, dann raus in die Nacht!“, sie lachte und warf ihre Haare zurück.
Als sie draußen standen, zündete Paula sich sofort eine Zigarette an. Sie war nervös, weil sie nicht wusste, was jetzt passieren würde. Georg hatte schon eine Weile keine Andeutungen mehr gemacht und fast befürchtete sie, dass er die Lust an ihr verloren hatte. Doch er nahm sie an der Hand und riss sie mit sich, vorbei an einer Gruppe Teenager, die im Kreis standen und sich kichernd ein Video auf dem Handy ansahen. „Wohin gehen wir?“, rief Paula, die halb erschrocken, halb amüsiert versuchte, mit ihm Schritt zu halten.



Georg wirkte euphorisch, er lachte und beschleunigte seine Schritte. Paula beschloss, sich in ihr Schicksal zu fügen, ihm für heute Nacht die Oberhand zu lassen und sich hinzugeben. Sein Lachen war ansteckend und so liefen sie beide mit hämmernden Herzen durch das nächtliche Neukölln.
Er blieb abrupt stehen. Paula keuchte und hielt sich die Seite. Ihre Wangen waren rot und ein dünner Schweißfilm glänzte auf ihrer Stirn. Sie stützte sich mit der Hand an der Hauswand ab und sah ihn fragend an.
Georg war unsicher. Er traute sich nicht, sie einfach zu küssen. Aber sie hatte nicht Nein gesagt. Ware es nicht viel eher ein Ja gewesen? Er machte einen Schritt auf sie zu und legte seine Hand auf ihre Hüfte. Paula schloss automatisch die Augen, sie wusste, was passieren würde. Ihre Lippen trafen sich und Georg spürte sofort, wie sich ein warmes Gefühl in seinem ganzen Körper ausbreitete und er eine Erektion bekam. Ohne seine Lippen von ihren zu nehmen, presste er sie fest gegen die Mauer und fuhr mit der Hand unter ihr Kleid.
Paula blieb für einen Moment die Luft weg. Es war ein toller Kuss. Zwar brachte er ihren Herzschlag nicht aus dem Rhythmus, aber ihr ganzer Körper begann zu kribbeln. Sie spürte Georgs Erektion an ihrem Oberschenkel und genoss sein Verlangen. „Wollen wir zu dir?“, flüsterte sie in sein Ohr. Er konnte nur schwer von ihrem Körper ablassen. Er schloss die Augen und schüttelte sich. Dann nahm er wieder ihre Hand und sie liefen eiligen Schrittes in Richtung Sonnenallee.



 Er schloss die Tür zu seiner Wohnung auf und sie betraten den dunklen Flur. Es roch nach kaltem Rauch und Bratkartoffeln. Paula meinte, irgendwo den süßlichen Duft von Hasch wahrzunehmen. Aus der Wohnung nebenan drang gedämpfte Musik und Stimmengewirr herüber. Georg ging voraus in das große Zimmer, das gleichzeitig als Schlaf- und Arbeitszimmer fungierte. Das Bett war durch Vorhänge vom Rest des Raumes abgetrennt. Paula folgte ihm unsicher. Die Stille zwischen ihnen war beinahe greifbar. Georg ging zu seinem Computer. Das monotone Brummen verriet, dass dieser wohl schon eine Weile nicht ausgeschaltet worden war. Paula sah sich etwas ratlos um, während Georg sich am Schreibtisch eine Zigarette drehte und Musik anmachte. Die Wohnung war schön, ein typischer Berliner Altbau mit alten Dielenböden und diesen verdammt hohen Decken, auf die sie so neidisch war.



Sie merkte, wie die Vernunft sich langsam wieder in ihr Bewusstsein schlich. Wollte sie wirklich mit einem Mann schlafen, den sie nicht wirklich attraktiv fand und der zudem noch nicht einmal frei war? Aber sie hatte sich für diesen Weg entschieden und wollte jetzt nicht mehr zurück. Bevor sie richtig wusste, was sie tat, hatte sie sich schon ihr Kleid über den Kopf gezogen und begann, sich die Strumpfhose auszuziehen.
Georg hatte die ganze Zeit über an seinem Computer hantiert. Jetzt, wo sie in seiner Wohnung waren, kamen ihm Zweifel. Es war nicht das erste Mal, dass er seine Freundin betrog, aber, wenn er ehrlich war, hatte er sich schon seit Monaten nach Paula gesehnt und war das Treffen mit dem Vorsatz angetreten, heute Nacht mit ihr zu schlafen. Er drehte sich, mit der brennenden Kippe im Mundwinkel, zu ihr um. Da stand sie, in schwarzer Unterwäsche, mitten im Raum und strich sich verlegen die Haare aus dem Gesicht. Ihre Haut war unerwartet blass und sie hatte einen kleinen Bauch. Und trotzdem war es ein umwerfendes Bild. Er drückte im überquellenden Aschenbecher seine Zigarette aus und eilte auf sie zu, zog sie an sich und küsste sie. Paula öffnete mit einer geübten Handbewegung ihren BH und setzte sich auf sein Bett.



 Georg schnarchte neben ihr, seine rechte Hand lag auf ihrem Bauch. Paula streckte sich zog sich die Decke über die Brust. Ihr war kalt. Ob das am gekippten Fenster lag oder an dem, was bis vor zehn Minuten hier passiert war, wusste sie nicht. Es war eigentlich gut gewesen. Georg war sofort über sie hergefallen, sie mochte es, wenn der Mann die Ansagen machte. Aber sie hatte ihre Gedanken nicht aufhalten können, die laut in ihrem Kopf schrien. Sie hatte an Tom denken müssen, daran wie er seine Finger um den Hals ihres Vaters gelegt und zugedrückt hatte. Und daran, wie er mit leerem Blick im Park vor der Klinik gesessen hatte. Sie hatte an das letzte Weihnachtsfest mit ihrer Mutter gedacht, als der Tumor in ihrem Kopf ihr schon die Seele genommen hatte. Wie sie wirres Zeug geredet und sie dabei verzweifelt angesehen hatte. Wie sie das letzte Mal gesagt hatte, dass sie sie lieb habe.
Paula spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie konnte es keine Sekunde länger hier aushalten. Es war alles so falsch, sie wollte das nicht. Vorsichtig hob sie Georgs Hand, schlüpfte aus dem Bett und zog sich an.



Georg wachte nicht auf, als die Tür ins Schloss fiel.

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