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Berliner Gespräche Teil 4

Text: SofiaKorksenzieher

Sie schwiegen lange und vermieden es, sich anzusehen. Draußen war die Sonne schon lange untergegangen und nun erhellten die Lichter der Kneipen und Bars die Hermannstraße. „Ich habe auch schon darüber nachgedacht.“ Paula sah weiterhin aus dem Fenster, während sie redete. „Wahrscheinlich könnten wir das tun und bestimmt wäre es sehr schön. Ich könnte das auch dringend gebrauchen.“ „Findest du es nicht furchtbar von mir, dass ich meine Freundin betrügen möchte. Oder sogar von dir?“ Georg bereute seine Frage beinahe, aber er wollte Klarheit schaffen. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, nervös zu sein und so steckte er sich einen Filter zwischen die Lippen und drehte sich eine Kippe. Paula schaute ihm dabei zu. Sie hatte noch nie gut selber drehen können, aber sie hatte ein Faible für Männer, die es konnten. Es hatte etwas Freigeistiges. „Georg, dazu kann ich nichts sagen. Für mich ist es in Ordnung. Ich führe diese Beziehung nicht, du tust das. Und ich kenne weder sie noch weiß ich, wie es zwischen euch ist.“ Sie grinste. „Ich glaub, ich hab mich noch nie so rational zum Sex verabredet.“ Sie beugte sich über den Tisch, nahm im die brennende Zigarette aus dem Mund und zog daran. Georg musste lachen. Er fand es schön, dass sie so vielseitig war. In einem Moment schien sie noch zu Tode betrübt, im nächsten war sie keck und sexy. Er fand das spannend.



„Irgendwie ist das schon komisch. Ich hatte im letzten Jahr wohl so viel bedeutungslosen Sex wie noch nie in meinem Leben. Und das, obwohl ich mich gerade so wenig danach fühle.“ Georg wurde neugierig. Er hatte das Gefühl, dass er mit Paula offen über Sex sprechen konnte. „Wie viele waren es denn?“



Paula dachte an die letzten Wochen, in denen sie so viel feiern gewesen war wie schon lange nicht mehr. Sie war meistens in den selben Club gegangen, oftmals auch alleine. Sie wollte tanzen und dafür brauchte sie keine Begleitung. Allerdings hatte sie die Disco selten alleine verlassen. Da war Alex, mit dem sie noch bis neun Uhr morgens in der letzten Absteige der Stadt weiter getrunken hatte, bevor sie zu ihr gegangen waren. Und Martin, mit dem sie sich stundenlang unterhalten hatte, während sie auf dem Fußboden gesessen und Sekt getrunken hatten. Thorsten, mit dem sie sich immer mal wieder traf, und Raul, der gutaussehende Peruaner, der im Bett nur an sich gedacht hatte. Sie lächelte geheimnisvoll. „Einige.“
„Und warum machst du das, wenn du eigentlich keine Lust darauf hast?“ Paula räusperte sich. „Es ist spannend. Findet man jemanden, der einem gefällt? Und kriegt man ihn dann auch? Man kann flirten und sich so präsentieren, wie man will. Die kennen mich ja nicht. Es macht Spaß. Und alleine sein ist manchmal einfach scheiße und dann muss man sich vielleicht einfach jemanden suchen, der eine Nacht lang da ist.“ Sie nahm den letzten Schluck von ihrem Bier und stand auf: „Ich muss mal pinkeln. Bestellst du mir noch eins?“ Georg nickte und sah ihr nach, wie sie vorsichtig, beinahe auf Zehenspitzen, über den schiefen Parkettboden durch den Raum lief.



 Als Paula in der kalten Kabine saß, kreisten ihre Gedanken um Georg und die Frage, ob sie mit ihm schlafen sollte. Sie hatte schon immer eine recht eigenwillige Sexualität gehabt. Früher hatte sie nur Sex, weil sie dachte hatte, sie könnte so eine emotionale Bindung aufbauen und das Gefühl, trotz Mann an ihrer Seite eigentlich ganz allein zu sein, verschwinden lassen. Und weil man eben Sex zu haben hatte. Spaß hatte sie daran nur selten und mit der Zeit hatte sie es perfektioniert, den Männern etwas vorzuspielen. Mittlerweile wusste sie, was sie mochte, was ihr gut gefiel und was sie unter keinen Umständen tun wollte, fühlte oftmals echtes Verlangen und Leidenschaft. Die belanglosen One-Night-Stands hatten sie experimentierfreudiger gemacht und sie ein großes Stück nach vorne gebracht. Aber manchmal fiel Paula noch in ihre alten Verhaltensmuster zurück. Dann, wenn das Gefühl, einsam zu sein, so stark war und aus jeder Pore ihres Körpers zu kriechen schien, dann wurde sie wahllos. Aber meist fühlte sich die Einsamkeit am Tag danach noch durchdringender und schwärzer an als zuvor und sie bereute es.



Mit Georg wäre es ähnlich, dachte sie. Sie wollte nicht mit ihm schlafen, weil sie ihn attraktiv oder toll fand, oder weil sie in ihn verliebt war. Sie wollte mit ihm schlafen, um nicht alleine zu sein, um begehrt zu werden. Paula war das vollkommen klar und dennoch konnte sie nicht aus ihrer Haut. Sie drückte die Klospülung und zog sich an, trat vor den Spiegel. Das triste Neonlicht ließ ihre Haut ungesund fahl aussehen und der kalte Blick ihrer Augen komplettierte das traurige Bild. Sie atmete tief durch, setzte ein Lächeln auf, das nur geübte Zuschauer als unecht erkannten, und ging zurück zu ihrem Tisch.



 Georg saß mit überschlagenen Beinen auf seinem Stuhl und wippte ungeduldig mit den Füßen. Die Frage, ob sie heute Nacht miteinander schlafen würden, hing unangenehm über ihnen wie eine Gewitterwolke und Georg versuchte, sie beiseite zuschieben, indem er das Thema wechselte. „Wann warst du denn das letzte Mal verliebt? Ist das wirklich schon so lange her?“. Paula fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken und sagte, sehr leise: „Ich war eigentlich in dieser Zeit schon ziemlich oft verliebt. Oder zumindest hab ich das gedacht.“ Ihre Stimme wurde härter. „Es ging jedes Mal irre schnell und ich hab keine Ahnung, ob das ein Zeichen dafür ist, dass es richtig geknallt hat oder nur dafür, dass ich mittlerweile jedem halbwegs interessanten Typen eine Liebeserklärung machen würde, weil ich, verdammt nochmal, bereit bin. So oder so, ist nie was draus geworden.“ „Sie wollten dich nicht?“ „Sie wollten mich nicht. Scheint mir auch so ein neumodisches Phänomen zu sein, dass sich Männer um die 30 absolut nicht mehr festlegen wollen. Das, oder sie wissen wirklich selbst nicht, was sie wollen.“



Georg lächelte in sich hinein. Seine Freundin sagte das auch manchmal zu ihm. Dass er sich nicht entscheiden könnte, weder für noch gegen die Beziehung. Dass es Zeit sei, den nächsten Schritt zu gehen, dass sie in ihrem Alter nicht mehr an einem Punkt stagnieren wollte. Sie wollte das ganze Paket. Und er? Er wusste es nicht. Er wollte schon Kinder, irgendwann. Aber im Moment wusste er nicht einmal, ob Monogamie die richtige Beziehungsform für ihn war.
„Und du? Bist du bereit, dich zu binden?“, Georg wunderte sich. Paula war doch erst 25, wollte sie wirklich jetzt schon den Rest oder zumindest einen Großteil ihres Lebens genau festlegen, Punkt für Punkt abhaken? „Ich will jetzt noch keine Kinder, wenn es das ist, was du meinst.“ Sie fuhr sich unwillkürlich mit der rechten Hand über den Bauch. „Aber ich bin bereit, glaube ich. Verstehst du? Bereit für eine Beziehung. Für eine gute Beziehung! Früher war ich das vielleicht nicht, weil ich noch so verkehrt war, ich hatte kein eigenes Leben oder habe es prompt beendet, sobald ich einen Freund hatte. Ich bin nicht mehr ausgegangen, habe mich nur noch selten mit den Mädels verabredet und immer nur den Haushalt geschmissen und gekocht.“ Sie hatte ausladend mit den Händen gestikuliert und ließ sie nun entnervt auf ihre Oberschenkel fallen. „Aber jetzt kann ich allein sein.“ Paula bemerkte Georgs skeptischen Blick und sagte schnell: „Naja, meistens. Ja, ich weiß. Sich Männer ins Bett zu holen, um nicht allein schlafen zu müssen, spricht nicht dafür... Aber das mach ich ja nicht ständig, es ist ja nicht jede Nacht jemand bei mir. Nein, im Gegenteil, ich will sogar ab und zu allein sein, ich brauche das. Ich krieg regelrecht nen Koller, wenn ich zum Beispiel zu viel arbeite und dauernd nett und freundlich zu allen sein muss. Dann schließ ich mich auch mal drei Tage zu Hause ein und mache gar nichts.“ Sie hatte so hektisch gesprochen, dass ihr Mund ganz trocken geworden war und so trank sie einen Schluck, bevor sie fortfuhr. „Und ich glaube, es ist elementar wichtig, allein sein zu können. Sonst mach ich mich abhängig. Meine Mama hat mal gesagt, eine Beziehung kann nur funktionieren, wenn jeder auch noch sein eigenes Leben hat.“



 Es war draußen auf der Bank vor ihrem Haus gewesen. Dort hatten sie gesessen, beide in Decken eingehüllt. Ihre Mutter hatte ihre üblichen filterlosen Zigaretten geraucht und sie hatten sich unterhalten. Paula hatte sich gerade von Matthias getrennt, sie war aufgewühlt gewesen und hatte viel geweint, weil sie sich ihrer Sache nicht sicher gewesen war. Ihre Mutter hatte ihr sanft über den Kopf gestrichen und gesagt, dass es die richtige Entscheidung war. Paula hatte diese Momente immer sehr genossen. Als Teenager war sie schrecklich mit ihr umgegangen, hatte sie angeschrien, angelogen und ein ums andere Mal enttäuscht. Doch irgendwann war sie ruhiger geworden, ihre Noten besser und ihre Exzesse weniger und sie hatte auf einmal wieder das Bedürfnis, ihre Mutter um Rat zu fragen. So wie an diesem kalten Frühlingstag vor fast sechs Jahren, als ihre Mama ihr erklärt hatte, was für eine erfolgreiche Beziehung wichtig sei. Paula hatte in den letzten Jahren häufig über die Liebe nachgedacht und warum sie ihr so schwer fiel. Sie hätte ihre Mutter gerne gefragt, ob es nicht leicht sein sollte und wenn es das nicht wäre, ob es dann falsch sei. Sie hatte lang gebraucht, um zu verstehen, was sie mit dem eigenen Leben gemeint hatte, und noch länger, um es umzusetzen. Aber sie würde diesen Ratschlag nie wieder vergessen. Es war der letzte gewesen.



„Da hat deine Mutter wahrscheinlich Recht.“ Georg wirkte gelangweilt und irgendwie abwesend. Er blickte an die Bar und sah zu, wie der Kellner Milch aufschäumte. Paula blinzelte und ihr Mund formte stumm ein einziges Wort: hatte.

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