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Von wegen Jesus!

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Yamin hat einfach selbst zur Sprühdose gegriffen und einen Banksy gesprayt. Einige hundert Meter hinter dem Checkpoint bei Bethlehem. Vorbei an verkokelten Wachtürmen, Grenzpolizisten und feilschenden Taxifahrern. Da prangt es an der Mauer, die Israel von der Westbank trennt: das berühmte kleine Mädchen, das von ihren schwarzen Luftballons in die Luft gezogen wird, an der Mauer empor und in die Freiheit.

  Vor dem Bild bleiben vor allem Ausländer oft stehen. Junge Leute, die für NGOs im nahen Jerusalem arbeiten oder für einige Wochen durch Israel reisen. Sie kramen dann hastig nach ihren Fotokameras und sind sicher: Endlich haben wir ein Original gefunden. Eines der legendären Bilder des britischen Streetartists Banksy, die rund um die Welt für Millionen von Euro gehandelt werden. Viele Besucher lassen die Sicherheitskontrollen am Checkpoint nur deshalb über sich ergehen, weil sie seine Bilder sehen wollen. Früher sind Touristen nur mit dem Reisebus gekommen, um die Geburtskirche Jesu in Bethlehem zu besuchen. Heute bringt ein Foto mit der rebellischen Kunst an der Mauer mehr Facebook-Likes.

  Wenn Yamin den Knipsern zuschaut, fängt er an zu prahlen. „Alle halten meine Version für das Original, so gut ist sie“, sagt er. Das echte Luftballon-Mädchen sei natürlich ganz woanders. An einem anderen Checkpoint in Richtung Ramallah. „Die Touris sollen einfach mich fragen, dann passiert ihnen so etwas nicht. Am besten buchen sie meine Banksy-Tour!“, protzt der füllige Mittdreißiger mit der großen Piloten-Sonnenbrille. Seit fünf Jahren ist Yamin selbsternannter Fremdenführer. Genauso lange bietet er schon seine Banksy-Tour an. In der Hauptsaison bis zu viermal pro Woche. Seine Kunden bringt er zu den bekanntesten Graffiti und mit der Schablone gesprühten Stencils in Bethlehem. Für Yamin und viele andere Palästinenser ist die Straßenkunst ein paradoxes Geschäft geworden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Protestbilder auf der Mauer zwischen Israel und der Westbank ernähren die Familie von Yamin, dem Fremdenführer.

  Denn egal, wen man hier fragt, eigentlich hassen sie alle die Mauer. Sie ist für Palästinenser ein Zeichen der Unterdrückung durch Israel. Die Menschen hier sprechen auch von der „Apartheids-Mauer“, sie trennt ihre Städte in zwei Teile und entzweit ihre Familien. Aber: Gäbe es die Mauer nicht, gäbe es auch keine Banksy-Bilder – und damit keine Touristen, die Geld in die Kassen spülen. Die Mauer ist Hassobjekt und Einnahmequelle zugleich.

  Banksy mischte sich 2005 mit seinen Bildern in den Konflikt ein, weil er ein Zeichen gegen die Politik Israels setzen wollte. Israelis bezeichnen die Mauer als „Sicherheits-Mauer“. Sie soll die eigenen Bürger vor Terror aus der Westbank schützen. Die Regierung in Jerusalem begann den Bau der Anlage 2002, nach dem Ausbruch der zweiten Intifada, jenem Großaufstand, der massive Gewalt und Terror von Palästinensern gegenüber Israelis zur Folge hatte. Der Staat hat sich das Projekt seitdem etwa zwei Milliarden Euro kosten lassen: modernste Zäune, Beton, Sensoren, Kameras und ein Großaufgebot an Grenzpatrouillen.

  Das Problem an der Sache ist: Die mehr als 700 Kilometer lange Anlage verläuft zum Teil hinter der inoffiziellen Grenze zwischen der Westbank und Israel – der „Green Line“. Beobachter der UN schätzen, dass Israel damit knapp zehn Prozent der Palästinenser-Gebiete von der Westbank abtrennt und sie sich damit faktisch einverleibt. Das verstößt gegen internationales Recht und hat seit Baubeginn eine weltweite Solidaritäts-Welle mit den Palästinensern ausgelöst. Kunstwerke von Straßenkünstlern wie Banksy verbreiten seitdem hochpolitische Botschaften gegen die Mauer, direkt an der Mauer: „Make Humus not Walls“ ist da zu lesen oder „Fragile“. Zur Folge haben die Tags aber eben vor allem eins: einen Tourismus-Boom. Besucher wollen die rebellischen Bilder sehen und die Bedrückung der Mauer gleichzeitig hautnah spüren.

Gegner fordern, die Mauer müsse dreckig bleiben. Nichts soll ablenken vom Elend.

  Yamin holt seine Gruppe um neun Uhr morgens auf der palästinensischen Seite des Checkpoints Bethlehem ab. Die Straße ist voll mit Menschen. Viele Palästinenser müssen jeden Tag durch die Kontrollen, um zur Arbeit nach Jerusalem pendeln zu können. Ringsum hupen die Taxis. Es riecht nach Staub, Straßenhändler verkaufen Zigaretten und Kaffee mit Kardamom.

  Yamin hat heute Besucher aus den USA. In einigen Sätzen erklärt er den Nahostkonflikt aus seiner Sicht und zeigt gleich das erste Banksy-Bild: eine große Schere, die ein Viereck aus der Mauer schneidet. Dann steckt er seine Kunden in eine 22 Jahre alte weiße Mercedes Stretch-Limousine und fährt los. Pro Person kassiert er heute um die 50 Euro. Erste Station nach dem Konflikt-Crashkurs ist der „Banksy Shop“ direkt an der Mauer.

  Dessen Angestellte warten schon. Erst drücken sie den Touristen kostenlosen türkischen Kaffee in die Hand, dann eine Sprühdose. Sie haben zusammen mit Yamin vorher ein Stück Mauer weiß gestrichen. Eine Attraktion der Tour: selbst sprühen. Die Touris machen dankbar mit, sprayen ihre Botschaften in grün und blau an die Wand, machen Fotos. „Ich sehe kein Problem damit, wenigstens wird der Nahost-Konflikt so ein wenig bunter“, sagt eine Besucherin. Andere machen sich Gedanken, ob sie mit den Fotos Probleme am Flughafen in Tel Aviv bekommen könnten. Die Kontrollen dort sind streng, sogar beim Verlassen des Landes. Das falsche Bild auf der Handykamera kann im schlimmsten Fall zu langen Einzelbefragungen führen. Dabei steht Yamins Tour mittlerweile sogar in einem bekannten amerikanischen Reiseführer.

  Nach dem Sprühen geht es in den Shop. Banksy-Taschen, Banksy-T-Shirts, Banksy-Mosaiks, Banksy-Holzaufsteller. „Klar machen wir Geld mit der Situation, aber die Mauer wird auch nicht einfach verschwinden“, sagt Yamin. Einer der Verkäufer des Shops fügt hinzu: „Hier im Haus wohnen drei Familien, die wir mit unserem Verdienst aus dem Laden durchbringen.“ Ob das wirklich stimmt, lässt sich nicht sagen. Und einen moralischen Hintergrund erklären einem in Bethlehem im Grunde alle. Sie scheinen das Gefühl zu haben, sich dafür rechtfertigen zu müssen, dass sie an der verhassten Mauer verdienen. Sogar die Taxifahrer sagen bei fast jeder Fahrt Sätze wie: „Gut, dass ihr hier seid und Zeuge unserer Unterdrückung werdet.“ Normalerweise folgt darauf schnell: „Deshalb bringe ich euch besonders billig zu den Banksys und zur Geburtskirche von Jesus.“

  Es ist längst ein Konkurrenzkampf um die Banksy-Touristen ausgebrochen. Claire ist eine bissige Geschäftsfrau in ihren Dreißigern, ihr Haus liegt direkt hinter dem Checkpoint, es ist von allen Seiten von grauem Beton eingeschlossen. Sie fühlt sich benachteiligt. „Die machen das doch nur, um sich zu bereichern!“, schimpft sie. Die Touren seien eine abgekartete Sache. Besucht würden nur Orte, an denen die Guides dafür abkassieren, dass sie Besuchergruppen ankarren. Glaubt man Claire, stecken die Fremdenführer mit den Taxifahrern unter einer Decke. Abgelegene Souvenirläden wie ihr eigener kämen dadurch unter die Räder. „Ich unterstütze mit meinem Gewinn seit Jahren gemeinnützige Projekte“, sagt sie, „ich beherberge Gäste in meinem Haus und erkläre ihnen den Konflikt.“ Dass diese Herberge bis zu 150 Schekel pro Nacht kostet, etwa 30 Euro, sagt sie nicht.

  Jedenfalls weigert sich Claire, ein Drittel ihres Gewinns an die Guides abzugeben. Sie muss immer wieder an die Hauptstraße laufen, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie fängt dort Touren ab und versucht sie zu ihrem Shop zu lotsen. Ein Wettbewerb um das Geschäft mit der Mauer. „Ich habe Banksy damals selbst getroffen“, behauptet Claire. „Dass das so eskaliert mit dem Konkurrenzkampf um die Touristen – das hat er bestimmt nicht gewollt.“

  Yamin steht an der Spitze dieser Nahrungskette. Er kennt jeden Taxifahrer und jeden Restaurantbetreiber. Auf dem Weg zu den nächsten Graffiti hat er seiner Gruppe aber auch das Flüchtlingscamp in Bethlehem gezeigt und den Gestank in der Luft erklärt. Der Geruch kommt von einem israelischen Wasserwerfer, der an dieser Stelle zwei Tage zuvor stinkendes Wasser auf Demonstranten geschossen hat. „Die Kinder hier sammeln auch die Tränengas-Kartuschen wieder auf und verkaufen sie an Metallhändler“, erklärt der Führer.

  Das ist der zweite Nebeneffekt von Banksys Bildern: Durch den Mauertourismus können die Palästinenser nicht nur Geld verdienen, sondern auch auf sich aufmerksam machen. Mit den Streetart-Künstlern ziehe er die Leute nur an, sagt Yamin: „Sie sind quasi der Aufhänger für die Tour, aber dann erkläre ich, was hier wirklich abgeht.“

  Alle hier achten deshalb penibel darauf, dass das Alte nicht übersprüht wird. Zwei Banksys fielen dem Tourismus schon zum Opfer, weil neue Künstler sich auf der Mauer verewigen wollten. Das soll nicht noch einmal passieren. Aber es gibt noch eine andere Sichtweise: die von Jamal Joma’a von der Organisation „Stop The Wall“. „Wenn es nach uns ginge“, sagt er, „würde die Mauer dreckig und hässlich bleiben.“ Die Kunst an der Mauer berge die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit von den echten Problemen abgleite.

  Yamins Gäste sehen die Auswirkungen sogar noch am Schluss. Nach der Tour bringt er sie bis zu den strengen Sicherheitskontrollen des Checkpoints zurück. Wie beinahe jeden Freitag gibt es auf der Hauptstraße zum Durchgang Ausschreitungen. „Ein paar 14-Jährige, die Steine werfen“, sagt Yamin, während er einen Umweg fährt.

  Dann geht es durch die engen Gitter am Grenzübergang hoch zu den Kontrollen. Es dämmert schon, Yamin hat überzogen. Nach der Mauer ist er mit einem Teil der Gruppe noch spontan in die Wüste zu den Beduinen gefahren. Jetzt winkt er die letzten Gäste zu den Metalldetektoren der Grenzpolizei. Yamin ist durch und durch Geschäftsmann und meint es dennoch ernst mit seinem Wunsch, Besucher aufzuklären. Während die Kontrollen seine Besucher noch immer verunsichern, sind sie für ihn nur noch ein Teil der Tour. Über die Grenze geht er trotzdem nicht, er hat keine Aufenthaltsgenehmigung für Israel. Während er die Touristen verabschiedet, streichen seine Kumpels das Stück Mauer mit dem Graffiti der Gäste schon wieder weiß. Für die neue Gruppe am nächsten Tag. Nur Yamins Stencil-Mädchen bleibt still mit ihren Luftballons hängen. Keiner würde sie anrühren, immerhin ist sie ein echter Banksy.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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Text: max-biederbeck - Fotos: Biederbeck

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