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Nachtschicht - die jetzt.de-Kettengeschichte, Teil 1

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Wir legen vor, du schreibst weiter: Dies ist der erste Teil der jetzt.de-Kettengeschichte, die jetzt-User und jetzt-Redaktion in den kommenden Wochen gemeinsam schreiben werden (Hier kannst du lesen, wie du mitmachen kannst).

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Nachtschichten sind weiß. Anna findet, Nachtschichten sind weiß. Leere Stunden, in denen das Eintreten einzelner Kunden den Bewegungsmelder über der Schiebetür rot und einsam aufblinken lässt. Wie eine Boje, die meiste Zeit von Wellen verschluckt, mitten im Meer.

Anna wechselt hohle Sätze, empfängt dahingenuschelte Höflichkeitsfloskeln, nie mehr als ein kurzer Blickkontakt. Ein zahnloses Lächeln, ein Nicken, wenn es gut läuft. Lottoscheine, Zigaretten, Cherry Coke. Kommt einer, der ihr gefällt, zieht sie ein bisschen die Schultern nach hinten, fragt freundlich, ob es noch etwas sein darf. Aber Annas Selbstbewusstsein und ihre braunen Augen strahlen nie so sehr wie das rote Polohemd mit dem Firmenlogo auf der Brust, das sie während der Schicht tragen muss. Schlimm sind die Gruppen. Die Gruppen sehr betrunkener, sehr junger Männer, natürlich, die sind laut, schamlos und abstoßend. Anna kennt das, das Lallen, die kleinen Augen, den Geruch von Jägermeister, Zigarettenrauch und Bier aus gerade dem Stimmbruch entwachsenen Kehlen. Geht etwas zu Bruch, wischt Anna vor dem Kassieren und die jungen Männer müssen warten und schwanken leicht, das Sixpack fest umklammert. Wer ein Zungenpiercing hat, klackert dabei wie ein Windspiel aus Zähnen und Plastik. Oft kaufen sie noch einen Schokoriegel, den sie eigentlich nicht wollten. Zum Schluss sagt Anna mit sehr energischer Stimme die Wechselgeldsumme an. Und: „Tschüss!“    

Anna kennt Tankstellenkunden. Anna weiß, Kiffer brauchen lange, bis sie das Geld aus ihren Taschen gefummelt haben. Manchmal ziehen sie, aus Versehen und zusammen mit einem Schein, das Tütchen mit dem Gras hervor und legen es auf die Theke und dann liegt es da, das Gras, für einen kurzen Moment und verrät ein Geheimnis. Anna tut immer so, als hätte sie es nicht bemerkt. Anna weiß, der Typ, der Salzgebäck oder Weingummi, Cola oder Eistee kauft und dessen Freundin im Auto wartet, schaut heute Abend mit dieser Freundin einen Film, den er wahrscheinlich nicht sehen will. Anna weiß, um zwei Uhr muss sie immer das Bier nachfüllen. Das steht auf ihrem Schichtplan, an den sich zu halten ist.

Es gibt für alles einen Plan, die ganze Tankstelle ist ein ausgeführter Plan und den Plan macht Annas Chef. Preußen-Paule. Eigentlich heißt er Paul Wisselmann. Paul Wisselmann sagt sehr oft „preußisch“, es ist sein Lieblingsadjektiv und deshalb nennt Anna ihn Preußen-Paule. Preußen-Paule organisiert die Aufgaben in seiner Tankstelle mit Listen. Für jede Schicht gibt es eine Liste, über deren Einhaltung Paul Wisselmann preußisch genau wacht. Es ist klar festgelegt, wann wie viele Baguettes aufgebacken werden und wann das Regalfach mit der Putensalami aufgefüllt wird. Auf der Liste steht auch, wie viele Packungen Putensalami mindestens im Kühlschrankfach stehen müssen. Unter der Liste, die zum Nachfüllen aller Frischwaren anleitet, steht fett und rot: „VERFALLSDATEN KONTROLLIEREN“. Paul Wisselmann ist ein sehr gewissenhafter Mensch. Paul Wisselmann weiß, wer genauer ist als das Gesundheitsamt, bekommt keinen Ärger.

Anna kassiert. Anna sagt, „danke“. Anna schaut auf die Uhr. Und noch mal. Anna wünscht sich sehr einen Nachtschalter. Mit dieser einfachen großen Schublade und dem knarzigen Mikrofon verbindet Anna eine große Aufwertung ihres Lebens. Paul Wisselmann plant einen Nachtschalter, das hat er gesagt, auf der letzten Mitarbeiterbesprechung, er sagte: „Ist in Planung“. Anna hofft das erste Mal in ihrem Leben, dass alle seine Pläne funktionieren und während sie daran denkt, denkt sie zum ersten Mal „Herr Wisselmanns Pläne“ und nicht „Preußen-Paules Pläne“.

Es ist halb drei und Anna horcht auf. Sie hört laute Stimmen, aufgebrachte Stimmen, da schreit jemand, es kommt von hinten, von der Waschanlage, und dann knallt es und dann klirrt es, vielleicht auch beides gleichzeitig. Es klirrt und Anna ist die, die da ist, als es klirrt.  

Wie es weitergeht? Das wissen wir noch nicht - aber du kannst es entscheiden. Möchtest Autor/in der jetzt.de-Kettengeschichte sein? Dann lies hier nach, wie du mitmachen kannst.


Text: dorian-steinhoff - Illustration: Yinfinity

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