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Bittersüß

Text: Zwischenruf
Sobald mein Alltag Auflösungserscheinungen hat und die Welt nur noch aus dünnen Fasern besteht und ganz gern mal wie das Damoklesschwert am seidenen Faden baumelt und in der frischen Brise weht, gehen meine Gedanken zu Dir.
Das macht nichts besser, einfacher oder leichter zu ertragen; es macht es bittersüß.

Du könntest der Richtige sein, denke ich, mit dem ich die Roma-Tomaten nehmen würde, während ich die wässrigen Fleischtomaten in den Einkaufswagen räume.
Du könntest der eine sein, überlege ich, mit dem ich das Steak kaufe, während ich mich mit dem Hackfleisch begnüge.
Du wärst der, der den Witz in dem Foto verstehen würde, für das ich drei Anläufe brauche und immer noch nicht zufrieden bin.
Du wärst der, der die Bank im sonnigen Windschatten finden würde und dort den Arm ungefragt um mich legen würde, weil Du weißt, dass mir trotzdem kalt ist.
Du wärst derjenige, der ohne ein Wort die schwerer Einkaufstüte nehmen würde und dabei müsste ich mich nicht wie die schwächliche Prinzessin auf der Erbse fühlen sondern wie jemand, der geliebt wird.
Dein Orientierungssinn ist so gut, dass ich getrost auf jedes Navi verzichten kann und Du würdest mich sanft darauf hinweisen, dass ich in die falsche Richtung fahre. Aber lachen würdest Du trotzdem über mein rot angelaufenes Gesicht und trocken kommentieren, dass Du schließlich gar nicht fahren kannst.
Mit Dir hätte ich keine endlose Jagd nach genau den Schuhen hinter mir, sondern Du hättest einfach zwei Paar bestellt - eines in 41 und eines in 38.
Du wärst der, der meine Topfpflanze ohne Federlesen in einen Karton packen würde und Du würdest nicht jedes Mal viel zu viel Porto bezahlen, sondern das System durchschauen. Und ich hätte meine Topfpflanze eine Woche später zu Hause.
Du würdest den richtigen Wein aussuchen und ihn kühl stellen und Dich mit mir beim Spülen abwechseln. Dir würde nicht im Traum einfallen, Deinen Kamm auf dem Küchentisch zu deponieren und Du würdest eher gar nichts essen anstatt währenddessen Deine Ellenbogen auf den Tisch zu verfrachten.
Du wärst derjenige, mit dem ich auch ein 80 cm breites Bett teilen würde, Du würdest die Lieder verstehen, die ich singe und Du verstehst auch, was warum an meinen Wänden hängt. Du würdest lachend davorstehen und mich in die Arme nehmen und sagen: "Die habe ich monatelang gesucht" und Du würdest mich so ansehen, dass ich nicht wüsste, ob Du die Seekarte oder mich meinen würdest.
In Deinen Armen würde ich nie die Starke spielen. Du würdest all meine Tränen sehen, meine kleinen Triumphe, die Rettungsversuche meiner Würde, Du würdest all meine Träume kennen und wissen, warum ich manchmal auf den Mond starre und traurig bin. Und Du würdest still hinter mir stehen und die Arme um mich legen und ich würde lernen, dass es keinen Grund mehr gibt, traurig zu sein, wenn Du doch bei mir bist.

Ohne Dich kann ich mir immer nur überlegen, wie das alles wohl wäre und manchmal sehe ich Dich, wie Du neben mir gehst und mich nachdenklich von der Seite ansiehst, aber wenn ich blinzle, bist Du verschwunden und ich weiß, dass mir die bittere Süße gerade die Sicht vernebelt hat.

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