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Berliner Gespräche Teil 2

Text: SofiaKorksenzieher

„Nein, wir haben seit Jahren nichts von ihm gehört. Nachdem er aus der Klapse entlassen wurde, hat er aufgehört, die Medikamente zu nehmen und...naja...nichts hat sich geändert, weißt du? Meinem Dad gings so schlecht in der Zeit und jetzt braucht er seine Kräfte für sich. Zumindest sagt das seine Freundin. Und wahrscheinlich hat sie Recht. Er hat nur mal gefordert, dass mein Papa ihm seinen Erbanteil auszahlt, aber irgendwie ist das auch im Sande verlaufen.“ Sie nahm ihre Tasse und stellte sie wieder auf den Tisch, als sie merkte, dass sie leer war. „Sollen wir noch was trinken?“ Georg nickte und winkte dem Kellner. „Nochmal nen Kaffee oder magst du was anderes?“ „Bier!“, entgegnete Paula entschieden. Sie hoffte, dass der Alkohol den faden Geschmack in ihrem Mund vertreiben und die Stimmung auflockern würde.



Sie stießen an und nahmen hastig einen tiefen Schluck, um das Schweigen zu überbrücken. Sie lächelte ihn an, zum ersten Mal, seitdem sie dieses seltsame Gespräch begonnen hatten. „Wohnt deine Freundin eigentlich auch in Berlin?“, fragte Paula mit funkelnden Augen und nippte an ihrem Glas. Georg war überrascht und überlegte, ob der weitere Verlauf des Abends von seiner Antwort abhing. Er fuhr sich mit der Hand durch den dichten Bart und sah sie an. Wieder tauchte für einen kurzen Augenblick das Bild von ihr auf, wie sie nackt in seinem Bett lag. „Nein, sie wohnt in Wien. Wir sehen uns nicht so oft. Leider.“ Das letzte Wort sprach er so leise, dass es fast nicht zu verstehen war und er wusste selbst nicht, ob es die Wahrheit war. Er liebte seine Freundin, aber sie war so weit weg. Ihre Beziehung war in der Routine der Fernbeziehung gefangen und entbehrte jedweder Spannung. Paula nickte, als hätte sie etwas verstanden. Aber was, was eigentlich? Georg wurde unruhig. Hastig rollte er sich eine Zigarette und sog den Rauch in tiefen Zügen ein. „Weiß sie, dass wir uns treffen?“ „Nein.“ Er fühlte sich entlarvt und hinterlistig. Natürlich würde er gerne mit ihr schlafen, aber er wollte nicht, dass sie das wusste.



Paula hatte ihr Bier bereits zur Hälfte geleert und spürte, wie es ihr zu Kopf stieg und die Unvernunft sich einstellte. Wenn Georg sie ansah, erkannte sie das Verlangen in seinem Blick. Es war ihr eigentlich egal, aber sie fühlte sich geschmeichelt. Seine aufkeimende Unsicherheit forderte sie heraus und so legte sie eine Hand auf sein Knie. Eigentlich war sie überhaupt nicht an ihm interessiert, sie hatte nicht einmal besonders viel Spaß an diesem Treffen, aber ihre Gesprächsthemen hatten sie melancholisch gemacht und sie hoffte, dass er dieses Gefühl in einer kurzweiligen Nacht vertreiben könnte. Sie hatte schon lange nicht mehr so viel über Tom nachgedacht.



Georg war damals auch in diese ganze Sache involviert gewesen, war einer derer, denen Tom diese gräulichen Taten vorwarf, die nur in seinem Kopf existierten. Lange hatten sie es nicht durchschaut, hatten gezweifelt, ob nicht doch etwas wahres dran sein könnte. Aber als Tom immer mehr Menschen der Vergewaltigung seiner Exfreundin bezichtigte, wurde Paula und ihrem Vater langsam klar, dass etwas nicht stimmte. Dass mit Tom etwas nicht stimmte. Tom war Georg sogar einmal bis vor seine Haustür in Berlin gefolgt, hatte ihn beschimpft und gedroht, ihn umzubringen. Ein neuerlicher Tiefpunkt, der die Polizei noch immer nicht zum Einschreiten zwingen konnte. Und so saß Paula ein Jahr lang allein in ihrer Wohnung und wartete auf einen Anruf irgendeines Nachbarn im Dorf, in dem ihr wieder und wieder erzählt wurde, dass Tom ins Haus eingebrochen war und sämtliche Bilder ihrer Mutter mitgenommen hatte. Oder ein Foto ihres Vaters auf dem Küchentisch drapiert und ein Messer hineingesteckt hatte.



Paula schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als könnte sie so die schrecklichen Gedanken vertreiben.



„Wie lange bist du schon mit deiner Freundin zusammen?“, fragte sie, um sich selbst von ihren düsteren Erinnerungen abzulenken. Sie wollte dieses Gespräch in andere Bahnen lenken, weg von Tom. Vielleicht könnte sie ihn dazu bringen, ihr ein Kompliment zu machen. Ihre Hand lag noch immer unverändert und unbeweglich auf seinem Knie. Georg war kaum merklich zusammen gezuckt, hatte aber nicht darauf reagiert. „Seit über zwei Jahren. Wir haben uns hier kennengelernt.“ „Wollt ihr zusammenziehen, irgendwann?“ Georg überlegte, was er antworten sollte. Sie hatten darüber gesprochen, ein paar Mal, aber er fühlte sich noch nicht bereit. Manchmal zweifelte er auch an ihrer Beziehung, weil ihm so vieles fehlte. Und jetzt gerade, in diesem Moment, im Café mit Paula, die ihre Hand auf sein Knie gelegt hatte, konnte er diesen Gedanken nicht zu Ende denken und so log er. „Nein. Es läuft auch nicht so gut zwischen uns. Ich glaub...naja, irgendwie passt es nicht.“ Er hab den Kopf und sah ihr in die Augen, zwang sich zu einem verschmitzten Lächeln. Sie erwiderte es und streichelte einmal über sein Bein, bevor sie die Hand wegnahm. „Ja, das mit diesen Beziehungen... Bin da auch nicht sonderlich erfolgreich gewesen bisher, irgendwie hats nie richtig funktioniert. Und jetzt bin ich ja auch schon seit mehr als drei Jahren Single.“ Paula strich sich mit der Hand durch die Haare, eine Geste, von der sie immer glaubte, dass sie sexy wirken würde, und nahm einen Schluck Bier. „Ich kann gar nicht verstehen, wie du schon so lange ohne Mann sein kannst. Sind die alle blind in Bayern oder was ist da los?!“. Er berührte flüchtig ihren Unterarm. Sie sah im eine Weile ernst in die Augen, dann lachte sie. „Ja, wahrscheinlich. Daran wird’s liegen.“ Sein Kompliment fühlte sich gut an, aber es hatte nicht die erhoffte Wirkung, es war nicht stark genug, seine Anziehung war nicht stark genug, um die Schatten zu vertreiben. Sie verfielen wieder in Schweigen.



 

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