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Flaschendrehen in Kunstverpackung

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Eine Woche lang zeigen beim Münchner Radikal-Jung-Festival Nachwuchsregisseure Theater und Performances. Eine davon war „The Lottery“ von den Isrealis Keren Sheffi und Saar Székeley. Die Zuschauer wurden zu Akteuren: in einem Sozialexperiment hörten sie vier Stunden lang auf die Befehle eines Computers. Moritz Beichl, 21, hat mitgemacht, hier erklärt er, wie das so ist, wenn einer dem anderen einen Orgasmus schenken soll – und dabei ein Bild rauskommt.  

Jetzt.de: Wie sah das Experiment genau aus?
Moritz: Wir waren anfangs etwa 35 Leute und wurden in einen Büroraum geführt, wo wir vier Stunden blieben. Es gab Bier, Wein, Wodka, ein bisschen was zu essen, einen Entspannungsbereich mit Matratzen und Kissen, ein „Gefängnis“ aus Glaswänden, was zu lesen, Stühle. Und einen Computer.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Was passiert, wenn der Computer sagt: "Go and cry"?

Und der hat euch Aufgaben gegeben. Welche?  
Ich sollte zum Beispiel die Person umarmen, vor der ich am meisten Angst hatte. Gerade die hatte lustigerweise die Aufgabe, den zu beobachten, der gerade die Person umarmen soll, von der er am meisten Angst hat. Dann sollte ich im Sitzen tanzen, für immer mit dem Rauchen aufhören oder einer Fremden zehn Minuten lang in die Augen sehen. Immer wieder musste ich mich mit bestimmten Leuten über ein vorgegebenes Thema unterhalten. Zwei von uns sollten zum Beispiel ganz viele Sexstellungen vorführen, eine sollte einer anderen einen sehr tollen Orgasmus bereiten, während diese sich vor ihr zu fürchten hatte. Sie haben sich dann in ein Zimmer verkrochen und kamen wieder, mit einem selbstgemalten Bild – dem Orgasmus. Einer anderen wurde gesagt „Go and cry“.

 Es gab aber keine Kontrollinstanz, wir konnten also immer selbst entscheiden, ob wir eine Aufgabe erfüllen oder nicht. Das Spannende war, dass man oft nicht wusste, ob einer jetzt tut, was er selbst tun möchte, oder ob er macht, was der Computer ihm aufträgt. Als ich den anderen, die irgendwann angetrunken nur noch Party gemacht haben, sagte, sie sollten wieder auf den Computer achten, glaubten sie zum Beispiel, dass das meine Aufgabe ist. Besonders gegen Ende hin, als wir ziemlich betrunken waren, wurde das sehr konfus. Ich habe das dann irgendwann voll ausgenutzt, krasse Sachen ausprobiert und geflirtet.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Normalerweise studiert Moritz Regie, bei "The Lottery" saß er tanzend auf dem Boden

Das Experiment beruht auf der „Lotterie in Babylon“, einer Kurzgeschichte des Argentiniers Jorge Luis Borge. Darin geht es um einen Staat, dessen Bürger von einer Lotterie gesteuert werden. Der Autor eures Experiments wollte, dass ihr durch die Regeln merkt, dass euch immer im Leben Regeln leiten, nur normalerweise unbewusst. Die israelische Zeitung Haaretz schrieb, wer an diesem Experiment teilnehme, verliere den Glauben an den freien Willen. Hast du deinen noch?
 Ja. Ich emfand genau das Gegenteil, wir konnten selbst bestimmen, was passiert. Es hat ja niemand kontrolliert, was wir tun. Ich konnte mich bei jeder Aufgabe dafür oder dagegen entscheiden.  

Was zeigte das Experiment also deiner Meinung nach?
Es sollte uns fremden Leuten näher bringen. Das hat geklappt. Einfach, weil wir so absurde Situationen durchleben mussten. Deswegen hat es mir sogar viel Spaß gemacht, obwohl ich Mitmachtheater meistens doof finde. Und es sollte uns Beliebigkeit und Zufall vorführen. Denn ich glaube, die Aufgaben waren völlig willkürlich. Auch zu Beginn, bevor wir in den Raum geführt wurden, stellten uns Interviewer komische Fragen, wie ob wir mit ihnen schlafen würden und welche Partei wir wählen. Das war sehr beliebig, die Fragebögen wurden sicherlich danach weggeworfen. Am Ende hieß es dann einfach – und warum auch immer: „Nummer 31, du hast das Spiel gewonnen.“

Text: anne-kratzer - Foto: privat; Illustration: Katharina Bitzl

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