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Neulich im Freilichttheater mit Draht- und anderen Eseln

Text: freitagsmachichfrei

Als ich an diesem Abend nach Hause kam, bemerkte ich schon von Weitem, dass vor unserem Haus Bewegung war. Ich sah einen Mann an meinem Fahrrad rütteln, das am Gartenzaun befestigt war. Zu meinem Erstaunen wurde aber nicht nur an meinem Drahtesel herumgerissen, sondern auch an dem Mann.



Zwei kräftige Männer machten sich an ihm zu schaffen, versuchten ihn wegzuzerren und festzuhalten. Doch dieser wehrte sich, als ginge es um sein Leben. Vandalen! Mir tat mein Fahrrad leid. Es war sozusagen sein Rettungsanker. Dann verschob sich die Rangelei nach rechts. Der Mann umklammerte nun den Rahmen eines anderen Fahrrads, fluchte und tobte zum Gotterbarmen.



Auf der Strasse versammelten sich die Schaulustigen. Doch niemand schritt ein. Mein Vermieter, Herr Bertschi, stand auch schon unten und schüttelte den Kopf. Er, selber ehemaliger Ordnungshüter, hatte längst die Polizei verständigt. Das wusste auch seine Frau, die das Geschehen schon eine Weile lang aus sicherer Distanz vom Balkon aus beobachtet hatte.



Frau Bertschi war recht kampferprobt und schon wegen diverser Angelegenheiten durch alle Ämter gepoltert. Sie war bekannt und gefürchtet, wenn es darum ging, ihr Eigentum und die verdiente Ruhe rund ums Haus zu verteidigen. Und sie gab selten auf. Wer die Diskussion mit ihr scheute, stellte sich am besten auf ihre Seite. Das war einfacher. Und schonte die Nerven.



Als der Bedrängte schliesslich unter ihrem Balkon am Zaun herumriss, stürzte ein tüchtiger Schwall heissen Wassers aus dem zweiten Stock auf die Streithähne. Das war Frau Bertschis Geschoss. Es trug nicht zwingend zur Kühlung der Gemüter bei. Eine knappe Sekunde lang hielten die drei inne, um dann im dreistimmigen Chor heftig nach oben zu fluchen. Dann ging es wieder energisch zur Sache. Frau Bertschi war hier Nebensache, eher wie eine lästige, nervende Fliege. Da sollten sie sich täuschen.



Herr Bertschi klärte mich auf, dass der eine der drei die Autotür der beiden anderen mit einem Schlüssel zerkratzt hatte, weil die zwei vom Hunger geplagten Herren verbotenerweise ihr Auto vor die Einfahrt des Dritten abgestellt hatten, um sich beim Kebabladen vis à vis zu verköstigen. Viele Kunden taten es ihnen gleich, was die Anwohner sehr verärgerte. Schreihals hatte hier ein Zeichen setzen wollen. Die Kebabkonsumierer hatten ihn aber dabei ertappt und wollten ihn nun der Justiz überstellen.



Ich setzte mich auf die Gartenmauer, schnappte mir eines ihrer saftenden Bündelchen, die sie auf unserer Treppe deponiert und in der Zwischenzeit zu erkalten drohten und rammte meine Zähne in dessen Inhalt, um besser verstehen zu können, ob sich deswegen die lächerliche Rangelei lohnte. Ja, schmeckte gut. Eine Cola hätte gut dazu gepasst. Kauend widmete ich mich wieder der Freilichtaufführung.



Frau Bertschi schickte nun die nächste Ladung heissen Wassers auf den Weg. Ihr Mann schüttelte beim Anblick dieser mittelalterlich anmutenden Szene verständnislos den Kopf und stammelte ein «Halleluja», während unter dem Balkon vier Fäuste in die Höhe gestreckt wurden. Dann erschienen endlich zwei Polizisten, welche die Raufenden regelkonform trennten und Ordnung ins Chaos zu bringen versuchten. Alle kühlten sich jetzt etwas ab, und eigentlich hätte sich die Menschenmenge nun auflösen können, denn jetzt gab es nichts mehr zu sehen.



Davon hatte Frau Bertschi allerdings nichts mitbekommen. Mit frisch gefülltem Eimer stürmte sie erneut auf ihren Balkon und überliess auch die nächste heisse Ladung der Schwerkraft. «Schleicht euch, Gesindel!», wetterte die selbsernannte Frau Holle nach unten. Ungeschickterweise standen diesmal die Polizisten unter dem Balkon und kriegten die ganze Ladung ab. Die Menge tobte. Die Polizisten auch. Und Herr Bertschi brachte nur noch ein «Jetzt spinnt sie vollständig!» heraus.

Eines musste man ihr aber lassen: Sie war beharrlich und effektiv. Und mit allen Wassern gewaschen. Die Strolche und die Polizisten nur mit heissem.






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