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Die Ja-Sager

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Ein kleiner Professor mit wirren grauen Haaren und weißem Kittel schlurft durch den bis zum letzten Platz gefüllten Hörsaal. Die Paare von Studentenaugen verfolgen ihn, bis er vorn an der Tafel angelangt ist und nach einem Kreidestück greift. Ein Mädchen in der ersten Reihe japst vor Aufregung. Als der Professor zur Seite tritt, lesen die Studenten in sorgfältig geschriebenen Buchstaben: „Die Formel der ewigen Liebe“.

Ein Seminar, das einen endlich einmal eine Lektion fürs Leben lehren könnte: das Geheimnis einer langen und gesunden Beziehung. An der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois gibt es einen solchen Kurs schon seit vierzehn Jahren. Ohne wirren Professor natürlich und auch ohne die eine, alles erklärende Liebesformel. Aber sich dieser Formel annähern, das will man dort schon.

„Marriage 101“ heißt das Seminar. Der Titel klingt, als würden hier prüde Amerikaner gegen Sex vor der Ehe und Verhütung predigen. „Auf gar keinen Fall“, sagt Professor Alexandra Solomon, die den Kurs an der amerikanischen Privatuniversität leitet. Das Seminar habe keine religiösen Grundlagen oder Absichten. „Es geht auch nicht nur um Ehe, sondern um alle Arten von längeren, intimen Beziehungen.“ „Marriage 101“ klinge halt besser als „Long Term Intimate Relationship 101“, erklärt Solomon. Sie hatte vor vierzehn Jahren das Ziel, einen akademischen und emotional erfahrbaren Kurs anzubieten. Was ihr wohl gelungen ist – die Studenten reißen sich um die Plätze. Solomon musste die Liste in diesem Frühjahr auf hundert beschränken. Die ersten Plätze bekommen die Studenten ihrer Fakultät „Human Development and Psychological Services“, theoretisch darf aber jeder teilnehmen.

Charlie Cogan studiert Medizin und Deutsch an der Northwestern University und war im vergangenen Jahr dabei. Der 22-Jährige würde den Kurs jederzeit wieder belegen. Er habe sehr viel gelernt und konnte sogar seine Beziehung retten. „Ich bin mit meiner Freundin jetzt schon fast sechs Jahre zusammen, aber es war immer eine On-off-Beziehung. Als ich den Kurs belegte, waren wir gerade getrennt, wir dachten: endgültig“, erzählt Charlie. Er habe in dem Kurs aber gemerkt, wie sehr er sie vermisst habe, wie wertvoll eine lange Beziehung sei und wie sie ihre Probleme lösen könnten. „Ich habe gelernt, dass gute Kommunikation bedeutet zu sagen, was man denkt“, erklärt Charlie. „Das mag den anderen verletzen, aber es kann noch schlimmere Folgen haben, wenn man es nie sagt.“

Der Kurs besteht aus zwei Sitzungen in der Woche, die jeweils ein spezielles Thema behandeln: Partnerwahl, Konfliktlösung, die Bedeutung von Sex. „Wir haben gelernt, dass eine Beziehung mit Sex besser ist als eine ohne“, sagt Charlie und grinst dabei, als habe er das schon vorher gewusst.

Ehe-Unterricht hat vor allem in Amerika eine gewisse Tradition. Er richtete sich früher aber insbesondere an die Frauen, die dafür sorgen mussten, den Mann zufriedenzustellen und die Ehe am Laufen zu halten. Gerade in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg vermittelte man den Mädchen und Frauen die Rolle einer guten Ehefrau, die dem Mann unterstellt ist, ihn verwöhnt und niemals um Hilfe im Haushalt fragt. Noch in der Bush-Ära startete die Regierung eine Ini­tiative für steuerfinanzierten Ehe-Unterricht für sozial schwache Menschen, auch Obama ließ das Programm weiterlaufen. In Deutschland war man vor nicht allzu langer Zeit noch der Meinung, Frauen sollten gewisse Qualitäten in eine Ehe mitbringen. Deswegen legte man Wert auf den Hauswirtschaftsunterricht für Mädchen.

Kurse an der Uni sucht man bei uns aber vergeblich, obwohl die Nachfrage wahrscheinlich vorhanden wäre. Der Münchner Psychologe Martin Greisel sagt: „Eine lange und glückliche Beziehung steht immer noch ganz weit oben auf der Prioritätenliste.“ Auch wenn die Ehe nicht mehr für alle die gewählte Form dafür sei: In den vergangenen fünfzig Jahren hat der Prozentsatz der Menschen, die heiraten, stark abgenommen. Greisel hält Kurse wie den von Alexandra Solomon durchaus für hilfreich, zumal wir heutzutage viel größere Anforderungen an unsere Beziehungen stellen. „Früher gab man sich damit zufrieden, eine gute Partie zu machen. Heute will man mit dem Partner kommunizieren können, sich wohlfühlen, gefordert werden und noch viel mehr“, sagt Greisel. Gewisse Kompetenzen dafür könne man durchaus in einem Kurs erlernen. Und für Studenten könne es von großem Vorteil sein, akademische Inhalte zu verinnerlichen, indem sie diese quasi am eigenen Leib erfahren.

„Marriage 101“ ist sehr arbeitsintensiv. Zu dem Kurs gehört ein dicker Reader aus Büchern mit Titeln wie „Eheforschung im 20. Jahrhundert und Forschungsagenda für das 21. Jahrhundert“ oder „Liebe triangulieren“. Die Inhalte werden schriftlich abgefragt. Außerdem müssen drei Hausarbeiten geschrieben werden: über ein Interview mit den Eltern, ein Interview mit einem sogenannten Mentorenpaar und über ein frei wählbares Thema. Alexandra Solomon erklärt: „Im Gespräch mit den Eltern geht es darum, sich selbst besser kennenzulernen; zu verstehen, welche Art von Beziehung man vorgelebt bekommen hat.“ Bei ihren Mentorenpaaren sollen die Studenten herausfinden, warum deren Beziehung funktioniert und wie sie miteinander umgehen. Die Paare sind dabei keineswegs alle perfekte Beziehungsvorbilder auf der Zielgeraden zur diamantenen Hochzeit: „Wir haben einige, die schon lange verheiratet sind, aber auch unverheiratete Paare. Wir haben homosexuelle, interkulturelle und Transgender-Paare“, betont Solomon.

Ihre Assistentin Meghan Emerson, eine Masterstudentin, hält die akademische Komponente des Kurses für sehr wichtig. Zwar spiele in Sachen Beziehung die eigene Erfahrung eine große Rolle, sagt Meghan, es gebe aber biologische Erkenntnisse, die einen zum Profi unter all den ahnungslosen Beziehungslaien machen könnten. „Zum Beispiel ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Verliebte anfangs eine Art Sucht nach ihrem Partner empfinden“, erklärt sie. MRT-Aufnahmen würden zeigen, dass die Bilder der Gehirne von frisch Verliebten ähnlich aussehen wie die von Kokainabhängigen. Wenn man von solchen biologischen Prozessen wisse, könne man sich auf verschiedene Phasen der Beziehung einstellen, statt gleich hinzuschmeißen, wenn die Schmetterlinge sich verziehen. Außerdem räumt der Kurs mit der Vorstellung auf, dass irgendwo da draußen der oder die Richtige wartet, der perfekte Partner fürs Leben. „Wir sind so damit beschäftigt, Mr. Right zu suchen und in Selbstmitleid zu verfallen, wenn er nicht kommt, dass wir vergessen, darüber nachzudenken, was wir selbst in einer Beziehung zu bieten haben“, sagt die Kursleiterin. Assistentin Meghan ist überzeugt davon, dass es jungen Menschen an guten Vorbildern für erfolgreiche Ehen mangelt. Außerdem bestehe in vielen Köpfen das Bild der Sie-lebten-glücklich-bis-an-ihr-Ende-Romanze. „Das ist unrealistisch und birgt den Irrglauben, es habe nichts mit Arbeit zu tun, seine Beziehung am Laufen zu halten“, erklärt Meghan.

Natürlich ist das alles ein Faustschlag ins Gesicht jedes Romantikers. Die Ehe zu akademisieren, das Führen einer guten Beziehung zu lernen und zu lehren, das bedeutet eine Entromantisierung der Liebe. Und wenn man es weiterdenkt, entzieht es auch vielen anderen Aspekten unseres Lebens – Romanen, Filmen, Musik – den Nährboden. Die Studenten lernen, dass Liebe vor allem sehr viel Arbeit ist. Aber immerhin eine Arbeit, die sich lohnt.

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