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Spektralfarben (Arbeitstitel)

Text: mouton

Montags um 05:00 sagen die Menschen einander Guten Morgen.



Das ist wahrscheinlich die netteste Stunde am Tag“, schließt Muri seine Ausführungen über das überraschend positiv ausfallende Sozialverhalten von Kleinstadtmenschen zu unmöglichen Uhrzeiten mit seinem Postzahnspangenhonigkuchenpferdgrinsen und lässt unser Diebesgut fallen. Es scheppert, ich blicke zurück, ich sehe: Mu, dessen, im Dunst der Straßenlaterne und des allmorgendlichen Februarnebels gold umschimmerte, lange, dünne, storchenhafte Silouhette sich um eine metallene Scheibe zwirbelt, die ihrerseits silbrig leuchtend eine Pirouette um Ms rechten Fuß zu drehen beginnt, und frage mich, wer hier wen vorm Aufprall schützt. Jetzt haben wir also ein Schild geklaut. Ein blaues. Eines, das Radmenschen und Fußmenschen gleichzeitig Berechtigung einräumt und ihnen einen ganz eigenen Bereich vorgibt. Einen ganz eigenen. Ganz für sich allein. Einen farblich definierten, einen Raum, in dem der Fußmensch dann zum Beispiel ein Rad schlagen oder der Radmensch zum Beispiel ein Fuß drehen kann. Wir finden das gut. Wir nennen das Freiheit. Mus Silouhette hat sich aus dem fantastischen Schilder-Duett gelöst und ist nun mit ihm auf die Parkbank geklettert, an die unser Schild bis eben noch gelehnt war und hält es in die Höhe als wäre es die Meisterschale. „GUCKT MAL!“ brüllt er den hellgelben Wänden des Altersheim entgegen, durch dessen von Kirschblütenbäumen und grünen Bänken gesäumten Hof wir uns gerade schleichen und er sieht so ein bisschen aus wie eine Schildkröte, die ihren Kopf an ihrem sehr langen, faltigen Hals aus ihrem Panzerhaus streckt. „GUCKT MAL! DAS NENNEN WIR FREIHEIT!“ Und dann dreht er sich zu mir und kommt näher und bückt sich und ich liebe das, liebe diese Wut, liebe diesen Schelm und er sieht mich an und ich kann alle seine Zähne zählen und er sagt: „Guck mal, man muss sich entscheiden!“ ruft er mir jetzt fast euphorisch zu, mir gefällt das, diese kindliche Freude an unglaublich unnützen Dingen, die es gibt, weil wir alles verabscheuen, was wirklich nützlich wäre. Weil wir Angst haben uns mit diesen Dingen zu beschäftigen, weil wir dann wirklich mal gucken müssten, was wichtig wäre, für uns und unser Herz. „Wenn Sie einem Durchschnittsmenschen seine Lebenslüge rauben, dann nehmen Sie ihm gleichzeitig sein Glück.“ Muri lächelt, er weiß genau, dass das Ibsen ist, ich möchte sagen: „Ich liebe dich“ aber ich lasse die Wörter in meinem hübschen Kopf und deute auf die Zeichnung, die als Träger für den Inhalt Radweg herhalten muss. „Wozwischen?“ frage ich skeptisch. „Freiheit oder-“ mein Blick wandert das Schild empor: „Mutter mit Kind?“ Und Muri nickt ganz aufgeregt und ich sage „Ach, fick dich.“



.irgendwiegehtesnochweiter.

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