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Kreta - Die "Wiege Europas" im Wandel der Zeit

Text: ECC_Studienreisen

Kreta bezeichnen wir als die „Wiege Europas“ und  als die „Wiege des Christentums in Europa“,  wie wir aus der Apostelgeschichte ( 2,11) lernen, auch wenn der Begriff  Wiege kulturwissenschaftlich umstritten ist.



Zeus und Europa, Minos und Minotauros, Theseus und Ariadne sind Gestalten des Mythos Griechenlands, der „eine allgemeine Voraussetzung des  griechischen Daseins ist“, wie Jakob Burckhardt sagte. Ihnen begegnet jeder ernsthafte Kreta-Besucher.



Der Logos, die Rationalität, steckt im Mythos: in der phönizischen Königstochter der Orient, in Theseus das griechische Festland.



Die Begegnung mit dem griechischen Festland hatte machtpolitische Folgen extremster Art:



die Königspaläste gingen durch den Angriff der Mykener endgültig zu Bruch und die kretisch-mykenische Misch-Kultur nahm ihren Anfang (zwischen 1500/ 1400 v. Chr ).  Etwa 3500 Jahre später entdeckten namhafte Wissenschaftler aus Westeuropa diese kretisch-mykenische Kultur wieder, aus England den Palast von  Knossós, aus Italien den von  Phaistós, aus Frankreich den von Mállia in der Reihenfolge ihrer Größe. Man fand unendlich viele Schrifttäfelchen, welche die vernichtenden Brände überstanden hatten. Aber was war auf diesen Tontäfelchen zu lesen?



Schlaue Schriftkundler haben sie entziffert, aber nicht alle, bis zum heutigen Tage nicht. Nur die sog. Linear B Schrift, nicht Linear A kann man verstehen. 1952 entzifferten die Briten Ventris und Chadwick diese Frühform der mykenisch-griechischen Sprache, die gleichsam als



Mutter des Griechischen auch auf der Peloponnes und dem Festland in Gebrauch war. Aber der Ertrag war dürre: nur wirtschaftliche und verwaltungsmäßige Notizen, sonst nichts. Enttäuschend. Erst im 8.Jh sah man klarer: Homer beschrieb autonome, individuelle Persönlichkeiten: zB Odysseus, Agamemnon, Achill und Hektor  mit ihren eigenen Schutzgottheiten.



Auch Kreta, das „Land im dunkel wogenden Meere… und Knossós, die große Stadt, wo Minos geherrscht hat“ fehlen bei ihm nicht (vgl.Od.19,172 ff). Platon (4.Jh) sagt einmal sehr schön, was für die Griechen aller Zeiten gilt bis zur Gegenwart: sie saßen wie die Frösche um den Teich. Das Meer bildet Raum, der immer trennt und verbindet, ein gemeinsames, freies, höchstens im nächsten Umkreis zu beherrschendes Element. Das Meer bestimmte und bestimmt ihren Ort in der Welt, nicht nur das Geld.



Während auf Kreta im 5.Jh in der Stadt Gortýn Ansätze zu einer liberalen Gesetzgebung sich in die mächtigen Steinquader eingemeißelt finden, erhebt sich Athen unter Themistokles und Perikles zu einer kultur- und weltgeschichtlichen Leistung ohnegleichen. Die Demokratie, freilich begrenzt, wird gegründet und bei dem großen Seesieg gegen die riesige persische Despotie  480 bei Salamis unter dem Strategen Themistokles rudern in den Trieren freie Männer, keine Sklaven wie später.



Nach Jahrhunderten taucht das Christentum auch auf Kreta auf, in welcher Weise und durch wen, das liegt im Dunkel. Die griechische Orthodoxie meint Genaueres zu wissen. Paulus und Titus, sein Schüler, sind die Hauptpersonen. Das für den großen Völkerapostel Kreta nur eine höchst gefährliche Durchgangsstation auf seinem letzten Weg nach Rom war, das berichtet sein Begleiter und erster Biograph Lukas (vgl.Apg 27-28). Titus wurde erster Bischof  von Kreta mit Sitz in Gortýn. Die Basilika-Reste entstammen dem 6.Jh. Sicher bezeugt ist das Christentum auf Kreta in späteren Jahrhunderten. Die Verbreitung des Griechischen durch den Hellenismus ist eine wichtige Voraussetzung für den Missionserfolg der christlichen Apostel.



Doch das Christentum ist durch die arabische Invasion im 9./10. Jh  sehr bedroht.  Der „Siegesbringer“ Niképhoros Phokás (963-69) startete mit einer Riesenflotte und dem Griechischem Feuer die Rückeroberung für den byzantinischen  Kaiser und die Christen. Zweieinhalb byzantinische Jahrhunderte endeten mit einem neuen, nun nicht muslimischen, vielmehr christlichen Schock: mit dem 4.Kreuzzug. Römisch-katholische Christen aus Venedig und dem französische Rittertum eroberten 1204 Konstantinopel. Kreta fiel bei der Verteilung der Beute an Bonifatius II. von Montferrat, der die große Insel dann an Venedig weiterverkaufte. Die Machtspuren sind in den gewaltigen Verteidigungsanlagen in Heráklion, Rhéthymnon  und Chaniá bis zum heutigen Tag zu besichtigen. Grauenhaft der erste Teil ihrer Herrschaft, ihr zweiter Teil gemäßigter in Ausbeutung und Bedrückung.



Kunst und Bildung aus West und Ost begannen sich gegenseitig zu durchdringen. Kleinod der byzantinischen Kunst des 13.bis 15.Jh´s ist die Panajia Kerá -Kirche Kritsá, nahe Agios Nikólaos. In Ostkreta sollte man sie nicht versäumen. Doch die grauenhafte Unterdrückung und Besatzung, von 1204 bis 1669, fand mit den Osmanen kein Ende, sondern eine noch schrecklichere Fortsetzung, als  nach 21 Jahren Belagerung Heráklions der venezianische Kommandant Francesco Morosini die Stadt dem Großwesir Achmed Kiuprulü übergeben musste. Die türkische Herrschaft von 1669-1898 war die brutalste, die Kreta je erlebt hat. Ein Buch von Nikos Kazantzakis hat den treffenden Titel: „Freiheit oder Tod“. Im Kloster Arkadi  ging es eben darum bei einem der unzähligen Aufstände gegen die türkische Besatzung.



Erst Ende des 19.Jh´s winkte die Freiheit (elefthería). Ein Name eines prominenten Kreters leuchtet: Elefthérios (der Freie) Venizélos (1864-1936).Am Ende des griechisch-kretischen Freiheitskampfes  ließ er am 1.12.1913 auf der venezianischen Festung von Chaniá die griechische Fahne hissen und damit die Zugehörigkeit der „Wiege Europas“ zu Griechenland und zu Europa besiegeln.



Im 20. Jh musste Kreta noch einmal unter der nationalsozialistischen Herrschaft Deutschlands von 1941 -1945 seine elefthería  aufgeben. Etwa 1000 Jahre fremder Besatzung sollten mit Ende des 2.Weltkriegs endlich ihr Ende finden. Die Griechisch-Orthodoxe Akademie inKolympári, westlich von Chaniá, arbeitet seit über 40 Jahren an der Versöhnung unter den Völkern.



 



Der Text wurde uns von Pfarrer.i.R. Dr. Eckhard Schendel für ECC-Studienreisen zur Verfügung gestellt.










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