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Sugardaddys für alle

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Jasmine aus Berlin möchte ein neues Tattoo. Marilyn Monroe auf ihrem Oberarm, umgeben von Blumen. „Weil sie mein Idol ist und keine Frau je erotischer sein wird als sie“, sagt Jasmine. Für viele kommt die 19-Jährige selbst ziemlich nah an Marilyn ran: große Augen, Schmollmund und beeindruckende Brüste. 1000 Dollar kostet das Tattoo. 1000 Dollar, die die Schülerin Jasmine nicht hat – noch nicht.

Eine neue Internetseite soll helfen, ihren Traum zu erfüllen: PiggyBankGirls – der erste erotische Crowdfunding-Dienst. Anna, 29, und Chris, 25, aus Berlin haben die Plattform am Montag online gestellt. Jasmines Tattoo ist eins von bisher drei zu finanzierenden Projekten. Wenn alles nach Plan läuft, kommen in den nächsten Tagen noch einige dazu.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Anna und Chris starteten gemeinsam PiggyBankGirls.

PiggyBankGirls funktioniert im Prinzip wie viele andere Crowdfunding-Seiten auch: Es gibt Projekte, die es mit einem bestimmten Betrag zu finanzieren gilt, Videos, in denen für sie geworben wird, jeder kann so viel zahlen, wie er will, und ab einer bestimmten Summe gibt es für die Spender kleine Belohnungen. Der Unterschied: Die Projekte bei PiggyBankGirls sind in der Regel völlig eigennützig. Ein Tattoo für Jasmine oder ein Laptop für Mona, dafür würde normalerweise niemand Fremdes Geld geben. In den Videos versuchen die Frauen weniger vom Projekt zu überzeugen als von sich selbst - und den Belohnungen: Statt einem kleinen symbolischen Dankeschön oder einem Exemplar des gefundeten Buchs oder der CD, für die man gespendet hat, gibt es hier Pornografie. Jasmine bietet für 20 Dollar „5 hot photos of myself in sexy dessous and partially nude” und für 50 Dollar “a sexy video from me dancing for you”. Nach vier Tagen hat Jasmine schon 605 von 1000 Dollar zusammen. Die 26 Tage, die von ihrer Funding-Phase noch übrig sind, wird sie wohl nicht ganz brauchen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nacktfotos gegen Geld für ein Tattoo? Für Jasmine ein Spitzengeschäft.

Anna und Chris haben BWL und Marketing studiert. Dem Spießerklischee entsprechen sie mit ihren Armen voller Tattoos und Annas Nasenring schon rein äußerlich mal so gar nicht. Kennengelernt haben sie sich über ihren Job, bei dem sie Marketingkonzepte für Erotikseiten im Internet entwarfen. „In der Branche sind alle am lockersten“, sagt Anna. Auch Chris arbeitet gerne in diesem Bereich: „Sex ist einfach das spannendste Thema der Welt. Jeder macht es und jeder redet darüber.“

Bei der Arbeit haben sich Anna und Chris irgendwann gefragt, warum Crowdfunding-Seiten für alles genutzt werden, nur nicht für Erotik. Einige Pornoproduktionen ausgenommen. „Crowdfunding anzubieten, damit sich jede Frau ihre Wünsche erfüllen kann, das gab es noch nicht “, erklärt Chris. Genau aus diesem Grund aber ziehen sich die meisten Frauen im Internet aus. Die beiden haben eine Umfrage unter Cam-Girls gemacht, also Frauen, die für Geld mit Männern (oder Frauen) chatten, sich für sie vor der Kamera ausziehen, tanzen oder andere Dinge tun. „80 Prozent von ihnen haben gesagt, dass sie das nicht machen, um ihre Miete oder Rechnungen zu bezahlen, sondern um sich einen Wunsch zu erfüllen“, sagt Anna. Sie selbst hat am Montag das erste Projekt auf PiggyBankGirls gestartet: Sie sammelt 200 Dollar für eine Tierschutzorganisation. Weil sie Katzen so gerne mag. Auch bei ihr bekommt man Fotos oder ein Video – je nach Höhe der Spende.

„Robin Hood fand ich schon immer scheiße“

Anna und Chris sehen klare Vorteile an ihrer Seite – sowohl für die Frauen als auch für die Kunden: „Wir wollen fairer und transparenter sein als viele andere Erotikseiten“, sagen sie. Viele der Cam-Dienste-Anbieter würden die Frauen richtig abzocken. Bis zu 75 Prozent von dem, was sie verdienen, behalten die Betreiber angeblich für sich. Und so etwas wie Urheberrecht gebe es in den meisten Fällen nicht. Die Bilder und Videos der Cam-Girls würden einfach weiterverbreitet und -verkauft werden, ohne dass die Frauen selbst noch einen Cent davon sehen. PiggyBankGirls behält nur 20 Prozent von dem ein, was die Frauen bekommen. Alles was die Mädchen als Belohnung hochladen wollen, wird von Anna und Chris geprüft. Zum einen, um eine gewisse Qualität zu wahren, zum anderen aber auch um sicher zu gehen, dass die Mädchen ihr Material nicht unter Wert verkaufen. Ist die Funding-Phase vorbei, wird alles gelöscht. „Wir können nicht immer verhindern, dass die Mädchen die Bilder oder Videos noch weiterverwenden “, sagt Chris, „aber unser Anspruch ist Unique Content, also Inhalte, die es wirklich nur bei PiggyBankGirls gibt.“

Für die Frauen gebe es aber noch einen entscheidenden Vorteil: Sie können ihr Geld im Schlaf verdienen. Die Bilder und Videos werden einmal hochgeladen. Spendet jemand, erhält er automatisch einen Link dazu. „Sie müssen einfach nicht acht Stunden vor einer Webcam rumhängen und sich von den Männern fragen lassen, warum sie nach einer Minute noch nicht die Beine breit gemacht haben“, sagt Anna.

Sie und Chris sind also keine schmierigen Internet-Zuhälter, sie wollen aber auch nicht die Robin Hoods der Pornoindustrie sein. „Wir sind einfach nur zwei Menschen, die Ahnung von dem Geschäft haben. Natürlich wollen wir auch gerne viel Geld damit verdienen, aber wir glauben, je fairer und offener wir sind, desto mehr Frauen machen auch mit“, erklärt Chris.

Für Frauen, die bereit sind, sich im Internet für Geld zu präsentieren, scheint PiggyBankGirls im Vergleich zu anderen Anbietern wirklich nicht die schlechteste Adresse zu sein. Bleibt die Frage, warum jemand für ein paar Bilder oder Videos Geld etwa zu Monas Laptop beisteuern sollte, wenn man im Internet mehr oder weniger jeden Trieb umsonst befriedigen kann?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



„Die Kunden, die sich nur schnell ihr Video von Pornhub ziehen wollen, werden das auch weiterhin tun“, sagt Anna. Bei ihnen aber stünden ganz andere Kundenprofile dahinter. Auf PiggyBankGirls erfährt man mehr über die Frauen als einen verblödeten Chatnamen und ob sie es gerne von hinten, von vorne oder aus allen Richtungen gleichzeitig wollen – wie auf vielen anderen Seiten. Man soll erfahren, was sie sich wünschen und warum, was sie studieren, welche Musik sie hören, einfach was für eine Person sie sind. „Bei uns wollen die Kunden vielleicht Sympathie zu den Frauen aufbauen. Vielleicht mögen sie auch Tattoos und freuen sich, Jasmine ihren Wunsch erfüllen zu können“, sagt Anna. Jeder, dem die Vorstellung gefällt, kann hier einmal Sugardaddy spielen – und oft genügen dafür schon 20 Dollar. Um den persönlichen Ansatz zu unterstreichen, gehört zu PiggyBankGirls auch ein eigenes Blog, auf dem dokumentiert werden soll, wie sich die Frauen, bei denen das Crowdfunding funktioniert hat, ihre Wünsche erfüllen. Das soll die Herzen der Gönner höher schlagen lassen. In Zukunft soll es außerdem möglich sein, dass die Sugardaddys ganz individuelle Belohnungen bekommen. Und falls die Nachfrage da sein sollte, ziehen Anna und Chris auch PiggyBankBoys in Erwägung.

Wenn man will, kann man PiggyBankGirls sicherlich einiges vorwerfen: Dass sie mit ihrer niedlichen rosa Schweinchen-Optik Frauen dazu verführen ein „Sparschwein-Mädchen“ zu werden. Dass sie die Gefahr darin verharmlosen, wenn man so viel Persönliches von sich preisgibt. Denn auch wenn Anna und Chris alle Bilder löschen, was die Spender damit machen, kann niemand kontrollieren. Und man kann ihnen vorwerfen, Frauen dazu zu bringen, sich selbst endgültig zum Objekt zu machen. Denn sie geben ihrem Körper, oder zumindest Bildern davon, direkte Sachwerte: ein Laptop, ein Tattoo, vielleicht eine Reise. Darüber könnte man vergessen, dass es Menschen gibt, die das nicht freiwillig tun, oder nicht nur um sich einen kleinen Luxus zu gönnen.

Man könnte aber auch sagen, dass PiggyBankGirls versucht, eine offenere Art zu finden, um mit Porno und Sex im Internet umzugehen. Denn dass es die Angebote im Überfluss gibt und sie auch genutzt werden, daran zweifelt wohl niemand. Vielleicht können Anna und Chris etwas tun gegen das Schmuddel-Image oder auch gegen zwielichtige Anbieter, und Transparenz schaffen, die den Frauen mehr Sicherheit gibt. Man könnte auch einfach sagen, sie zwingen niemanden etwas zu tun, sondern bieten nur die Plattform, auf der jede das zeigen kann, was sie möchte, und dafür das bekommt, was sie fordert und sich wünscht – ob das nun ein Laptop ist, ein Tattoo oder auch nur die Bestätigung der eigenen Anziehungskraft.


Text: teresa-fries - Fotos: PiggyBankGirls, Screenshot

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