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Albatros

Text: Zwischenruf
Ich hüte Deine Bilder, denn sie sind der Beweis, dass ich Dich nicht erträumt habe. Du bist so weit weg von mir, dass ich vergesse, wie Du die Hände in dieser altmodischen Geste hinter dem Rücken verschränkst. Ich vergesse, wie müde Du aussehen kannst und trotzdem noch höflich zuhörst.

Denkst Du manchmal an unseren letzten Abend, an unseren miserablen Abschied? Denkst Du manchmal an das Lied, das sie unentwegt spielten? Denkst Du manchmal an diesen zu langen Abend, der gar nicht lang genug sein konnte? Denkst Du manchmal an das Kleeblatt, das sicherlich schon in trockene Krümel zerfallen ist und an die Karte im blauen Umschlag?

Erinnerst Du Dich an den Schneesturm an Sylvester vor fast zehn Jahren? Erinnerst Du Dich an den wilden Abschied von meinem Vater? Erinnerst Du Dich daran, dass ich im Mittelmeer fast lachend ertrunken wäre? Erinnerst Du Dich an den Vogel, den wir auf Kreta fliegen lassen wollten? Erinnerst Du Dich an das blutige Feuerwerk im tropischen Nebel? Erinnerst Du Dich an die Spiegel, die Dich immer verraten haben und mich genauso?

Wenn ich nicht die Bilder hätte, würde ich glauben, ich hätte Dich erträumt mit roter Jacke, mit der silbernen Uhr und den kleine Details, die Dich real werden lassen. Aber so habe ich tausende von Bildern von Dir in meinem Herzen und jeden Tag kommt eines hinzu: Wie Du in Buenos Aires über die Pier läufst, in Búzios tenderst, in St. Petersburg mit den Behörden verhandelst, in Kopenhagen auf dem Nock stehst und all das zu wissen und zu denken, hilft, aber ich denke auch an den Albatros:

Soy el albatros que te espera
En el final del mundo.
Soy el alma olvidada de los marinos muertos
Que cruzaron el cabo de Hornos
Desde todos los mares de la tierra.
Pero ellos no murieron
En las furiosas olas,
Hoy vuelan en mis alas,
Hacia la eternidad,
En la última grieta
De los vientos antárticos.

Und all die anderen Gedanken, egoistisch und engstirnig, kleinkariert und selbstsüchtig, werden nebensächlich und ich schauere und bange. Ich habe Vertrauen in Dich und ich weiß, dass Du nicht nur Kap Hoorn schon so viele Male sicher umschifft, sondern den Atlantik schon hunderte Male überquert hast, die Adria und Biscaya kennst, und ich weiß, dass Du behutsam und wachsam bist, aber die Angst, die bleibt. Theoretisch könntest Du auch Busfahrer sein und Angst hätte ich trotzdem. Alle Erinnerungen, alle Bilder sind nichts wert, wenn es Dich nicht gibt.

Cuídate!

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