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Traurige Wurst

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Manchmal reichen wenige Augenblicke, um einen Menschen ins Herz zu schließen. Es gibt diese Menschen, die einem jeden Gedanken schon anmerken, bevor man ihn selber realisiert hat. Wenige Gesten reichen und der andere weiß sofort, was man gerade braucht und setzt alles daran einem genau das zu geben. Das ist schön. Aber es kann auch unfassbar traurig werden.  

Vor einigen Wochen in einer urigen Münchner Kneipe: Es war Freitagabend und die Kneipe war voll, so dass ich nicht immer zur Theke durch kam. Das war aber nicht schlimm, denn der Wirt und ich hatten schon nach einiger Zeit, ohne größere Absprache, eine Abfolge von Gesichtsausdrücken vereinbart, mit der ich auch aus einiger Entfernung Nachschlag bestellen konnte. Wir verstanden uns prächtig! Der Wirt, ein wahrer Philanthrop, verteilte an diesem Abend feinsten Apfelkorn zu günstigen Preisen und man sah sofort, wie sehr ihn das erfüllte. Dieser kahlköpfige herzliche Mann schien mit seiner kleinen Kneipe der glücklichste Mann in München zu sein.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Knack"

Irgendwann bestellte ein Gast Essen. Eine Currywurst. Fröhlich und selbstbewusst nahm der Wirt die Bestellung an und machte sich daran, das Gewünschte vorzubereiten. Er ging zum Tiefkühlfach, holte ein paar olle Würste heraus und schob sie in die Mikrowelle. Die Bewegungen, mit denen er das tat, waren beschwingt mit dem Selbstbewusstsein, gerade ein kulinarisches Meisterwerk zu vollbringen. Als er dem Gast schließlich die mit Curryketchup abgerundete Wurst hinstellte, fehlte eigentlich bloß noch ein kräftiges ‚Et Voilá!’ und anschließendes Zwirbeln des Schnurbartendes.  

Bei dem Anblick verdrückte ich eine Träne, bestellte noch einen Apfelkorn und zog mich in die hinterste Ecke der Kneipe zurück, um nicht mehr an diesen traurigen Mann denken zu müssen. An sein aufrichtiges Bemühen, mit seinem einfachen Snack jemandem eine Freude machen zu können. An den Gast, der irgendwann rausgehen und lauthals über die schlechteste Currywurst seines Lebens lästern würde. An den netten Wirt, der das vielleicht durch die zurückschwingende Tür noch hört, aber glaubt, nicht richtig gehört zu haben, weil er nicht richtig gehört haben will, weil ihn das fertig machen würde, weil diese Kneipe alles ist in seinem Leben und diese Currywurst vielleicht keine Haute-Cuisine, aber doch sicher nicht das, was er grade nicht richtig gehört zu haben glaubt.  

So ähnlich geht es mir immer bei Wirten, die mit solch tiefster Leidenschaft und Überzeugung einfach schlechtes Essen machen. Ich kriege da unglaublich Mitleid. Es wäre völlig in Ordnung für mich, wenn sie das miese Essen mit schlechter Laune auf einen Teller knallen würden. Man könnte darüber lachen oder sich aufregen. Aber dieses Bewusstsein, dass das Lebenswerk dieser sympathischen Menschen für andere einfach nur hundsmiserable Küche ist, wie glücklich diese Menschen die Vorstellung macht, jemand würde sich über ihr Essen freuen und wie bitter die Realität ist, das bricht mir einfach das Herz. 


Text: piet-vanriesenbeck - Illustration: Joanna Mühlbauer

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