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Nachtgedanken

Text: Zwischenruf
Sie haben Sturm angekündigt dort draußen. Die Nacht ist klar und still und keiner hat es gesagt, dass der Sturm nicht draußen kommt, sondern drinnen. In mir ist es genauso klar und still, ich kann meinen eigenen Herzschlag hören und höre meinen Gedanken zu. Aus dem alltäglichen Nichts kommt die erste Böe und schwere Gedankenwolken jagen über den Himmel. Der Sturm heult auf und etwas stöhnt wie ein Baum, der den Wind nicht mehr erträgt. Das bin wohl ich.

Es ist still im Zimmer, still im Haus, still auf der Straße und mein lautloses Aufheulen geht unter in den innerlichen Tumulten.

Du weißt nicht, dass ich hier bin. Du weißt nicht, dass ich bald nach Hause komme. Du weißt nicht, dass ich schon längst die nächsten Pläne schmiede und Schritte plane. Du weißt nicht, dass Du Grund hättest, auf mich stolz zu sein.

Sie sagen, dass ich Dir ähnlich bin und ich lache und frage, ob ich auch Deine großen Ohren habe. Und sie lachen auch und sagen, nein, es seien die kleinen Gesten, die Mimik, ein Satz. Und abends liege ich im Bett und freue mich und frage mich, welche Gesten es wohl sind, wie ich mein Gesicht verzogen habe und was ich wohl gesagt habe.

Sie sprechen gut über Dich. Mehr als nur de mortuis nihil nise bene und ich bin stolz. Und am Ende schauen sie mich an und sagen, ja, ja, ganz eindeutig seine Tochter. Und ich spüre, dass ich rot werde vor Freude. Aber wenn ich bei Dir sitze, dann wird mir bewusst, dass es bald fünf Jahre sind. Fünf Jahre in meinem Leben, die Du nicht mehr kennst. Und irgendwann hätte ich doch Dir doch so gerne ein Buch mit meinem Namen unter die Nase gehalten, mit der Widmung "Für Papa". Ich hätte Dir gerne mein Abschlusszeugnis gezeigt, Dir gerne wichtige Menschen in meinem Leben vorgestellt, irgendwann hätte ich gerne ganz vorsichtig erklärt, dass am Wochenende der eine Mann zum Abendessen kommen würde und Dein Enkelkind hätte ich Dir gerne in die Arme gedrückt in zehn oder zwölf Jahren.

Jetzt kann ich nur an Deinem Grab stehen und Dir alles erzählen, was passiert und ich kann mir Deinen Gesichtsausdruck vorstellen und ich kann nur albern und kindisch und hilflos sagen, dass ich stolz bin, Deine Tochter zu sein und dass ich immer versuchen werde, Dich stolz zu machen. Nach fast fünf Jahren bin ich noch lange nicht drüber hinweg. Papa, Du fehlst immer noch viel zu sehr.

(1925 - 2009)

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