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Virtual-Reality-Brille statt Therapeut?

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Mit Datenbrillen sollen in Zukunft unter anderem Phobien geheilt werden.

jetzt.de: Wie kann man sich das vorstellen, dass Menschen in virtueller Realität (VR) therapiert werden?
Youssef Shiban: Eine Therapie in VR geht immer mit therapeutischer Anleitung und Betreuung eines realen Therapeuten einher und ist nicht bei allen psychischen Problemen indiziert. Hauptsächlich im Bereich der Angststörungen gibt es jedoch vielversprechende Befunde. Dazu forsche auch ich an unserem Lehrstuhl an der Uni Regensburg. Bei Angststörungen ist das wirksamste Verfahren die sogenannte Expositonstherapie, egal ob in der Realität oder in VR. Dabei konfrontiert der Therapeut seinen Patienten immer wieder mit einem angstauslösenden Reiz, zum Beispiel einer Spinne bei Spinnenphobikern, oder einer angstauslösenden Situation, wie beispielsweise einem engen Raum bei Klaustrophobie. Dabei habituiert der Patient: Er gewöhnt sich an die Situation und lernt, dass sie nicht so schlimm ist, wie er anfänglich angenommen hat. So verliert er mit der Zeit seine Angst. Auch die zunächst erhöhten physiologischen Reaktionen, wie zum Beispiel die Herzrate, gehen zurück auf das Normalniveau. Diesen Habituationsprozess kann man gut in der virtuellen Realität simulieren: So kann man Spinnenängstliche mit virtuellen Spinnen, sozial Phobische mit virtuellen Personen und Traumatisierte mit virtuellen Situationen, die sie an ihr Trauma erinnern, konfrontieren. 

Bei der Therapie in VR wird dem Patienten die Situation dann einfach gezeigt?
Ja, wir setzen den Probanden Brillen auf, mit Hilfe derer sie die virtuelle Welt sehen können. Vor jedes Auge kommt dabei ein kleiner Monitor. Darin sehen die Probanden eine VR, die wir programmiert haben. Mit einem zweiten Gerät messen wir gleichzeitig ihre Kopfbewegungen, sodass wir die VR dem sich ändernden Blickfeld anpassen können. Der Proband sieht dann beispielsweise, wie eine Spinne auf ihn zu krabbelt. 

Wieso ist die VR besser als eine richtige Konfrontation?
Sie ist nicht generell für alle Patienten und alle Situationen besser geeignet, aber hat bestimmte Vorteile: Die VR ist besser kontrollierbar als die Realität. Es treten keine unvorhersagbaren äußeren Einflüsse auf. Eine Spinne in VR verhält sich genau so, wie sie programmiert wurde. Diese Kontrollierbarkeit ist einerseits sehr wichtig in der Forschung. Andererseits ist es auch in der Therapie, insbesondere bei Angststörungen, sehr bedeutsam, den gefürchteten Reiz, zum Beispiel die Spinne, kontrollieren und dosieren zu können. Außerdem kann man in der VR auch Situationen simulieren, die in der Realität schwer zugänglich sind. Ein gutes Beispiel dafür ist Flugangst. Es wäre aufwändig und teuer, immer wieder einen realen Flug zu unternehmen. Außerdem kann das Flugzeug nicht stoppen, wenn der Patient die Angst nicht aushält. In VR kann das alles vom Patienten oder vom Therapeuten gesteuert werden. Auch wichtig ist die VR-Therapie bei Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), zum Beispiel bei Zeugen von Kriegsszenarien.

Warum?
Die Auseinandersetzung mit dem Angstreiz, kann man in-vivo, also mit einem realen Konfrontationsobjekt wie einer echten Spinne durchführen, oder in-sensu, das bedeutet nur in der Vorstellung. Für PTBS-Patienten besteht bei in-vivo-Konfrontation aber die Gefahr, dass sie retraumatisiert werden, also das Trauma wiedererlebt wird und sich dadurch sogar noch verstärkt. Vorstellen können sie sich die Angstsituation jedoch oft nicht. In der VR kann man ihnen einen Mittelweg bieten.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Der Psychologe Dr. Youssef Shiban forscht zu Therpiemöglichkeiten in virtueller Realität

Wie sieht bei PTBS eine Therapie in VR aus?
Genauso wie bei den anderen Angststörungen. Man führt eine Exposition durch, und zwar mit den Reizen, die die emotionalen Reaktionen des Probanden auslösen. Wenn jemand Zeuge eines Autounfalls war und deshalb nicht mehr in einem Auto sitzen will, kann man diese Situation mit einem Fahrsimulator nachstellen.    

Wie fühlen sich die Leute, die das machen?
Wie viel Angst eine Person in VR erlebt, ist bei jedem anders. Einige erleben Emotionen genauso stark, wie sie sie in der realen Welt erleben würden, andere nicht. Die Faktoren, die darüber entscheiden, unter welchen Umständen ein Szenario in VR wie intensiv erlebt wird, werden stark erforscht. Man weiß nicht genau, welche Faktoren wichtig sind. Ein Beispiel für einen technischen Faktor wäre Realitätsnähe oder das Blickfeld der Probanden, das ist abhängig davon, wie gut die VR programmiert ist. Ein Beispiel für eine relevante Persönlichkeitseigenschaft wäre Emotionalität, also wie sehr sich Leute auf die VR einlassen. 

Und was gibt es für Nachteile?
Man braucht immer technisches Equipment, das teilweise sehr teuer ist. In ein paar seltenen Fällen tritt bei den Versuchspersonen Übelkeit auf. Die kann daher kommen, dass sie etwas anderes sehen, als sie fühlen.

Wie sieht Ihre Forschung genau aus?
Wir konzipieren Studien zu vielen verschiedenen Aspekten. In einer Studie untersuchen wir zum Beispiel, wie die Therapie von Spinnenphobie in VR am besten funktioniert. Ein Problem bei der Therapie ist nämlich, dass die Angst häufig wieder auftritt, sobald der Patient in einem anderen Kontext auf eine Spinne trifft, zum Beispiel bei sich zu Hause. Deshalb wollen wir herausfinden, ob das Therapieergebnis besser ist, wenn schon während der Therapie Spinnen in verschiedenen Kontexten, also in verschiedenen virtuellen Räumen, gezeigt werden, und der Patient sich so in verschiedenen Situationen an die Spinnen gewöhnen kann. Wir konnten zeigen, dass nach einer Therapie in verschiedenen virtuellen Räumen viel weniger Angst zurückkehrte, als dann, wenn die Exposition in nur einem virtuellen Raum stattfand.  

http://www.youtube.com/watch?v=kUxIML47kFE

Wie erfolgreich ist Therapie in VR?
Insgesamt gibt es wenig Forschung, die sich mit Therapieeffekten von VR beschäftigt. Studien, die wir schon durchgeführt haben, zeigen allerdings sehr starke positive Effekte sowohl in subjektiven als auch physiologischen Variablen bei der Therapie, beispielsweise bei Spinnen- oder Flugphobie. In den USA gibt es einige Forschergruppen, die Höhenphobie, PTBS und Sozialphobie erfolgreich in VR therapieren können. Dennoch ist das Forschungsgebiet noch sehr jung und viele Fragen sind offen.      

Retten in Zukunft VR-Brillen unsere Seelen?
Was ich in Zukunft erwarte, ist, dass virtuelle Realitäten in die Diagnostik und Therapie als Hilfsmittel für Psychotherapeuten miteinbezogen werden. Allerdings sprechen gegen eine flächendeckende Einführung zurzeit der hohe Preis der Ausstattung und der große Aufwand, der zur Programmierung der virtuellen Welten betrieben werden muss. 


Text: anne-kratzer - Fotos: dpa; privat

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