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Herr und Frau Teuteberg erhielten beide eine Gehaltserhöhung von 100,80 Euro. Bei Frau Teuteberg betrug die Erhöhung 3,2 Prozent, bei ihrem Mann 3,6 Prozent. Wie viele Euro verdienten sie vorher?

Von Anfang an: Titus Teuteberg hat gern geschlafen, schon als Kind im Mathematikunterricht, und seine spätere Frau Tallulah ist träge neben ihm gesessen und hat mit ihrer rechten Hand die linken Finger bemalt, bis zum Arm, bis zum Ellbogen, bis zur Schulter hinauf: So langweilig ist ihr gewesen, schon als Kind im Mathematikunterricht. Einmal ist Titus aufgewacht und hat Tallulahs Arm mit Blicken bedacht. Dort hat sie für ihn eine Botschaft gehabt: zwischen Rosen und Näglein einen hübschen Satz. 

Der Satz des Pythagoras war das leider nicht. Was also wird aus Träumern wie diesen, und was haben sie verdient? Eine Professur für höhere Mathematik: leider nicht. Kommt hinzu, dass zwei Eheleute, so verliebt sie auch sind, sich nicht einen einzigen Lehrstuhl teilen werden, am wenigsten, wenn sie arithmetisch bereits überfordert sind mit einer Bruchteilung durch zwei. Und hierbei handelt es sich noch um die niedere Mathematik.

Titus Teuteberg hat bei einem Schlafinstitut angeheuert. Er war kein Neurologe, aber in seinem Spezialgebiet, der Beruhigung rastloser Beine, hat er allergrößte Erfolge feiern können. Und wie es oft ist – nach den Pflichtschuljahren hat er sich doch noch auf die vormals so verschmähte Mathematik beziehen können: Allein der Anblick der Schulbücher und besonders jener, die Mathematik lehren, hat seine von Schlaflosigkeit und Unruhe geplagten Patienten in einen seligen Dämmerzustand zu versetzen vermocht.

Tallulah Teuteberg ist Musterzeichnerin geworden. Auch diesen Beruf, liebe Pennäler, gibt es wirklich, man braucht sich also keine Sorgen zu machen, wenn man über andere Talente verfügt als über das des Rechnens mit Zahlen. In Tallulahs Kopf war der Platz frei für Karos, Punkte, Pflanzen und Farben. Ihre Stoffe haben allergrößten Zuspruch gefunden, und wie es oft ist – nach den Pflichtschuljahren hat sie sich doch noch auf die vormals so verschmähte Mathematik beziehen können: So ein Vorhang, zum Beispiel, muss um ein Drittel größer zugeschnitten werden als das Fenster, für das er bestimmt ist.

Da ist es hilfreich, dass sich Tallulahs kleine Schwester Tamara während der Pflichtschuljahre stets im Fingerrechnen geübt hat. Und dass Titus einen Bruder hat, der fünfe nicht gerade sein lässt. Denn die Fünf, so Tomislav bestimmt, ist und bleibt eine ungerade Zahl! Schlag ein! Ein Glück, dass gerade diese vier ungleichen Menschen einander gefunden haben. Denn als Folge von zweimal 100,80 Euro Gehaltserhöhung haben Tallulah und Titus in ihren Armen die zupackende Kraft der Pioniere gespürt: „Das Schlaf- mit dem Vorhangbusiness vereinen, das wollen wir!“, haben sie gerufen, ihre alten Jobs gekündigt und das Unternehmen Teuteberg gegründet.

Schlaflos sind heute nur noch Tomislav und Tamara, die sich nachts die Köpfe zerbrechen über den Rechnungen, die den Teutebergs ins Haus flattern, während deren ausgeruhte Kunden, o weh!, recht nachlässig geworden sind mit dem Zählen der Tage und dem Zahlen mit Barem.

Teresa Präauer, 1979 geboren, lebt als Autorin und Zeichnerin in Wien. 2012 erhielt sie für ihren Roman „Für den Herrscher aus Übersee“ den aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosa-
debüt. Ihre Schulzeit verbrachte Teresa vor allem mit dem Bekritzeln ihrer Jeans und Hände. Die Be-rechnung komplexer geometrischer Flächen hat sie mit Schere und Papier unternommen. Im Herbst 2014 erscheint ihr nächstes Buch.

Der jetzt.de-Kosmos schreibt selbst Textaufgaben weiter. Mach auch mit und bastle aus einer Rechenaufgabe eine Geschichte. Hier findest du eine weitere Aufgabe und die Erklärung, wie es geht. Und hier kannst du lesen, was der Kosmos bislang geschrieben hat.

Auf der nächsten Seite: eine Aufgabe mit Großmutter und einem Tisch, umgedichtet von Kevin Kuhn.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Vor Großmutters Ruhebank stehen zwei Beistelltische, einer links und einer rechts. Ihre Enkelin Sophia meint, dass die beiden kreisrunden Tischplatten nicht genau gleich groß seien. Hat sie recht? Unter einer Platte klebt ein Schild „Oberfläche = 0,30 Quadratmeter“ (Tisch 1). Den Umfang des zweiten Tisches misst Sophie zu 188 cm.

Auf dem einen Tisch befinden sich Aschenbecher, auf den anderen hat Großmutter die Füße hochgelegt. Die Haare hat sie zu einem Dutt gesteckt, sie trägt einen knielangen Rock, obwohl der letzte Schnee noch schwer in den Bäumen sitzt. Sophia kämpft sich den Weg hoch zur Anlage, Eis knackt unter ihren Schritten. Wenn sie nicht genug Gewicht ins Gehen legt, schlittert sie wieder etwas zurück. Hinter der Anlage vernimmt sie ein gleichmäßiges Piepen, als fahre gerade ein Schwertransporter rückwärts in eine Einfahrt. „Großmutter“, ruft sie, als der Weg sich ebnet. Großmutter schlägt die Augen auf, wuchtet den Kopf nach vorne, in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen ein Feuerzeug. Sie steckt sich die Zigarette zwischen die Lippen. Ohne anzuzünden. Als sich Sophia neben ihr auf die Ruhebank setzt, nimmt sie die Zigarette wieder aus dem Mund.

„Bist du nicht längst weg?“ Großmutters Stimme ist rau, als wären dies seit Langem die ersten Worte.
„Ach, Großmutter, das ist doch Denny. Der ist schon weg.“
„Sag nicht immer Großmutter.“ Sie steckt sich die Zigarette wieder in den Mund, dreht am Zündstein. Eine Flamme züngelt für einen Augenblick, erlischt.
„Sind das deine?“ Sophia zeigt auf die Beistelltische. Großmutter schüttelt kaum merklich den Kopf.
„Die Tischplatten sind nie und nimmer gleich groß.“ Sophia ist selbst verwundert über diese plötzliche Feststellung, als sei es etwas Bedeutungsvolleres, dem sie nachgehen sollte. Großmutter reagiert nicht. Sie sitzen schweigend nebeneinander. Ab und an steckt sich Großmutter die Zigarette in den Mund, dreht am Zündstein. Manchmal sackt ihr Kopf nach hinten gegen den rauen Verputz, und sie schließt die Augen. Ein Schub Schnee rutscht vom Dach, zerschellt dicht neben ihnen. Sophia fasst einen Entschluss. Geschickt klettert sie unter den Tisch, über ihr klimpert der Aschenbecher. Sie wendet den Kopf in Richtung Tischplatte. „Großmutter“, ruft sie, „da klebt ein Schild!“

„Ich weiß“, sagt Großmutter trocken. Man hört das Reiben des Zündsteins, in der Ferne das Auf- und Zuschnappen einer Tür. 
„Oberfläche = 0,30 Quadratmeter steht da.“
„Tisch 1?“
„Ja, Tisch 1.“ Sophia klettert unter Tisch 1 hervor, setzt sich neben sie. Großmutter hat derweil die Beine vom anderen Tisch auf den Boden gestellt.
„Warst du das, Großmutter?“
„Nein, du.“ Sie lacht. Erst als sie die Zigarette wieder in den Mund schiebt, kehrt Stille ein. Sie wirft den Kopf in den Nacken, döst vor sich hin. Sophia beäugt beide Tische abwechselnd, holt ihr Smartphone aus dem Rucksack und wischt ein paarmal über das Display. Zwei Falten ziehen sich über ihre Stirn. Dann versetzt sie es in den Ruhemodus, kniet sich vor den zweiten Tisch und umschlingt ihn mit ihren Armen. Ihre Mittelfinger können sich gerade so berühren.  

„Was machst du da?“ Großmutter fühlt mit der Hand nach ihrem Dutt, rückt ihn zurecht.
„Die Spannweite der Arme, Klammer auf, von der Fingerspitze des Mittelfingers zu Fingerspitze, Klammer zu, entspricht der gesamten Körpergröße.“
„Sagt wer?“
„Wikipedia.“
„Ah, wusste ich es doch. Und?“
„188 Zentimeter!“ Sophia strahlt wie eine Halogenlampe.
„Du bist sehr groß, Denny.“
„Danke.“ Noch eine ganze Weile sitzen sie nebeneinander auf der Ruhebank. So groß wie Denny! Sie strahlt. Und dass einer der Beistelltische größer sein muss als der andere, das hatte sie doch gleich geahnt. Manchmal bietet Großmutter ihr eine Zigarette an, manchmal dreht sie am Zündstein. Eine schöne Zeit, denkt sie, eine schöne Zeit.

„Und nun?“ Großmutter schaut sie fragend an. Sophia fasst nach ihrer Hand: „Komm, Großmutter, lass uns zu Tim hinuntergehen, Tim hat 18 Meter Zaun zur Verfügung.“

Kevin Kuhn, 1981 geboren, lebt als freier Autor in Berlin. 2012 erschien sein vielgelobtes Romandebüt „Hikikomori“. Für Zahlen konnte Kevin sich während seiner Schulzeit nicht begeistern, wohl aber für die Geschichten seines Mathelehrers, der gern darüber referierte, wie man seinen Geist durch mathematische Formeln gegen die Gefahren des Lebens wappnen könnte. Derzeit schreibt Kevin in Neuseeland an seinem zweiten Roman.

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Quellen: Teresas Textaufgabe: Manz Lernhilfen, Mathematik üben, 9. Schuljahr, Kevins Textaufgabe: Manz Lernhilfen, Mathematik üben mit Erfolg, speziell für G 8, 10. Schuljahr 

Text: jetzt-redaktion - Autoren: Teresa Präauer und Kevin Kuhn; Illustrationen: Silke Baltruschat

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