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Mittelstufenschüler sind die schlimmsten!

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I’ve never been to therapy, so like, how much would I need to stop actively hating people from middle school? That’s a question that I think about a few times a month.  

Wo steht das denn?
In dem Artikel „Why Can’t I Stop Hating People From Middle School“ der Autorin Tattijani Ribeiro. Der Text ist auf dem US-amerikanischen Online-Magazin HelloGiggles erschienen, das unter anderem die Schauspielerin Zooey Deschanel gegründet hat und in dem sonst Blogger, eigentlich fast nur Bloggerinnen, über Do-it-yourself-, Beauty-, Freundschafts- und Sexthemen sowie (Pop-)Kultur und Medien schreiben.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Und worum geht es da genau?
Tattijani Ribeiro beschäftigt sich vor allem mit der Frage aus der Überschrift: Warum kann sie nicht aufhören, ihre Mitschüler aus der Middle School zu hassen? Wer schon mal von einer halben Schulklasse ausgelacht worden ist, weil er Pickel hatte, komische gelbe Hosen trug oder seine Eltern sich scheiden ließen, kriegt schon bei der Frage Bauchschmerzen. Aber es lohnt sich weiterzulesen.

Nun ist das in Amerika mit dem Schulsystem natürlich anders als in Deutschland. Middle School (die manchmal auch Junior High School heißt), das sind die Jahre zwischen Grundschule und High School, also so etwas wie die Mittelstufe in Deutschland. Bei Ribeiro ging sie von der sechsten bis achten Klasse. Trotz der Unterschiede im Schulsystem können viele bestätigen, und das auf der ganzen Welt: Die Mittelstufe war und ist keine leichte Zeit! In den USA erlebt man das noch einmal stärker, weil man in der Middle School mit anderen Schülern zusammen in einer Klasse ist als später in der High School.

„Für viele Leute ist die Middle School, denke ich, wirklich intensiv, wirklich hart und größtenteils grausam“, schreibt Ribeiro. Wie immer, wenn man sich über längst Vergangenes auskotzt, ist die Gefahr, boshaft und nachtragend zu klingen, sehr groß. Die Autorin schafft das aber weitgehend ohne Vorwürfe. Sie schreibt nur: „Die Kinder, mit denen ich zur Middle School ging, waren wirklich nicht so nett.“ Und später: „Es gibt keinen, der gemeiner wäre als ein Middle-School-Schüler.“  

Die Autorin hat diese Zeit ganz gut verdrängt, schreibt sie, bis sie doch wieder daran erinnert wurde: von ihrer jüngeren Schwester, die gerade zur Middle School geht. Für Ribeiro, die ältere Schwester, ist das „hart mit anzusehen“, schreibt sie. Sie geht nicht auf Details ein, auch nicht zu ihrer eigenen Schulzeit, deswegen bleibt der Text etwas unkonkret. Aber sie beschreibt ganz gut, was viele von uns über diese Phase in der Schulzeit denken.  

Ausgeprägter als vorher in der Grundschule und später in der Oberstufe und danach, gab es in der Mittelstufe meist nur zwei Gruppen: die, die gehänselt wurden, und die, die gehänselt haben. Für beide sind die Erinnerungen daran später oft ähnlich schwer zu ertragen. Die Autorin gehörte eher zur ersten Gruppe. „Wenn ich bestimmte Namen aus der achten Klasse höre – wie Max, der meistverbreitete Name auf der Welt – steigt die Panik in mir auf“, schreibt Ribeiro. Was Max getan hat, erfährt man aber nicht.

Warum die meisten schlechte Erinnerungen an diese Zeit haben, das versucht die Autorin im Text zu verstehen. Vielleicht, weil in dem Alter alles neu ist? Weil man unsicher ist? Weil man sich seine Gefühle und Reaktionen nicht erklären kann? Und deshalb abwehrend wird und alles dafür tut, dass die Aufmerksamkeit zu jedem anderen, nur nicht zu einem selbst gelenkt wird? Und man aus diesem Grund andere auslacht, hänselt, bloßstellt?  

Irgendwann wird es ja besser. In der High School, so erklärt sich das Ribeiro, entwickle man wenigstens etwas Bewusstsein für seine Gefühle und seine Angst. Es gab auch da schlimme Momente, schreibt sie, aber die hätten sie nicht so heimgesucht wie die Erinnerungen an die Middle School. Auf ihre Mitschüler aus dieser Zeit dagegen ist sie immer noch wütend. Auch wenn sie alle Kinder waren. Und auch, wenn sie es wohl nicht mitbekommen hätte, wenn ihr Banknachbar die gleiche Panikattacke wie sie gehabt hätte. Die Erfahrungen auf der Middle School haben sie dazu gebracht, dass sie sich wie eine Ausgestoßene gefühlt hat. „Sie haben dafür gesorgt, dass ich mich allein und missverstanden und anders gefühlt habe. Und das hat bis jetzt immer an mir geklebt“.  

Wie Ribeiro scheint es vielen gehen. Ihr Text erfuhr am Wochenende große Zustimmung im Netz. Man merkt, dass viele, bei denen die Middle School zehn und mehr Jahre zurückliegt, heute noch erleichtert darüber sind, dass es nicht nur ihnen so ging. In den Kommentaren unter dem Artikel und auf Facebook melden sich Leser, die schreiben, für sie sei die Middle School auch „the worst“ gewesen. Ein Mädchen mit Beinprothese schrieb, wie sich heute noch ihr Magen umdreht, wenn sie daran denkt, wie sie an der Middle School gehänselt wurde und dass in den vier Jahren High School niemand ihr Bein kommentiert hat.  

Ribeiros Text beantwortet am Ende nicht, wie man die Leute aus der Middle School endlich nicht mehr hasst, oder, wenn man gerade zur Schule geht, wie man damit umgehen soll. Aber er vermittelt das beruhigende Gefühl, dass man nicht allein ist; dass es anderen auch so ging und heute noch geht. Die Autorin ist inzwischen sogar ein bisschen froh um die Erfahrung. Bücher, Filme und vor allem Musik hätte sie vielleicht nicht so verstanden, wenn sie das, worüber darin geschrieben, gesprochen und gesungen wird, selbst nicht so gut nachvollziehen könnte: „Ich schaue zurück und merke, dass meine Gefühle von damals so allgemeingültig, und die anderen, die so gefühlt haben, heute oft meine Helden sind.“



Text: kathrin-hollmer - Foto: stop-sells / photocase.com

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