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Der tiefe Fall nach dem falschen Glück

Text: SofiaKorksenzieher

Das Problem mit den guten Gefühlen ist, dass sie sich zwar gut anfühlen, aber nie so gut, wie sich schlechte schlecht anfühlen. Mit diesem ziemlich banalen und von jedem Deutschlehrer wegen Wortwiederholungen angekreideten Satz möchte ich auf etwas einleiten, was mir momentan zu schaffen macht. Der tiefe Fall nach der großen Euphorie über ein Stückchen falsches Glück.



Vor einiger Zeit fiel ich gänzlich unbedarft und tatsächlich ebenso überrascht in eine kurze, aber intensive Affäre hinein. Ein Mann, von dem ich nie erwartet hatte, dass ich seinem Bild von dem entspreche, was er als attraktiv, sexy, smart und all die anderen Attribute für Anziehung, empfindet, hat mich mit seinen Avancen schlichtweg vom Hocker gehauen. Nicht nur mich übrigens. Auch so einige andere in meinem Umfeld waren ob seiner plötzlichen, laut seiner Aussage vorhersehbaren, Annäherung überrascht. Und so begann der ganze Spaß eher mit einer ordentlichen Portion Unsicherheit und Befangenheit. Wahnsinnig gut aussehender, erwachsener, smarter, welterfahrener Kerl – eine Frau, die sich im Stadium der körperlichen Unzulänglichkeit und der steigenden Verzweiflung ob ihrer langen Singlezeit befindet. Aber selbstverständlich bin ich sofort mit Haut und Haaren darin aufgegangen. Seine Art, mir auf unaufdringliche Weise Komplimente zu machen, mehr für meine Persönlichkeit, gelegentlich auch für mein Aussehen, hat schnell dazu geführt, dass ich mich in dieser Konstellation wohl fühlte. Ungewohnt wohl. Wo sich in den letzten Jahren belanglose Affären und wahre, unerwiderte Gefühle die Klinke in die Hand gegeben hatten, war jetzt eine beklemmende und zugleich berauschende Mischung aus beidem in mein Leben getreten. Der Sex war gut, die Gespräche deckten die ganze emotionale Palette ab und die Berührungen waren so selbstverständlich und ungekünstelt, wie ich es lange nicht erlebt hatte. Ich ertappte mich dabei, ihm mehr von mir erzählen zu wollen, ihm Dinge anzuvertrauen, die ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr über die Lippen gebracht hatte, Dinge aus meiner Vergangenheit, von denen ich das Gefühl hatte, die meisten Männer wären im Angesicht der gehäuften Schicksalsschläge schlichtweg überfordert.
Ob dieser Veränderungen, die ich deutlich spüren konnte, musste ich mir zwangsläufig irgendwann DIE Frage stellen: Will ich mehr? Gemeinsam und einsam wurden meine widersprüchlichen Gefühle und Gedanken analysiert, reflektiert, fünftausendmal kommuniziert und zum Schluss in der Schublade „Nicht verliebt“ weggeschlossen. Gelegentlich holte ich ganz bewusst den Schlüssel hervor, um mich im Licht der Verliebtheit ein wenig zu sonnen, um sie dann wieder klein zusammengefaltet erneut zu verbannen.
Drei Wochen lang erlebte ich den Rausch einer Beziehungssimulation in extremer Form. Wir trafen uns drei bis viermal die Woche, oft blieb er zwei Tage am Stück, wir bestellten Pizza, die wir im Bett aßen, schauten Filme und verhielten uns wie ein frisch verliebtes Paar. Dem Ende, zumindest einem vorläufigen, gänzlich bewusst – er arbeitet nicht in Deutschland und war nur zu Besuch – war ich gewillt, so viel dieser Ekstase in mich aufzusaugen wie möglich. Was danach passieren würde, darüber dachte ich nicht besonders viel nach. Ich war der Ansicht, mein sicher weggeschlossenes Gefühlspaket würde mich vor etwaigen Traurigkeiten beschützen und ich könnte einfach die schöne Zeit als ein vergangenes, vielleicht neu entfachbares emotionales Inferno betrachten.
Wieder drei Wochen sind vergangen. Wir sind, trotz Trennungsanfangsschwierigkeiten, letztendlich gut und befriedet und mit der Möglichkeit auf Wiederholung auseinander gegangen. Soweit so gut.



Aber wie gesagt: Beschissene Gefühle fühlen sich viel beschissener an, als sich gute gut anfühlen. So ist das nun mal. Zumindest bei mir. Und ich merke, dass etwas fehlt. Ich war so gewöhnt an ein konstantes Maß an Zuneigung, Körperlichkeit und Sex, dass ich jetzt, im Angesicht von nichts oder nur Dingen, die das, was er in mir ausgelöst hat, nicht ersetzen können, sondern mir mehr denn je ins Bewusstsein rufen, dass ich diese Eintönigkeit bedeutungsloser Sexualität mit Männern, die ich eigentlich weder interessant noch attraktiv finde, nicht mehr möchte, in einem dumpfen Gefühl der Einsamkeit um mich selbst trauere. Das gefürchtete große, tiefe schwarze Loch ist da und ich suhle und wälze mich genüsslich in seinem Schlamm. Ich finde gerade keinen Halt.
Ich bin nicht in ihn verliebt, aber ich bin verliebt in die Vorstellung, es zu sein. Und ich bin ebenso verliebt in die Vorstellung, dass er es erwidert. Und natürlich bin ich verliebt in die Vorstellung einer Beziehung, einer funktionierenden, ausgefüllten Beziehung. Die Simulation war da und treibt mir jetzt nur viel stärker ins Bewusstsein, dass ich alleine bin. Und das ist, gelinde gesagt, beschissen.  

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