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Olympia-Kommentatoren vs. Snowboard-Checker

Fotos: dpa, getty

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Die Situation

Klingt zunächst mal ungefährlich: Wenn bei Olympia neue Disziplinen eingeführt werden, braucht es Menschen, die dem Fernsehpublikum erklären, was da vor ihren Augen passiert. Wenn diese Sportart aber zum Beispiel Snowboarden ist, ist das ein Problem. Da wird es etwas komplizierter als beim Rodeln, wo am Mikrofon während eines Laufs nicht viel mehr zu verkünden ist als Zwischenzeiten. Beim Snowboarden oder Ski-Slopestyle aber gibt es nicht nur so viele Tricks, dass sie ein Wörterbuch füllen würden, es kommen ständig neue hinzu (So geschehen am Wochenende im Slopestyle-Finale: Gewinner Kotsenburg zeigte eine nagelneue Grab-Variante, die noch keinen Namen hatte. Er nannte sie dann „Holy Crail“). All diese Fachbegriffe zu kennen und live herunterzubeten, ist nicht leicht. Und dann soll er sich auch noch so gewählt artikulieren können, dass er in der ARD tragbar ist – was wiederum nicht die Kernkompetenz der meisten Menschen ist, die einen Frontside Double Cork 1080 Mute Grab von einem Cab Double Cork 1080 Stalefish unterscheiden können.

So verwechselt der Kommentator also allerlei Tricks, er spricht von Eisenstangen statt von Rails, und wenn er doch mal Rail sagt, sagt er die Rail statt das Rail. Die Snowboard- und Freeski-Checker vor ihren Fernsehern werden dann schnell wütend, weil jemand ihren geliebten Sport nicht versteht und übertreffen sich gegenseitig darin, auf jeden kleinsten Fehler hinzuweisen – meist ohne zu begreifen, dass das eigentlich ein ganz schön kleinliches Vorgehen ist für jemanden, der sich als die Reinkarnation der Coolness versteht.

Dort treffen sie aufeinander

 

Gar nicht. Jedenfalls nicht im Moment ihres eigentlichen Konflikts. Denn da ist der eine ja mit Kommentieren und „Salti“ zählen beschäftigt und der andere mit Zuschauen und sich ärgern.

 

Darum hassen sie einander

 

Weil sie ein und dieselbe Sache aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Der Checker hat sich entschieden, seinen Sport zu lieben und zu ehren, bis dass das Kreuzband oder der fünfunddreißigste Geburtstag sie scheidet. Solange will er dazugehören zu seiner coolen Freestyle-Gang. Dazu muss er beweisen, die subkulturellen Codes der Szene zu beherrschen – und das geht nun mal sehr gut, indem man sich über die lustig macht, die sie nicht beherrschen und ergo nicht zur Gang gehören. Der Kommentator ist da ein perfektes Ziel. Nicht nur gehört er offenkundig nicht dazu, nein, was er tut, ist noch schlimmer: Er tut so, als würde er sich auskennen und dazugehören! Da wittert der Snowboardchecker Anbiederung, und die mag er gar nicht. Und der Kommentator? Fühlt sich ungerecht behandelt. Er ärgert sich über die Korinthenkackerei der Checker. Er würde ihnen erstens gerne erklären, dass er nun mal ein breites Publikum bedienen muss, noch dazu das eines öffentlich-rechtlichen Senders, dessen Durchschnittszuschauer ein paar Jahrzehnte älter ist und deshalb sowieso überfordert mit diesem wilden Gehüpfe. Und zweitens war es ja nicht seine Idee, ihn auf diesen Posten zu setzen. Er kann nichts dafür, dass die ARD denkt, er sei ein guter Experte für Snowboarden und Freestyle-Skifahren, nur weil er früher mal ziemlich fit auf Inline-Skates war.

 

Das ist die besondere Schönheit dieses Konflikts

 

Wahrscheinlich würden sie das selbst nie so sehen, aber: Sie brauchen einander. Der Checker wäre kein Checker mehr, wenn seine Sportart jeden Samstag 90 Minuten Sportschau füllen und sich jeder damit auskennen würde. Der Kommentator ist einer der letzten Beweise, dass der Checker einer von den Guten ist. Der Kommentator wiederum würde nicht gebraucht, wenn es keine Checker gäbe, die Tricks mit einer Genauigkeit benennen, die der Formulierung von Gesetzestexten gleicht.

 

Das können wir von ihnen lernen

 

Coolness und Pedanterie passen schlecht zusammen. Coolness und öffentlich-rechtliches Fernsehen auch.

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