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Schlingensief hätte sich längst eingemischt

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jetzt.de: Anna-Katharina und Esther, erinnert ihr euch noch, wie ihr das Flüchtlingscamp erstmals wahrgenommen habt?
Anna-Katharina: Ich bin relativ lange unbehelligt am Oranienplatz vorbei gegangen. Heute finde ich es fast absurd, wie lange. Den ersten Kontakt mit den Geflüchteten hatte ich im Oktober vergangenen Jahres. Während einer Demonstration musste ich plötzlich an Christoph Schlingensief denken. Der hätte sich nämlich längst eingemischt, und sei es nur mit einer Installation. Es war aber niemand wie Schlingensief da, der Krach gemacht hätte.
Esther: Ich erinnere mich noch genau an das erste Treffen, diese erste öffentliche Diskussion, an der ich teilgenommen habe. Dort wurde Wasser getrunken, überall Standen Flaschen herum, jeder hatte ein Glas in der Hand oder vor sich stehen. Nur die Aktivisten des O-platzes nicht. Ich habe dann Gläser ausgeteilt und Ihnen eingeschenkt. Das war die erste Situation, in der mir klar wurde, dass ich selbst etwas für die Gleichberechtigung tun will und auch tun kann.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Anna-Katharina und Esther (v.l.)

Wie ging es weiter?
Esther: Rund um Weihnachten waren wir mit den Geflüchteten mehrmals zusammen auf dem Weihnachtsmarkt, und irgendwann kam uns die Idee, ein gemeinsames Essen zu organisieren. Ein afrikanisches Essen, das aber nicht wir für die Aktivisten, sondern die Aktivisten für uns machen sollten und auch machen wollten. Sie haben in Deutschland ja nur einen geduldeten Status und einen humanitären Aufenthaltsstatus in Italien, was bedeutet, dass sie unter anderem auch kein Recht auf Arbeit und deshalb den ganzen Tag nichts zu tun haben. Wir wollen etwas gegen dieses Nichtstun machen. Deshalb auch die Idee mit der Theatergruppe.  

Warum eigentlich gerade Theater?
Anna-Katharina: Weil das Theater Kulturaustausch ermöglicht. Wir wollten zusammen mit den Geflüchteten etwas entwickeln, voneinander lernen und die politische Diskussion, die teilweise schon gar nicht mehr stattfand, auffrischen.

Was wünscht ihr euch denn für die Flüchtlinge?
Esther: Dass die Leute die Augen nicht mehr vor ihnen verschließen und keinen Bogen mehr um das Camp auf dem Oranienplatz machen, sondern sich mit dem auseinandersetzen, was heute und morgen passiert und auch damit, warum es passiert. Wir wünschen uns, dass die Leute ein Stückweit ihre Ängste verlieren – und wir damit auch von den ausschließlich theoretischen Diskussionen wegkommen.  

Was heißt das?
Anna-Katharina: Wir wollen mehr als nur intellektuelles Darüber-Reden, das ohne die Beteiligten stattfindet. Die Geflüchteten selbst sollen zu Wort kommen.
Esther: Wir wissen natürlich, dass wir mit einem Theaterstück die Politik nicht wirklich bewegen werden. Aber wir können doch ein bisschen was ins Rollen bringen.
Anna-Katharina: Und vor allem haben alle, die mitmachen, wahnsinnig viel Spaß. Alle sind begeistert bei der Sache, zeigen eine echte Spielfreude, die soweit führt, dass es Momente gibt, in denen Sprache schon gar nicht mehr relevant ist.     

Wie muss man sich die ersten Proben vorstellen?
Anna-Katharina: Wir sind relativ theaterpädagogisch an die ersten Proben herangegangen, weil wir ja gemeinsam ein Stück entwickeln wollten. Also haben wir am Anfang viel improvisiert und Übungen gemacht, die man auch an der Schauspielschule im ersten Semester macht. Es sollte ja erstmal jeder erfahren, wie es ist, auf einer Bühne zu stehen, sich vor anderen zu zeigen, eine Figur zu spielen. Und im Moment sind wir dabei, diese Figuren zu entwickeln.  

Was sind das für Figuren?
Esther: Am Anfang haben wir Zettel verteilt, auf denen verschiedene Figuren standen: Lehrerin, Politiker, Philosophin, Rapper, Tänzer, Sänger, Maurer, Putzfrau. Und diese Figuren haben wir dann im Kreis erprobt. Wir haben geguckt, wie sie sich bewegen könnten, wie sie laufen könnten, welche Sprache sie sprechen könnten.
Anna-Katharina: Und wir haben auch leere Zettel verteilt, auf die jeder seine Wünsche und Hoffnungen schreiben konnte. Diese Ideen und Stichpunkte dienten uns vor allem als Assoziationsgrundlage für weitere Texte und Szenen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Anna-Katharina und Esther bei den Proben

Dürft ihr verraten, was auf den Zetteln stand?
Anna-Katharina: Das möchten wir noch nicht, weil das ja alles erstmal ins Stück einfließen soll – was sich dann hoffentlich viele ansehen werden. Esther: Aber was man sagen kann: Diese Menschen wollen eine Lebensberechtigung. Die ist ihnen ganz wichtig.  

Bekommt ihr viel Unterstützung?
Esther: Wir haben am Anfang vielen von unserem Vorhaben erzählt, und es waren eigentlich alle Feuer und Flamme dafür. Als es dann aber konkreter wurde, haben sich einige wieder zurückgezogen. Die größte Unterstützung bekommen wir von Pro Asyl und dem Flüchtlingsrat.  

Wann und wo wird das Stück zu sehen sein?
Anna-Katharina: Wo steht noch nicht fest, aber wann. Die Premiere wird Mitte April sein.


Text: erik-brandt-hoege - Fotos: oh

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