Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Über die Unfähigkeit, Andersdenkende leben zu lassen

Text: Aranita
Nein, früher war nicht alles besser. Auch wenn sich das jetzt so anhört. Ich versuche die ganze Zeit zu ergründen, was sich eigentlich im Umgang der Menschen miteinander geändert hat. Es gab schon immer Menschen, die andere Dinge wichtig fanden als die, die man selbst wichtig findet. Zum Beispiel Vegetarier. Ich konnte mit dieser Art zu leben nie etwas anfangen, das hieß aber nicht, dass ich deshalb Menschen, die kein Fleisch essen, verachte. Heute, wenn man sich so an den "Veggie-Day" der Grünen erinnert, war die Botschaft, jeder solle doch mindestens einmal die Woche und deswegen, weil man Kantinenwirte zwingen wollte an einem Tag ausschließlich vegetarische Mahlzeiten anzubieten, vegetarisch leben.

Oder, weil es sich gerade jährt und man wieder überall entsprechende Parolen liest, die #Aufschrei-Geschichte. Früher hätte man dumme Anmache angeprangert. Heute prangert man dumme Anmache Frauen gegenüber an. Und wenn ein Mann es wagt, das selbe Recht für sich in Anspruch zu nehmen, sich nämlich über dumme Anmache gegen seine Person zu beschweren, ist "Masku-Arsch" oder "Sexistische Kackscheiße" noch das Geringste, was man an Beleidigungen erfährt.

Beispiel Markus Lanz. Lanz ist bekannt dafür, dass er Gästen häufig ins Wort fällt. Er ist bekannt dafür, dass er Fragen, von denen er merkt dass der Gast sie nicht beantworten will, zig mal stellt. Man hat das entweder akzeptiert, oder ist nicht als Gast zu Lanz in die Sendung gegangen. Und heute? Sarah Wagenknecht, eine linke Politikerin, die sehr genau weiß warum sie zu Lanz in die Sendung geht, nänmlich um Werbung für sich und ihre Partei zu machen, erlebt wie Markus Lanz so ist. Ein Sturm der Entrüstung erhebt sich. Eine Petition wird gestartet, die bis heute 200.000 Unterstützer findet mit dem Ziel, Lanz abzusetzen. Wo war so eine Petition, als Lanz Rainer Brüderle (FDP) dauernd unterbrochen hat? Wo war so eine Petition, als Lanz Ralf Stegener (SPD) dauernd unterbrochen hat? Achso, das waren ja nur Männer und auch keine Linken. Da braucht man keine Pseudo-Empörung.

Ich mag keine Volksmusik. Meine Konsequenz ist, Den "Stadl" oder "Carmen Nebel" oder was es da noch alles gibt nicht anzusehen. Ich käme nie auf die Idee, eine Petition zur Absetzung dieser Sendungen zu starten. Aber heute muss die eigene Meinung immer gleich für alle gelten. Ja keinen Platz für Andersdenkende lassen.

"Wer nicht für mich ist, ist gegen mich" - diese Ansicht verbreitet sich immer mehr. Menschen werden in Schubladen gesteckt, mit Labeln versehen und dann entweder gehasst und bis zum Wahnsinn gemobbt, oder sie werden geliebt und gehyped. Besonders extrem findet man das auf Twitter. Gruppen meist sich selbst als "links" oder "feministisch" bezeichnender Menschen missbrauchen die Spamblock-Funktion, um Andersdenkenden den Twitter-Account zu sperren. Natürlich nicht ohne die Opfer als "Nazi-Arschlöcher" bezeichnet zu haben. Wer nicht weiß, was diese Spamblock-Funktion ist: Twitter bietet die Möglichkeit, Benutzer zu spamblocken. Das soll helfen die Spamer (also Viagra-Verkäufer und ähnliches), die überall im Netz ihr Unwesen treiben, zu stoppen. Eine durchaus gute Erfindung. Nun haben die Benutzer heraus gefunden, wenn nur eine genügend große Anzahl an Usern einen anderen Benutzer spamblockt, dass dieser Account gesperrt werden kann. Es existieren Listen mit Menschen, die andere Meinungen vertreten und der Aufruf dazu, diese zu spamblocken.

Nach dem diese Art der modernen Bücherverbrennung doch einiges an Kritik geernte hat, behaupten die Spamblocker, sie würden nur "normal" blocken. Damit wird der betreffende Account nicht gesperrt. Wie kommt es aber trotzdem ständig vor, dass immer wieder Accounts gesperrt werden? Und zwar Accounts von Menschen, denen einziges "Verbrechen" es war, nicht nur für Rechte von Frauen einzustehen sondern für Rechte für alle Menschen?

Und da sind wir wieder bei #Aufschrei. Diese Kampagne hat nichts damit zu tun, dass man Betroffenen helfen will. Diese Kampagne dient einzig und allein dazu, Frauen als Opfer und Männer als Täter darzustellen. Dazu passt ein Zitat der ehemaligen Gleichstellungsbeauftragten (übrigens ein Beruf, den Männer nicht ausüben dürfen, das hat ein deutsches Gericht entschieden) Monika Ebeling (SPD), die gefeuert wurde, weil sie sich für Ungerechtigkeiten gegen alle Menschen einsetzte, nicht nur gegen Frauen: "Diskriminierung kennt kein Geschlecht, sondern Menschen".

Ebeling wurde gefeuert, weil nicht sein kann was nicht sein darf: Dass sich eine Gleichstellungsbeauftragte für alle Menschen einsetzt. Und damit sind wir wieder beim Anfang: Früher konnte man seine Meinung äußern, ohne Angst haben zu müssen, vom Mob niedergebrüllt zu werdenoder wie bei Ebeling sogar den Job zu verlieren. Obwohl: sagen wir besser nicht "früher", denn in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts oder zu Zeiten der DDR war das in unserem Land ja auch nicht möglich.

Ich habe ernsthaft Sorgen, dass wir wieder auf etwas zusteuern, das Meinungsfreiheit und Demokratie ad absurdum führt und den Hass gegen andere Gruppen fördert. Die ersten Schritte sind schon getan. In der Selbstdarstellung einer Twitterliste als Vorlage zum Spamblocken wird explizit auch "Rechtsstaatsmeinungsgeschrei" als Blockgrund aufgeführt.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: