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Neustart -1-

Text: komber

Es wird immer wieder diskutiert: Wie wollen wir arbeiten? Als was wollen wir arbeiten? Wie lange, für wen, warum überhaupt und wo in der Welt?



Beantworten muss das jeder für sich, jeden Tag neu. Ist das was ich gelernt habe das Richtige? Passt die Firma zu mir und meiner Weltansicht? Ist der Weg kurz genug um schnell da zu sein und lang genug um unterwegs abzuschalten? Wo will ich überhaupt wohnen? Da wo ich arbeite oder dort wo ich es mir leisten kann, wo mein Partner, meine Familie lebt?



Arbeite ich um zu Leben oder Lebe ich um zu arbeiten? Und wo sind die Grenzen?



Ich bin bald 30. Ich habe die klassische „Wunschkarriere“ hinter mir: ein gutes Abitur, ein Hochschulstudium inkl. Praktikum und Auslandsaufenthalt sogar die Hürde des ersten Jobs ist genommen. Fast zumindest, gekündigt habe ich ihn. Nach 3 Jahren, wegen der Karriere und wegen meiner Vorstellung von fairem zwischenmenschlichen Umgang.



Contra meiner geradlinigen Karriere stehen andere Punkte:



  1. Ich habe etwas studiert was eigentlich so nicht mehr gefragt ist. Ein berühmtes Orchideenfach. Etwas wo es heißt: „da kannst du ganz viel damit machen“- Reingefallen.


  2. Ich bin eine junge Frau.


  3. Blöderweise habe ich einen Mann geheiratet, der einen sehr gut bezahlten, festen Job hat und an eine Stadt gebunden ist.


  4. Ich bin eine junge Frau.


  5. Man kündigt doch keinen Job- und schon gar keinen so raren und in dieser Brache… bist du wahnsinnig???


  6. Ich bin eine junge Frau.


Ich bin nicht wahnsinnig und auch nicht naiv. Aber vielleicht sensibel. Ich mag es, wenn Chefs auf ein „Guten Morgen“ ein solches erwidern, ehe sie ihr Anliegen vorbringen. Ich mag es, wenn man Kritik bekommt. Andere mögen das vielleicht Feedback nennen oder Bewertung, in diesem Fall ist es das Gleiche. Ich mag es, wenn man ernst genommen wird, wenn man gefragt wird, wenn einem dann auch zugehört wird und man ausreden darf. Meine Meinung ist mein Luxus.



Aber ich bin eine junge Frau. Keine Chance gegen einen Senior mit fast 80 der alles selber macht und alles kontrolliert.



Ich bin eine junge Frau. Schlechte Chancen für ältere Kolleginnen die lieber in ihren alten Süppchen rühren anstatt offen für einen neuen Windhauch sind. Die ihr Wissen verstauben lassen haben und ihre Felle davonschwimmen sehen auf dem Fluss des Neuen, das ich mitbringe als „Frischling“.



Ich bin eine junge Frau. Die in dieser Branche scheinbar nur zwei Möglichkeiten hat: Aufopfern und als ungebundene, frustrierte Dame in Fernbeziehungen und Freundschaftsreisen „auflebt“ oder die Branche verlassen, reich heiraten und Kind und Küche dem Kariere K vorziehen.



Gibt es keine Möglichkeit dazwischen?



Ich hätte noch vor 4 Jahren als ich meine Diplomarbeit abgegeben habe nicht gedacht, dass ich auf so viele klischeebehaftete Menschen treffen werde. Dass ich so für mein Glück kämpfen muss und dass es so weit kommen musste.



Ich habe gekündigt.



Nicht einfach so. So leicht mache ich mir die Dinge nicht. Ich habe gekämpft, mit dem Firmensystem, mit mir und meinem Ego. Ich musste mir Hilfe von außen holen. Für die Erkenntnis, dass es Mut braucht, dass ich meinen Weg finden muss, egoistischer und weniger perfekt als mein Schweinehund das gewöhnt ist. Ich sehe den Weg, ich bin schon unterwegs zu ihm, schon losgelaufen, aber noch lange nicht angekommen. Der Komfort einer Ehe mit einem gut verdienenden Mann hilft mir dabei nicht. Zu emanzipiert bin ich, zu stolz die Abhängigkeit als Fürsorge einfach akzeptieren zu können.



Ich kenne nun meine Antreiber, die mich rotieren lassen, die mein schlechtes Gewissen füttern. Meine Muster, die sich mir immer wieder in den Weg stellen und mich zur Verzweiflung bringen. Mein Selbstvertrauen muss ich erst wieder finde. Es liegt begraben unter dem Staub der Firma, die mich auch nicht halten will. Die meinen Weggang nicht hinterfragt und mich einfach ersetzt hat, der ich vielleicht sogar lästig geworden bin.



In einer Branche, die eigentlich von neuen Ideen, neuen Wegen, neuen Strömungen lebt habe ich meine Ideen verloren, meine Wege sind vom Sand zugeweht und die Strömung spüre ich nur als Windhauch im Haar. Zu lange habe ich für andere „am Rädchen“ gedreht. „Same-same-but-different“- Entwürfe gemacht. Meine Handschrift für die vermeintliche Karriere aufgegeben.



Ich muss mich neu suchen. Neu erfinden will ich mich nicht. Denn das was ich bin ist eigentlich toll.



Ich bin toll!



Und mutig und ich werde die Kraft finden um gegen die Mühlen anzukämpfen. Um mich zu trauen das Neue anzugehen. Um auf mich aufmerksam zu machen und wenn ich mich gefunden habe werde ich mich hinstellen und zurückschauen und milde lächeln.



Ich bin mutig, denn ich gebe mich nicht ganz auf, ich habe rechtzeitig gemerkt, dass da etwas in mir ist das toll ist und das man nicht so einfach aufgeben darf. Denn es macht mich zu dem Menschen der ich bin, als der ich geliebt werde, geschätzt werde und glücklich bin.



Wenn man nicht die Kraft hat weiter zu leiden, dann muss man die Kraft finden neu anzufangen. Und das werde ich tun!



 

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