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Sich liebende Kollegen

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Wenn man sagt, Nadine und Sebi sind durch pure Leidenschaft zusammengekommen, es wäre nicht gelogen. Wir waren blutjung und durstig und trafen im Überschwang des ersten Semesters die folgenschwere Entscheidung, zusammen einen Film machen zu wollen. Zwei Jahre, anderthalb posttraumatische Belastungsstörungen und eine Unzahl an Magenverstimmungen später wurde dann aus den Kollegen ein Paar und die Leidenschaft, die wir ursprünglich nur fürs Filmemachen teilten, gab es dann auch zwischen uns (gelegentlich).  

Als Paar lief es bei uns in all den Jahren mal besser, mal schlechter. Wir waren mal zusammen, mal getrennt. Wir wohnten mal um die Ecke, mal durch die halbe Nation verstreut. Auch in der gemeinsamen Arbeit gab es Höhen und Tiefen. Mal wählten wir als Ort der gemeinsamen Arbeit die hippsten Cafés in der Kölner Innenstadt, mal telefonierten wir über viele hundert Kilometer. Wir weinten, fluchten, lachten, jagten uns zum Teufel und putzten anschließend wieder gemeinsam die freien Stellen für Filmpreise auf unseren Regalen (wo es noch diverse freie Stellen gibt). Am Ende mussten wir immer wieder einsehen, dass es niemanden gab, der uns so verstand, wie der andere; beruflich wie privat.  

Als wir im Oktober die ersten Schritte in unsere erste gemeinsame Wohnung machten, zog nicht nur ein Pärchen ein, eigentlich wurde auch ein Gemeinschaftsbüro für Filmproduktion- und Entwicklung gegründet. Lange bevor ein Fernseher, eine Pflanze oder geschweige denn ein Bett ihren Platz fanden, wurden erstmal ordentliche Arbeitsplätze eingerichtet, da wir natürlich am selben Abend noch Texte zu schreiben, Filme zu schneiden und DVDs zu brennen hatten. Und da es wieder neue Texte, neue Filme und neue DVDs zu machen galt, als die ersten Tage vorüber waren, pendelte sich eine geschäftige Betriebsamkeit ein, die eher an ein Großraumbüro erinnerte und in der ein ehemals leidenschaftliches junges Pärchen nun Rücken an Rücken saß, über Kopfhörer Musik hörte und wild auf den Tastaturen rumdrückte.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Nach 39 abgearbeiteten Zeilen war sie gar nicht mehr so böse, als wir wieder Rücken an Rücken saßen."

"Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt!", rief Nadine bald enttäuscht. Natürlich hatte sie sich das anders vorgestellt! Sie hatte sich vielleicht gewünscht, dass wir uns in wilden Drehbuchbesprechungen anschreien und Geschirr werfen würden, nur um im nächsten Moment durch einen beherzten Kuss die gerade aufgeheizten Gemüter wieder abzukühlen (oder weiter zu erhitzen, je nach Geschmack).Vielleicht hatte sie sich auch vorgestellt, dass wir uns philosophierend auf Ohrensesseln gegenüber säßen und Pfeife (beziehungsweise ein Bild einer Pfeife) rauchten. Aber nie und nimmer wäre ihr so eine nüchterne und kühle Arbeitsatmosphäre in den Sinn gekommen. Ob ich mir das etwa so vorgestellt hätte...? "Och, ja, eigentlich schon!" musste ich zugegeben.  

Ich heckte also mal wieder einen todsicheren Plan aus und plante das in Nadines Augen perfekte Wochenende. Auf einem großen Zettel wurde das Wochenende in drei große Spalten geteilt, eine für jeden Tag, und jede Spalte enthielt Slots à 60 Minuten, von 9 bis 22 Uhr. Jede der 39 Zellen wurde mit den Dingen gefüllt, die Nadine an der gemeinsamen Arbeit gut gefallen. Figurenentwicklung, Dramaturgie, Telefonkonferenz mit Hamburg, Figureninterview, Besinnungsaufsatz. Außerdem: Slots für Spaziergänge, Mittagessen (sehr wichtig für Nadine) und eine kurze Counterstrike-Pause (wichtig für mich). Am Anfang war Nadine begeistert, doch mit jeder verstreichenden Zelle schwand ihr Elan. Und je öfter sie mein arbeitendes Gesicht ertragen musste, desto weniger süß klangen ihr die ganzen schönen Begriffe von Figuren, Drehbüchern und Besprechungen. Und nach 39 abgearbeiteten Zellen war sie gar nicht mehr so böse, als ich mich mit meinem Kopfhörer zurückzog und wir wieder Rücken an Rücken saßen.  

Heute sitzen wir immer noch viel Rücken an Rücken, meistens hören wir aber gemeinsam Nadines Musik, wir haben ihren Computer einfach an die Anlage angeschlossen. Wir haben uns an das Klackern der Tastaturen gewöhnt und manchmal, da kriecht dann doch der eine zum anderen und aus zwei Kollegen wird dann kurz wieder ein Pärchen, zumindest für ein paar Minuten.

Auf der nächsten Seite: Nadine erklärt, warum Sebastian und sie wie "Marianne & Michael" sind (obwohl wie Gundula Gause und Claus Kleber sein cooler wäre).


Bei Paaren, die zusammen arbeiten, muss ich immer an Marianne & Michael denken und dann ist mir nicht ganz wohl. Eigentlich sind Konstellationen wie Loriot und Evelyn Hamann, Gundula Gause und Claus Kleber oder Jogi Löw und Hansi Flick, bei denen immer was in der Luft liegt und doch nie passiert, viel cooler! Hinzu kommt: Die Filmbranche ist eine unstete Branche, in der Beziehungen unter Kollegen zwar besonders häufig, aber auch besonders ungünstig sind.  

Problem Nummer 1: Unstete Branchen bedingen ein unstetes Einkommen. An den Filmhochschulen wird den Studenten empfohlen, sich frühzeitig an Mediziner- und Juristenbälle heranzupirschen, das Tanzbein zu schwingen, von einem abenteuerlichen Leben zu erzählen und so möglicherweise das eine oder andere Herz zu erwärmen. Doch aus Mangel an Zeit begegnet ein Filmemacher diesen abgesicherten Berufsgruppen höchstens im Falle eines Unfalls am Set oder wenn ihn der Motivgeber auf Schadensersatz verklagt. Bleiben also Sebi und Nadine und zwei Zimmer, Küche, Bad statt drei Zimmer, Küche, Bad, weil wir nie wissen, was der nächste Monat bringen wird und daher lieber auf Nummer sicher gehen.  

Problem Nummer 2: Der Pessimismus. Manchmal, wenn Sebi und ich auf der Couch sitzen und mal wieder so richtig abledern über die Öffentlich-Rechtlichen, die Privaten, die Kulturindustrie, die Gesellschaft, das Seiende und das Nichts habe ich das Gefühl, dass hier nicht zwei hoffnungsfrohe Kulturschaffende, sondern zwei desillusionierte Miesmuscheln zusammenleben. Wäre ich vielleicht fröhlicher, wenn ich mir die Wohnung mit einem Bauleiter teilen würde, der abends auf der Couch weiß, was er an diesem Tag geschafft hat? Oder Sebi mit einer Lehrerin, die eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe übernommen und den Kindern wieder etwas Neues beigebracht hat? Vielleicht.

Auf der anderen Seite komme ich mit meiner Schreibblockade viel besser klar, wenn ich mit Sebi Rücken an Rücken sitze und höre, dass er auch nicht tippt, als wenn mein Bauleiter-Freund schon wieder ein neues Haus fertiggebaut hat. Und irgendwie macht es auch einen Unterschied, ob ich Sebi tröste, weil seine Hauptdarstellerin abgesprungen ist, oder ob eine Lehrerin das tut. Und ob Sebi die Lehrerin tröstet, weil sie der Lehrplan deprimiert, oder mich, weil mich die Förderlandschaft deprimiert. Wir müssen uns nicht erst in den Anderen hineinversetzen. Bleiben also Sebi und Nadine, zwei Zimmer, Küche, Bad, Miesmuschelsalat und guter Trost.  

Problem Nummer 3: Das Zeitmanagement. An meinem Gymnasium gab es Herrn und Frau Pulvermüller, die von allen nur „die Pulvis“ genannt wurden. Sie haben sich bestimmt im Studium kennengelernt, unterrichteten beide Mathe und Physik, spazierten morgens gemeinsam zur Schule, gingen nachmittags gemeinsam heim und ich glaube sogar im selben Jahr in Rente. Alle fanden sie zuckersüß, aber insgeheim habe ich mich immer gefragt: Wie machen die das, wenn die immer zusammen sind, wird das nicht irgendwann langweilig?

Wenn zwei Leute aus der Filmbranche zusammen sind, verbringen sie entweder viel zu viel oder gar keine Zeit miteinander. Viel zu viel Zeit, wenn keine Jobs anstehen und beide nur deprimiert aufeinander rumhängen. Gar keine Zeit, wenn der eine auf einem vierwöchigen Dreh ist und der andere das nächste Projekt vorbereitet. Als wir uns entschieden, zusammenzuziehen, hatte ich erst vor dem Zuviel an Zeit Angst. Dann kristallisierte sich aber bald heraus, dass Sebi immer entweder drehte oder im Unterricht war oder als Beleuchter einsprang oder in der Kopierstation arbeitete oder Arbeitstreffen hatte und dass ich jeden Tag von 9 bis 23 Uhr an drei Drehbüchern schrieb. Genaugenommen hatten wir gar keine Zeit. Die Arbeit an gemeinsamen Projekten bildet unsere Brücke; so haben wir uns kennengelernt. Bei der gemeinsamen Arbeit können wir streiten, Spaß haben und still Rücken an Rücken sitzen. Am Ende bleiben Sebi und Nadine, zwei Zimmer, Küche, Bad und gemeinsame Feierabende.  

Ich weiß, Loriot, Evelyn, Gundula, Claus, Jogi und Hansi waren und sind coole Säue. Aber schaut euch mal Bilder von Marianne & Michael an – irgendwie sehen die schon glücklich aus! 

nadine-gottmann


Text: sebastian-hilger - Illustration: Yinfinity

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