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[.Wund.]

Text: Cios
„Woran ist sie gestorben?“, fragt der, der immer alles notieren muss. Die Kleine neben ihm, die Sanfte, legt ihre kleinen Hände auf die kalten der Toten. „An einem gebrochenen Herzen.“

Der, der immer alles notieren muss, seufzt laut auf und verdreht die Augen. „Wieder so eine, die angeblich unsterblich verliebt war und-“ „Nein.“, unterbricht die Sanfte ihn scharf. „Es war wegen ihrer Familie.“

Sie steht auf und klopft ihr kleines, buntes Rüschenkleid ab. Ihre riesigen Locken umrahmen ihr trauriges Gesicht. Wer in dieses Gesicht sieht, erkennt die ewige Trauer darin. „Keine Klischees, glaube mir.“ Ein sanfter Lufthauch inmitten des chaotischen Raumes. Auf dem Boden liegt sie, mit tränenverschmiertem Gesicht. Man könnte glauben, es sei geschmolzen vor lauter Weinen.

„Wo ist denn ihr Freund?“, fragt der Notierende. Er fühlt ihre Stirn vorsichtig und sieht sich das kaputte Telefon an, mit dem man nur noch Anrufe entgegennehmen konnte, schon seit Monaten. „Gleich wird er durch diese Tür kommen und nichts verstehen. Er tut mir leid.“

Die Sanfte sieht aus dem Fenster, ihre Flügel breiten sich vor lauter Schreck, der in den Knochen sitzt, einfach nicht aus. „Sie haben sich auseinandergelebt, die Familienmitglieder. Der eine Onkel rennt kopflos durch das Leben, der andere soll Liebe predigen und hasst sie zugleich, ihre Cousine steht nicht zu sich toleriert keine Lügen. Was an sich gut ist. Nur definiert sie die Lügen selbst irgendwie.“ Aus seinem Mund kommt nur ein „Hm.“ .

„Die Mutter lächelt zwar, aber im gleichen Moment bringt sie Tränen. Und diese Frau hier, die liebte zu viel. Zu sehr. Erste Risse entstanden durch die Sehnsucht nach der Heimat, der ewigen Suche nach der eigenen Kultur. Weitere Schnitte bildeten sich mit Hilfe von falschen Freunden und deren Hass. Als sie ihrer Berufung nicht mehr folgen konnte, verlor sie das Garn, dass das Herz zusammenhalten sollte. Und als ihr letztes Weihnachtsfest von Chaos zerstört wurde, da brach es ihr das Herz, als sie auch nur eine einzige Minute allein hier verbringen musste. Sie weinte sich in den ewigen Schlaf, ihr Herz brach in ewig viele Stücke. Niemand meldete sich.“

Dann holte er einige Fotos heraus, Polaroids. „Siehst du ihre kleine Hand, wie sie in der ihrer Großmutter liegt? Es lag so viel Hoffnung in dieser Verbindung. Sie war ihr Seelenverwandter. Ihr Vorbild. Siehst du das Bild, auf dem sie eine riesige Wassermelone isst? So hätte sie sein sollen. Und nicht ein einsam verendendes Gefäß auf einem falschen Parkettboden, eingehüllt in geflickten Sachen und kaputten Haaren.“, sagte er wütend.

Auch ein Engel konnte keine Tränen zurückhalten, also weinte die Sanfte lang und tonlos. Der Notierende setzte sich auf das alte, durchgesessene Sofa und ging seine Notizen durch. „Sie hat sich ein Leben bei ihrer Familie gewünscht. Mit Musik und einem Schreibtisch am Fenster. Kaffeeduft sollte sie morgens erheitern und abends in den Schlaf wiegen, wenn das Feuer im Ofen erlischen sollte. Sie sah sich selbst einige Tage vor Weihnachten in einem roten Trenchcoat mit gelben Stöckelschuhen und weihnachtlich eingepackten Geschenken, die sie an Freunde in aller Welt schicken wollte. Und was ist aus ihr geworden? Sie starb auf dem Boden ihrer Wohnung, weil sie keine Luft mehr bekam, weil ihr Herz es nicht annehmen wollte. Mit einem Leben, das sie hasste. Und das sie hasste.“







Verzweifelt heulte sie auf. „Aber das kann es doch nicht gewesen sein!“ Es klang mehr wie eine Frage.

Dann erklang der Schlüssel im Schloss und sie lösten sich auf. Gebrochen.

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