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Das Leiden an Leidmedien

Text: dermarcel
Seit einiger Zeit geistern die Damen und Herren von Leidmedien durch die Webgeschichte und erklären uns, wie man über Behinderte zu schreiben hat.

Das ist toll, denn bisher wusste ich gar nicht, dass es eine Beleidigung ist, wenn ich unter meiner Krankheit leide oder wenn jemand trotz seiner Blindheit Fußballreporter wird.

Während man sich mit der Idee anfreunden kann, dass die Leidmedien stellvertretend für alle Krüppel, Spastis, tauben Nüsse, Rollstuhlgefesselte, Amputierte, Psychos, Fettwänste und wie sie alle heißen Sprachregeln entwickeln, sind sie doch sehr schnell über das Ziel hinaus geschossen.

So reagieren sie wie Pawlows konditionierter Hund mit Speichelfluss, wenn irgendwo Leiden und Behinderung in einem Satz vorkommen. Ob der Mensch selbst gesagt hat, dass er leidet, spielt dann keine Rolle mehr. Die Leidmedien wissen es besser, sie schaffen das Leiden ab.

Es spielt auch keine Rolle, worum es in dem Artikel geht. Beim besagten Artikel über Fußball ging es darum, dass ein Blinder als Journalist über Fußball berichtet, obwohl er das Spiel ja nicht selbst sehen kann. Er traut sich sogar kritische Fragen zu stellen, was nicht mal die meisten Sehenden tun würden. Dass erfordert sehr viel Selbstsicherheit, die man Leuten nicht zutrauen würde, die die Feinheiten des Spiels nur beschrieben bekommen. Darum ging es in dem Artikel, es war nicht als Beleidigung gemeint und man muss schon extrem verbohrt sein, um es als Beleidgung zu betrachten.

Im Ergebnis scheint es besser zu sein, gar nicht über Behinderung zu berichten, dann riskiert man keinen Shitstorm, wie er über einen taz-Redakteur rollte, der sich über Blindenfußball lustig machte. Schließlich weiß Leidmedien, was lustig ist und was nicht, und Blindenfußball ist nicht lustig. Überhaupt ist nur lustig, was sie lustig finden, es fehlt noch so eine Art Checkliste, wo beschrieben wird, worüber man lachen darf und worüber nicht. Clowns in Riesenschuhen sind lustig, Stolperer mit der Beinprothese nicht.

Wohlgemerkt, wenn sich jemand beleidigt fühlt durch die Formulierung "an den Rollstuhl gefesselt", mag er dagegen vorgehen. Aber gegen jeden Artikel was zu haben, indem unbedacht ähnliche Formulierungen vorkommen, schießt über das Ziel hinaus und erinnert eher an die Sprachpolizei von Orwells 1984.

Zusammenfassung zur Fußballsatire bei Rollingplanet
http://rollingplanet.net/2013/12/04/den-blindenfussball-flach-halten/
Bericht über den blinden Fußballjournalisten bei Zeit online
http://www.zeit.de/sport/2013-10/fussball-blind-journalist-hertha

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