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Mitteschnitte

Text: aniway
Jetzt ist Schluss mit diesem Gehetze, dem hinter der Tram her Gerenne, dem Kaffee zum Mitnehmen und dem belegten Brötchen in der U-Bahn.

Ich werde jetzt mal die berühmte Mitte finden, so lange im Kreis rumlaufen macht einen schwindelig und Schwindel ist nicht das neue Schwarz. Das neue Schwarz ist sowieso irgendwas zwischen himmelblau und warmorange und hat ein leises melodisches Summen im Hintergrund, zu dem man sowohl einschlafen kann, als auch aufwachen, denn das ist das Gute an diesem Summen, es ist melodisch und es ist leise.

Ich werde jetzt jeden Schritt dreimal kauen und schön an der Ampel warten, bis grün wird. Da werden mir dann sämtliche Mütter freundlich zunicken und zwar genau diejenigen, die mir sonst immer hinterherbrüllen, was für ein tolles Vorbild ich doch sei. Wobei ich dann oft denke, dass sie ja alles noch viel schlimmer machen, denn das weiß doch jeder, dass Kinder weder Ironie noch Sarkasmus verstehen. Ich laufe also über Rot, die Mutter schreit laut (laut = wichtig), was für ein tolles Vorbild ich doch sei und sagt dem Kind dann im selben Atemzug und auch ein bisschen lauter (immer noch wichtig), dass das Kind bloß nicht das machen soll, was die Frau da eben gemacht hat (obwohl die doch ein Vorbild ist). Würde mich überhaupt gar nicht wundern, wenn irgendwann eine Studie rauskommt, die belegt, dass der Anteil an verstörten Kindern durch Ampelanlagen rapide zunimmt.

Aber das ist in meinem Leben jetzt eh vorbei, ich gehe ja nur noch mittig über Grün und werde ein tolles Vorbild sein, also kein Grund zur Aufregung. Den gibt es eigentlich sowieso fast nie, weil irgendwie ja doch immer alles heißer gekocht als gegessen wird, vor allem weil man selten Hunger hat, wenn man aufgeregt ist, da verbrennt man sich höchstens mal die Finger, aber nie den Mund. Ich werde jetzt also durch mein lauwarmes Leben laufen und das Wort „Druck“ wird nur noch was mit Maschinen zu tun haben, nicht aber etwas mit mir oder mit dem, was ich mache.

Das heißt aber jetzt auch, dass das mit der Mitte auch kein zu großer Antrieb sein darf, denn zwanghaft Mitten finden ist auch schon wieder gar nicht mein Ziel. Ich werde also nicht morgens und abends hübsch Yoga machen und nur noch grünen Tee trinken. Ich höre jetzt auch nicht einfach auf zu rauchen und entsage dem Alkohol. Vielleicht lege ich mich auf die Yogamatte und auf den Rücken und starre an die Decke, wenn das gerade gut ist. Oder ich trinke drei Gläser Wein, wenn ich darauf Lust habe. Vielleicht habe ich auch nie mehr Lust darauf oder vielleicht habe ich plötzlich wirklich welche auf Yoga. Dann, hey, ok.

Denn die Mitte ist schließlich nicht immer durchtrainiert, ich kenne das, mein Bauch ist zum Beispiel recht mittig und trainiert ist der nicht. Also was soll das „Ich lebe gesund und fühl mich toll, weil ich mich fünfmal die Woche um den Block jage.“. Wenn das für manche besagte Mitte ist, dann ist das gut, mir macht das im Moment allerdings noch keinen so wahnsinnig zentralen Eindruck. Wenn ich die Augen schließe und mir vorstelle, was mich gerade entschleunigen kann, dann ist das auf jeden Fall ruhig und still, vielleicht mit einer himmelblauen Decke vor einem warmorangenen Sonnenuntergang und Gesumme in der Luft. Das ist kitschig, aber bestimmt irgendwie mittig.

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